Streit um sieben US-Militärstützpunkte
Die USA wollen die Präsenz ihrer Armee in Kolumbien massiv ausbauen. Doch in Südamerika regt sich Widerstand gegen die Militarisierung
Es sollte eine „neue Ära“ in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Lateinamerika eingeläutet werden, versprach US-Präsident Barack Obama noch im April auf dem Amerika-Gipfel in Trinidad und Tobago (Freundschaftsoffensive in Amerika). Wenige Monate später ist von dieser angekündigten Zäsur nichts mehr zu spüren. Stattdessen wächst in Lateinamerika der Widerstand gegen die Aufstockung der US-amerikanischen Militärpräsenz im Bürgerkriegsland Kolumbien. Dort sollen Washingtons Soldaten sieben neue Militärbasen beziehen. Statt den bisher 600 könnten dann bis zu 1.400 US-Soldaten in Kolumbien stationiert werden. Das entsprechende Abkommen hatte die rechtsgerichtete Staatsführung von Präsident Alvaro Uribe ohne Rücksprache mit anderen Staaten der Region verhandelt.
Am vergangenen Wochenende kamen deswegen die Staats- und Regierungschefs der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR im argentinischen Bariloche zusammen. Der Sondergipfel war kurzfristig anberaumt worden, nachdem das geplante Militärabkommen zwischen Kolumbien und den USA publik wurde. Die Regierung Uribe verteidigt den Kontrakt mit Verweis auf die Bekämpfung des Drogenhandels und der Guerillaorganisationen in dem südamerikanischen Land. Doch in Bariloche zeigte sich, dass das Misstrauen gegen die kolumbianische Führung groß ist.
Mehrere Gipfelteilnehmer wiesen auf das Scheitern der US-kolumbianischen Rüstungskooperation hin. In den vergangenen Jahren hatte Washington 3,5 Milliarden US-Dollar in den sogenannten Kolumbien-Plan gesteckt. Ein explizites Ziel war die Bekämpfung des Coca-Handels. Doch die Anbauflächen haben in dieser Zeit sogar noch zugenommen. Vor allem aber befürchten die Mitglieder der lateinamerikanischen Staatengemeinschaft eine Wiederauflage des militärischen Interventionismus. Kolumbien ist neben Peru der zweite Staat in der Region, der mit dem anti-neoliberalen Konsens südlich der USA bricht. Soll er deswegen zum Brückenkopf gegen die neue Linke ausgebaut werden?
Weißbuch der US-Armee sorgt für Zündstoff
Die kolumbianische Führung könne nicht garantieren, dass die verstärkte US-Präsenz im eigenen Land nicht zur Bedrohung für andere Staaten der Region wird, sagte Venezuelas Präsident Hugo Chávez nach dem Gipfeltreffen in Bariloche gegenüber Medienvertretern. Der Venezolaner ging sogar noch einen Schritt weiter: Mit dem Verweis auf innenpolitische Probleme versuche Kolumbiens Führung, eine Interventionsstrategie der USA zu verschleiern.
Nicht ganz so brüsk, aber politisch ähnlich äußerten sich andere Staatsvertreter auf dem Gipfel. Bogotá und Washington müssten sich rechtlich dazu verpflichten, dass sich die Aktionen der fremden Streitkräfte auf das nationale Territorium beschränken, forderte Brasiliens Staatschef Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Chiles Präsidentin Michelle Bachelet drängte auf eine Veröffentlichung des Vertragstextes. Nur eine weitestgehende Transparenz könne das Misstrauen Kolumbien gegenüber abbauen.
Geschürt wurde dieses Mistrauen vor allem durch die Zirkulation eines strategischen Planungspapiers des US-Militärs. Das Dokument mit dem Titel Link auf ./31066_2.pdf bezeichnet die Ausdehnung der US-Präsenz in Kolumbien als Grundlage für die militärische Kontrolle des gesamten Raums. Um dieses Ziel zu erreichen, sei vor allem die kolumbianische Basis von Palanquero geeignet, ist dem Strategiepapier zu entnehmen. Dies höre sich doch viel mehr nach „konventioneller Kriegsführung“ an als nach der Bekämpfung des Drogenhandels, urteilte Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández.
Im Laufe dieses Monats nun soll sich der Südamerikanische Verteidigungsrat, ein Gremium der UNASUR, mit dem Papier befassen, dessen Existenz und Authentizität von der US-Regierung nicht geleugnet wurde. Ein Sprecher des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums erklärte nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP, dass es sich bei dem 36-seitigen Weißbuch „nur um ein akademisches Dokument“ handele.
Kolumbien als „Israel Südamerikas“
Die Bedenken gegen eine zunehmende US-Militarisierung Kolumbiens können nur im politischen Kontext beleuchtet werden. Im Rahmen des politischen Integrationsprozesses haben sich immer mehr Staaten der Region in den vergangenen Jahren grundsätzlich gegen eine dauerhafte Stationierung ausländischer Armeen auf dem eigenen Territorium gewandt.
