Status von Lugansk und Donezk bleibt der umstrittene Knackpunkt

In der Ukraine hat sich eine neue rechtsnationalistische Partei unter dem Vorsitz von Regierungschef Jazenjuk formiert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ministerpräsident Jazenzuk, den die US-Regierung favorisiert, hat mittlerweile ebenfalls die politische Richtung von Präsident Poroschenko akzeptiert, dass der Krieg gegen die Ostukraine oder vielmehr, wie er es versteht, gegen Russland in der Ostukraine, dem Land schadet. So erklärte er nun, man müsse alles tun, um den Frieden und nationale Einheit zu erlangen, weil im Krieg das Land wirtschaftlich den Bach heruntergehe und man endlos Gesetze ohne Wirkung beschließen könne. Aber zuerst müssten die russischen Soldaten das Land verlassen und müsse die Grenze gesichert sein, womit er wieder sein Lieblingsprojekt einer Mauer an der Grenze zu Russland ins Spiel brachte. Es gebe jedoch neben Russland einen zweiten Aggressor im Inneren: Korruption, Unverantwortlichkeit, Unordnung und einen Mangel an Organisation.

Der ukrainische Präsident Poroschenko machte am Mittwoch Zugeständnisse an die Separatisten, daneben Konkurrent Jazenjuk. Bild: president.gov.ua

Mit dem Bau der Mauer soll auch bereits begonnen worden sein, melden ukrainische Medien. Eigentlich wird es keine Mauer und wohl auch keine Hightech-Anlage, wie sie etwa die USA, Israel oder Saudi-Arabien zum Schutz ihrer Grenze eingerichtet haben. Gedacht ist offenbar daran, vor allem durch Gräben die Durchfahrt von Fahrzeugen zu verhindern. Diese sollen sich über 1500 km erstrecken, ein Sicherheitszaun ist für 60 km geplant, zudem soll es 4000 Unterstände geben.

Jazenzuk hat sich im Vorblick auf die Parlamentswahl Ende Oktober neu positioniert. Zusammen mit Ex-Präsident und Parlamentssprecher Turtschninow und dem ehemaligen Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrats Parubij, Mitbegründer der rechtsextremen Sozial-Nationalen Partei und "Kommandeur" der einstigen Maidan-"Sebstverteidigungskräfte", ist er von der Vaterlandspartei aufgrund von Querelen mit Timoschenko zur im März registrierten Partei "Volksfront" übergetreten. Am Mittwoch wurde die erste Parteiversammlung abgehalten und Jazenzuk zum Vorsitzenden gewählt. Offenbar will man die rechtsnationalistische Wählerschaft mobilisieren und konkurriert dabei mit Swoboda. Das zeigt sich auch daran, dass auch einige Kommandeure von rechtsnationalistischen Milizen wie Yuri Birch vom Dnepr-Bataillon oder Andrew Bielecki vom Azov-Bataillon (aktuelle Einschätzung) sich für die neue Partei zur Wahl stellen. Auch der überaus nationalistische Militärberichterstatter Dmitri Tymchuk, die Maidan-Aktivistin Tetiana Chornovol, die aus der rechtsextremen UNA-UNSO kommt, spielt in der Partei eine Rolle. Begonnen wurde der Parteikongress mit einer Schweigeminute für die "Helden des Maidan", die "Göttlichen Hundert".

Poroschenko gibt sich währenddessen optimistisch, dass es zu einer friedlichen Lösung kommen wird. Er erklärte gestern, 70 Prozent der russischen Soldaten, die angeblich in der Ostukraine waren, seien abgezogen worden. Das wird den erneuten Sanktionsdrohungen den Boden unter den Füßen wegziehen, schließlich hat damit der ukrainische Präsident Moskau Deeskalationsmaßnahmen bescheinigt. Gleichwohl hat sich Bundeskanzlerin Merkel gestern für eine Verhängung der neuen Sanktionen ausgesprochen: "Trotz Fortschritten beim Waffenstillstand sei unklar", so heißt es auf der Website der Bundeskanzlerin, "inwieweit Russland den vereinbarten Plan für eine friedliche Lösung zu erfüllen bereit sei." Offenbar überwiegt die Bündnistreue und das Fehlen einer Definition der Deeskalation, weswegen die Sanktionsspirale weitergedreht werden muss.

Poroschenko wandte sich auch gegen diejenigen, die den Krieg fortsetzen wollen und sagte wie Jazenjuk, dass Krieg wirtschaftlich negativ sei. Und in Übereinstimmung mit Jazenjuk, spricht er sich auch für den Bau der Mauer aus, was aber dem Versuch geschuldet sein könnte, den rechtsnationalistischen Kräfte den Wind aus den Segeln zu nehmen:

If Mannerheim Line is essential, we must build such fortifications as well, but they must be even more powerful, with the experience of predecessors. I do not mean fortifications of 1941-1942. I mean those necessary for modern defense science. Defense in depth, with tank positions, with safeguards against multiple launch rocket systems, with modern communications, with a clear interaction between all departments involved in the ATO. With a special area which allows efficient use of weapons. I do not exclude that in the near future we will have to create special categories for citizens in areas adjacent to the anti-terrorist operation. Public initiatives to develop a strategic plan and infrastructure for the so-called guerrilla movement are also noteworthy. We must be ready for that as well, for it's better to be safe than sorry. The very idea that every meter of the Ukrainian land will burn under the feet of invaders should become a factor restraining from large-scale invasion.

