Strammstehen für den iPod

Apples mobiler MP3-Player gilt als hip und innovativ, die Arbeitsbedingungen in den chinesischen Produktionsstätten sind es nicht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die hellen und modernen Fabriken der Firma Foxconn haben äußerlich keinerlei Ähnlichkeit mit den klassischen Sweatshops in anderen Branchen. Doch der erste Eindruck täuscht. Die Löhne in Chinas Elektronikindustrie sind niedrig, die Arbeitszeiten lang und unabhängige Gewerkschaften verboten.

Mitte Juni veröffentlichte der Daily Mirror unter dem Titel Welcome to iPod City einen Bericht über den größten Elektronikfertigungsbetrieb der Welt, den Industriepark Foxconn-City, in der südchinesischen Stadt Shenzen nahe der Grenze zu Hongkong gelegen. Hinter meterhohem Stacheldraht und durch zahllose Kameras überwacht montieren ca. 200.000 Menschen, als Angestellte der taiwanesischen Firma Foxconn, elektronische Geräte für Hersteller wie Hewlett Packard, Sony und Apple. Mehr als 80 Prozent der Belegschaft sind junge Frauen, Arbeitsmigrantinnen aus den armen Provinzen Zentralchinas.

Hier in Foxconn-City, in einem fünfstöckigen, von bewaffneten Polizisten bewachten Gebäude lässt die kalifornische Firma Apple den iPod Nano produzieren. Zang Lan, eine 21-Jaehrige Fließbandarbeiterin erzählt dem Reporter des Daily Mirror: ”Wir müssen zu hart arbeiten. Ich bin ständig müde und immer noch in der Ausbildung, was mir nicht gefällt. Es ist wie in der Armee. Sie lassen uns 3 Stunden strammstehen. Wenn wir uns bewegen, werden wir bestraft. Sie schlagen uns zwar nicht, lassen uns dafür aber einfach noch länger stillstehen. Die Jungs müssen Liegestützen machen.”

Ihre Kolleginnen berichten von 15 Stunden-Schichten, die im Stehen absolviert werden müssen, Schlafräumen, die mit mehr als 100 Personen belegt sind und einer Bezahlung von 50 US-Dollar im Monat - in dieser Region Chinas weniger als der gesetzliche Mindestlohn. Als weitere Missstände werden die kurze Mittagspause von 30 Minuten, die Verpflichtung je nach Auftragslage 7 Tage pro Woche durchzuarbeiten und das Verbot sich gewerkschaftlich zu organisieren genannt. Foxconn reagierte prompt auf die Vorwürfe und stritt sie auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz schlichtweg ab. Als wenige Tage später die China Business News einen Artikel mit ähnlichem Inhalt veröffentlichte, verklagte Foxconn die Zeitung auf 3,8 Millionen US-Dollar Schadensersatz und versuchte die persönlichen Konten der Journalisten einfrieren zu lassen. Kurz darauf zog Foxconn die Klage wieder zurück.

Auch der Apple-Konzern bezog sehr rasch zu den Anschuldigungen Stellung und zeigte sich zunächst tief betroffen. Er kündigte eine umfassende interne Untersuchung an und betonte, dass eine Abweichung von dem firmeneigenen Verhaltenskodex - dem Apple alle Zulieferer unterwirft - nicht hingenommen werde. Zwei Monate später gab Apple in einer Presseerklärung die Ergebnisse seiner Recherchen in Foxconn-City bekannt und musste zahlreiche Verstöße gegen seinen Verhaltenskodex durch die Firma Foxconn einräumen. Dabei verpflichtet dieser sogenannte Supplier Code of Conduct alle Vertragspartner des Apple-Konzerns lediglich zur Einhaltung minimalster Sozialstandards, wie etwa die Begrenzung der Arbeitszeit auf 60 Stunden pro Woche bei einem Ruhetag, die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes – von dem auch in China niemand leben kann – und das Recht sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Für ein Unternehmen, das seit seiner Gründung mit Milliardenaufwand sein rebellisches und gegenkulturelles Image gepflegt hat, ist das alles reichlich wenig, und Menschen wie Mahatma Gandhi, Cesar Chavez und Martin Luther King würden sich sicher nicht mit den Rechten zufrieden geben, die Apple den chinesischen Vertragsarbeitern in den ultramodernen und vollklimatisierten Hightech-Sweatshops garantiert. Die Portraits des kleinen Mannes, der Indien in die Unabhängigkeit führte und sich für die Rechte der untersten Kasten einsetzte, des Gewerkschaftsführers, der in den USA mexikanische Migranten organisierte, und des schwarzen Bürgerrechtlers waren - neben anderen - ein Teil von Apples großangelegter Werbekampagne Think Different aus dem Jahre 1998. Damals hieß es in den Fernsehspots: “Sie erfinden, sie denken, sie heilen, sie erforschen, sie schaffen, sie inspirieren. Sie bringen die menschliche Rasse voran.” Heute scheint dieses Motto für Apple wohl nur noch zu bedeuten, dass das Recht auf menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen noch lange nicht für jeden gilt. Think Different!