Die Regierungen in Venezuela, Ecuador, Bolivien und Nicaragua haben im Rahmen der Verfassungsreformen sogar ein grundsätzliches Verbot solcher Stationierungen in den neuen Grundgesetzen festgeschrieben. Im Artikel 13 der „bolivarianischen“ Verfassung Venezuelas etwa heißt es: „Das Staatsgebiet darf niemals, auch nicht vorübergehend oder teilweise, an ausländische Staaten oder andere Rechtsträger des Völkerrechts abgetreten, verpachtet oder in einer anderen Form veräußert werden.“
In dem Maße wie die südamerikanische Staatenmehrheit sich der Einrichtung US-amerikanischer Militärbasen verweigert, bietet Kolumbiens Führung das eigene Land dazu an. Als Ecuadors Bevölkerung vor einem Jahr die neue Verfassung annahm – und damit das Ende der US-Luftwaffenbasis in dem pazifischem Küstenort Manta besiegelte –, verhandelten Bogotá und Washington umgehend über einen Umzug der Basis in den südamerikanischen Bürgerkriegsstaat. Kolumbien werde zunehmend zum „Israel Südamerikas“, hieß es daraufhin in anderen Ländern der Region. Ebenso wie in Israel drohe Kolumbien als Brückenkopf gegen unliebsame Staatsführungen in der Region genutzt zu werden.
Als Beleg führte Ecuadors Präsident Rafael Correa auch auf dem UNASUR-Gipfel in Bariloche den Angriff der kolumbianischen Armee auf ein Guerilla-Lager auf ecuadorianischem Boden Anfang März 2008 an (Kolumbien riskiert den Krieg). Damals war ein Spezialkommando der kolumbianischen Armee – mutmaßlich mit Unterstützung der lokalen US-Kräfte – in das Nachbarland eingefallen, um einen Kommandanten der FARC-Guerilla zu töten. „Wer kann uns garantieren, dass sich so etwas nicht wiederholt?“, fragte Correa auf dem UNASUR-Gipfel.
Lateinamerika als „Zone des Friedens“ verteidigen
Es gehe bei der andauernden Debatte darum, Lateinamerika als „Zone des Friedens“ zu verteidigen, sagt Venezuelas Botschafterin in Deutschland, Blancanieve Portocarrero. Die Diplomatin lud Mitte der Woche in Berlin zu einer Informationsveranstaltung über die geplante Aufstockung der US-Militärkräfte in Kolumbien ein. „Natürlich sind Kolumbien und die USA souveräne Staaten, die das Recht auf die eigene Gestaltung ihrer Bündnispolitik haben“, so die Diplomatin gegenüber Telepolis. Allerdings sei die lateinamerikanische Gemeinschaft beunruhigt, weil das geplante Abkommen „in einem historischen Krisenmoment“ geschlossen wird. Es gebe derzeit eben nicht nur eine Finanzkrise, „sondern auch eine Nahrungsmittel- und eine Energiekrise“, so Portocarrero. Und Venezuela ist einer der reichsten Erdöl- und Erdgasstaaten.
Auch Ecuadors Botschafter in Berlin, Horacio Sevilla-Borja, sieht die militärische Kooperation zwischen den USA und Kolumbien kritisch. Lateinamerika habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg als Friedenszone etabliert, sagt auch er: „Und unsere Generation sieht sich in der Pflicht, dieses Charakteristikum zu verteidigen.“ Die lateinamerikanische Friedenspolitik stütze sich bis heute auf drei Säulen, führt der Diplomat aus. Zum einen hätten sich die Staaten 1967 mit dem Vertrag von Tlatelolco dazu verpflichtet, keine atomaren Waffen zu entwickeln, zu verbreiten oder zu erwerben. Zum zweiten sei seither eine gemeine Sicherheitspolitik verfolgt worden, was zuletzt zu der Gründung der UNASUR und dem Südamerikanischen Verteidigungsrat führte. Zum dritten habe sich die lateinamerikanische Staatengemeinschaft stets gegen die Stationierung von ausländischen Armeen in der Region ausgesprochen. „Und an diesem Punkt haben wir offensichtlich noch erheblichen Klärungsbedarf“, so Sevilla-Borja.
Weitere Beratungen über gemeinsame Sicherheitsdoktrin
Die Debatte über dieses Thema hat im argentinischen Bariloche erst begonnen. Im Laufe dieses Monats sollen die Außen- und Verteidigungsminister der UNASUR zusammenkommen, um eine neue sicherheitspolitische Doktrin zu entwickeln. Ecuadors Präsident Evo Morales plädiert zudem dafür, auf multistaatlicher Ebene in Lateinamerika Referenden über die Stationierung ausländischer Militärkräfte durchführen zu lassen. So seien es „nicht mehr die Imperien, sondern die Völker, die über dieses Thema entscheiden“, so Morales. Auf dem Sondergipfel der Regionalorganisation am vergangenen Wochenende haben sich die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs zudem dafür ausgesprochen, das „Weißbuch“ der US-Armee analysieren zu lassen.
Angesichts des massiven Widerstandes in der Region regt sich auch in Kolumbien selbst Kritik an der Politik von Präsident Uribe. Der spanische Dienst der Nachrichtenagentur AFP zitiert den kolumbianischen Politikwissenschaftler Fernando Giraldo, nach dessen Meinung Uribe nach dem Gipfel von Bariloche „keine Verbündeten mehr hat – als Ergebnis einer verfehlten Außenpolitik“. Der ehemalige kolumbianische Staatschef Ernesto Samper (1994-1998) sieht indes die Gefahr, „dass die militärische und geheimdienstliche Stationierung der USA das Verhältnis zu unseren Nachbarn unterschwellig belastet“.
Während weder Kolumbien noch die USA auf die Forderung reagierten, das geplante Kooperationsabkommen offen zu legen, ging Venezuelas Staatschef in die diplomatische Offensive. Er sei bereit, alle Abkommen seiner Regierung mit Russland, China und Iran dem Südamerikanischen Verteidigungsrat vorzulegen, wenn dies verlangt würde, so Chávez. Diese Abkommen betreffen nicht nur die politische wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit, sondern auch militärische Vereinbarungen.