Poroschenko
Der ukrainische Präsident Poroschenko mit seinem demonstrativem Besuch am 8. September in Mariupol. Bild: president.gov.ua

Er habe mit dem in Minsk vereinbarten Waffenstillstand, die 12 Punkte wurden gestern auch auf Englisch veröffentlicht, keine territorialen oder politischen Zugeständnisse gemacht, versicherte er gegenüber Kritikern. Der Plan sehe eine Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine vor, eine Föderalisierung oder Unabhängigkeit von Teilen der Ostukraine sei kein Bestandteil gewesen, die "Volksrepubliken" seien nicht erwähnt worden. Vielmehr sei die Rede von einer "vorübergehenden Ordnung der lokalen Regierung in bestimmten Gebieten von Donezk und Lugansk" gewesen. Konkret wird ein Gesetz über einen "Sonderstatus" genannt und wird eine "Dezentralisierung" gefordert. Und es heißt, es sollen in zeitlich befristeten Maßnahmen der lokalen Regierung, aber in Übereinstimmung mit ukrainischem Recht auch in Lugansk und Donezk die Parlamentswahlen stattfinden.

Das ist alles recht vage. Vertreter der Separatisten hatten weiterhin den Gang in die Unabhängigkeit und die Durchführung eines Referendums gefordert. Der russische Präsident Putin erwähnt zwar in letzter Zeit gerne den Begriff Neurussland und feiert die Verdienste der Separatisten, aber zumindest nach der Vereinbarung und nach seinen Worten tritt er nicht für eine Loslösung der Ostukraine oder gar für einen Anschluss an Russland ein, sondern für einen Sonderstatus. Uneinigkeit herrscht vor allem darüber, was Föderalisierung bedeutet, also welche Rechte mögliche Bundesstaaten im Osten der Urkaine erhalten werden.

Poroschenko ist offenbar willens, den Separatisten entgegenzukommen und hat mehr oder weniger erklärt, dass auch sie gewählt werden könnten. Es sei besser, wenn die Menschen in den jetzt von den Separatisten kontrollierten Gebieten an den Wahlen teilnehmen und ihre Vertreter wählen können, weil das immer besser als Krieg ist. Man werde zwar nicht erfreut sein, aber Wahlen seien besser als Entscheidungen mit dem Gewehr. Man müsse diejenigen akzeptieren, die von den Menschen in Lugansk und Donezk gewählt werden und den Staat zusammen aufbauen. Die Bemerkungen machen aber auch klar, wie stark der Widerstand in nationalistischen Kreisen ist, gegen den Poroschenko sich durchsetzen muss. Allerdings steht er natürlich auch selbst als Oligarch unter Beschuss, beispielsweise von der Volksfront. Vom Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat kommt so die Mahnung an die Flüchtlinge, trotz Waffenstillstand nicht nach Donezk und Lugansk zurückzukehren. Das mag im Hinblick auf die Wahlen gesagt sein, vor allem aber wohl daraufhin, dass auch die ukrainischen Truppen den Waffenstillstand nutzen, um sich neu zu formieren und bei einem Ende besser zuschlagen zu können. Da würden Rückkehrer nur stören und Kollateralschäden mit sich bringen.

Eine kleine Meldung könnte auch zeigen, dass nun Russland gewillt ist, die Gegensanktionen doch auch auf Öl und Gaslieferungen zu erweitern, was angesichts des nahenden Winters für die Ukraine und die EU schlechte Nachrichten wären. So hat Polen die Lieferung von russischem Gas an die Ukraine offenbar vorerst eingestellt. Russland habe die Gaslieferungen gestern an Polen begrenzt. Da hört dann offenbar die Solidarität mit dem Nachbarland auf. Seit 14 Uhr am Mittwoch fließt kein Gas mehr aus Polen in die Ukraine. Gazprom weist allerdings die Behauptung von Polen zurück. Im Übrigen wird Polen auch keine Waffen an die Ukraine liefern, sagte der polnische Außenminister.

Die Krim will Moskau behalten. Das hat der russische Regierungschef Medwedew am Mittwoch deutlich gemacht. "Russland und die Krim haben sich für immer wiedervereinigt und das muss allen Politikern klar sein, sowohl in unserem Land als auch in anderen Ländern", sagte Medwedew am Mittwoch bei einem Treffen der Regierungspartei "Geeintes Russland". "Wir wollen, dass in der Ukraine Frieden herrscht", sagte Medwedew weiter. "Für die Erreichung dieses Ziels muss unser Land alles in seiner Kraft stehende tun"