Stehen wir vor dem Ende des Gaza-Kriegs?
Seite 2: Was kommt nach den 42 Tagen?
- Stehen wir vor dem Ende des Gaza-Kriegs?
- Was kommt nach den 42 Tagen?
- Auf einer Seite lesen
Im Klartext: Biden könnte Israel einen weitreichenderen, längerfristigen Plan öffentlich untergeschoben und als Erfolg für die israelische Seite verkauft haben, um die Verhandlungen nach vorn zu bringen.
Eines hat der Plan bereits erreicht: Die Reaktion von israelischer Seite zeigt nun klar, wo der zentrale Knackpunkt liegt zwischen dem, was Biden vorschlägt – ob er es ernst damit meint, wird sich zeigen müssen – und der Position der israelischen Regierung.
Im Kern dreht es sich darum, was nach den 42 Tagen Waffenruhe und der Geiselbefreiung folgt: Weiterer Krieg, wie Netanjahu an der Seite Smotrich und Ben-Gvir verkündet, oder, wie die Hamas immer wieder deutlich eingefordert hat, ein vollständiger Rückzug der israelischen Streitkräfte und ein Ende der Kämpfe, was ja auch der Biden-Plan anvisiert?
Die Frage wird sein, wie die Spannungen in diesem Punkt zwischen der US- und der israelischen Regierung ausgetragen werden und was daraus erwächst.
Netanjahus Zwickmühle
Was Netanjahu angeht, steht er vielfach unter Druck und befindet sich letztlich in einer Art Zwickmühle. Die rechtsextremen Koalitionspartner werden kein Ende des Kriegs akzeptieren.
Gleichzeitig hat Benny Gantz, Mitglied im Kriegskabinetts – und potenzieller Netanjahu-Nachfolger – erklärt, seine Partei werde sich dem Vorschlag nicht widersetzen. Auch ultraorthodoxe Politiker aus den Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum, die beide der Regierungskoalition angehören, haben sich für das Abkommen ausgesprochen.
Unterdessen hat Oppositionsführer Yair Lapid angeboten, Netanjahu die Stimmen zu geben, die er braucht, um den Waffenstillstand durch das israelische Parlament, die Knesset, zu bringen.
Das würde Netanjahu jedoch nur die Stimmen verschaffen, die er braucht, um den Vorschlag durchzubringen, nicht aber die Unterstützung, die er braucht, um seinen Platz an der Spitze der Regierung zu behalten.
Was ist politisch riskanter?
Dafür braucht er immer noch Smotrich und Ben-Gvir. Außerdem wird gemutmaßt, dass Netanjahu den Krieg fortsetzen will, um Korruptionsvorwürfen zu entgehen. Auf die Frage, ob Netanjahu den Krieg fortsetzen wolle, um weiter an der Macht zu bleiben, antwortete Biden, es gebe "allen Grund, diesen Schluss zu ziehen".
Demgegenüber kommt Druck von der Straße. Am Wochenende nahmen Zehntausende Israelis, angeführt von Angehörigen der Geiseln, an Protesten teil, bei denen sie Netanjahu aufforderten, das Waffenstillstandsabkommen nicht zu sabotieren.
Netanjahu muss also letztlich entscheiden, ob es politisch riskanter ist, Nein zu Biden zu sagen oder Ben-Gvir und Smotrich die kalte Schulter zu zeigen. Durch seine Biden widersprechenden Aussagen hat er den Ball wieder ins Feld Washingtons gespielt.
Nun wird sich zeigen, ob der US-Präsident es ernst meint und die Kosten für Netanjahu in die Höhe treibt. Die USA haben bereits einen Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat zur Unterstützung des Waffenstillstandsplans ausgearbeitet und den Regierungen zugesandt. Viele von ihnen hätten laut US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield zustimmend reagiert.
Meint es Biden wirklich ernst?
Die Frage ist aber, ob eine weitere in Kraft tretende Waffenstillstand-Resolution (es gibt ja bereits eine) von den Vereinigten Staaten dann auch mit entsprechenden Sanktionsmaßnahmen gegen Israel unterlegt wird, wenn der Krieg trotzdem weitergeführt wird. Bei der ersten Resolution hielt die Biden-Regierung die Füße still und erklärte sie kontrafaktisch für "nicht bindend". Als Israel das Urteil des Internationalen Gerichtshofs, die Streitkräfte aus Rafah zurückzuziehen, missachtete, folgten keine Sanktionen, sondern mehr US-Waffen.
Die Netanjahu-Regierung weiter gewähren zu lassen und vorgeführt zu werden, hat aber auch Kosten für Biden. Im Land wächst die Kritik an seiner Gaza-Politik.
Immer wieder kündigen selbst langjährige Beamte seiner Regierungsadministration, weil sie den Israel-Kurs nicht weiter mittragen wollen. Die Unterstützung der israelischen Regierung beim Gaza-Krieg könnte Biden sogar die Präsidentschaftswahlen kosten, da Demokraten ihm die Stimme verweigern wollen, insbesondere in wichtigen Swing-States.
Die Biden-Regierung ist zudem sehr besorgt über die jüngste Zunahme der Feindseligkeiten an der israelisch-libanesischen Grenze. Die Schlagabtausche zwischen den israelischen Streitkräften und der Hisbollah eskalieren, und der starke Beschuss reicht nun Dutzende von Kilometern weit in israelisches Gebiet hinein. 60.000 Israelis sind aus dieser Zone bereits vertrieben worden, was auch den Druck auf Tel Aviv erhöht.
Wir könnten vor dem Kriegsende stehen, wenn ...
Bidens Plan über einen Waffenstillstand kann entweder der Anfang vom Ende des Kriegs sein oder doch nur eine weitere Hinhaltetaktik des US-Präsidenten nach dem Motto: "Schaut her, ich habe alles versucht. Aber am Ende hat es nicht funktioniert." Ob dieses Narrativ in den USA bei Kritikern seines Kurses verfangen wird, ganz zu schweigen von der Weltöffentlichkeit, ist jedoch zweifelhaft.
Am Ende ist es so: Netanjahu versucht im Moment, den Plan der US-Regierung abzutun und der Hamas den schwarzen Peter zuzuschieben. Solange der israelische Premierminister die Kosten für seine Verweigerungshaltung für akzeptabel einschätzt, solange wird es kein Ende des Gaza-Kriegs geben.
Nur die Biden-Regierung kann letztlich daran etwas ändern. Wachsender Druck auf sie, international wie im eigenen Land, könnte sie dazu bewegen, die Kosten für Netanjahu zu erhöhen. Ab dem Zeitpunkt stehen wir dann tatsächlich vor dem Kriegsende.