Streng gläubig und stramm rechts

Seite 5: Der Schutz des ungeborenen Lebens

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"Als 'Lebensschutz' wird die unter Christinnen weit verbreitete Anti-Abtreibung-Position bezeichnet", schreibt Teidelbaum.

So veröffentlichte das evangelikale Magazin 'IdeaSpektrum' unter 'www.aufruf-lebensrecht.de' eine Online-Petition zugunsten einer Verschärfung der gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen: 'Es gibt kein Recht auf Abtreibung!'. Anlass war der Fall eines niedersächsischen Danneberg, der sich geweigert hatte, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.

Immer wieder werden in diesem Spektrum Schwangerschaftsabbrüche mit diversen Menschheitsverbrechen gleich gesetzt. Eine Rednerin bei der Auftaktkundgebung vom "Marsch des Lebens" in Berlin, der gegen Abtreibung mobilisierte, meinte 2012: "Abtreibung ist der größte Weltkrieg aller Zeiten gegen die Kinder." Und Kardinal Joachim Meisner (1933 - 2017) meinte im Januar 2005 in einer Predigt: "Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht." Tatsächlich ist die Diskussion um Abtreibung in der Bundesrepublik quasi 'eingefroren'. In der Bundesrepublik gilt Abtreibung nach § 218 bis heute als Straftat.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Der letzte Satz ist leider nicht mehr ganz richtig. Zum einen erfährt die Debatte um das Recht aus Schwangerschaftsabbruch aktuell Aufwind, genau genommen Gegenwind, denn aktiv wird sie angefacht durch Abtreibungsgegnerinnen und -gegner.

So fand der "Marsch der Frauen" am 17.2.2018 statt unter Beteiligung von Heidi Mund, einer ausgesprochenen "Lebensschützerin", jedenfalls, wenn es um den Schutz des ungeborenen Lebens geht, die in Frankfurt einen "Marsch für das Leben" organisierte.

Auch Bundes-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), noch nicht ganz im Amt, machte gegen Schwangerschaftsabbrüche mobil:

Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos. Aber in dieser Debatte wird manchmal gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht.

Jens Spahn

Das sei "keine ärztliche Leistung wie jede andere", so Spahn.

Offenbar wird es immer schwieriger für Frauen, eine Ärztin oder einen Arzt zu finden, die oder der Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Laut taz ist es "das Ergebnis der Recherche: Ein vollständiger Überblick, wie viele Ärzt*innen in Deutschland an welchen Orten Schwangerschaftsabbrüche durchführen, existiert schlicht nicht. Was es gibt, sind die Einschätzungen der Beratungsstellen: In Städten ist die Situation besser als auf dem Land. In katholischen Regionen schlechter als in protestantischen. Vielerorts ist die Versorgung extrem dünn - und das kann sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Denn in ganz Deutschland gehen immer mehr Ärzt*innen, die Abtreibung durchführen, in Rente - und es fehlt an Nachwuchs".

Werde "eine Frau in Trier ungewollt schwanger, muss sie für eine Abtreibung bis ins Saarland fahren. Frauen in Fulda finden schon seit Jahren keine Behandlung. In ganz Niederbayern gibt es nur noch einen Arzt, der eigentlich längst in Rente gegangen sein sollte, aber immer noch Abbrüche durchführt. Weil es sonst niemand machen will. Und selbst in Berlin, wo die Versorgung noch vergleichsweise gut ist, spitzt sich die Lage zu" (taz).

An sich wäre es die Aufgabe des Gesundheitsministers, dafür zu sorgen, dass Frauen flächendeckend die Möglichkeit haben, ortsnah einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Bleiben wir mal beim Beispiel der Frau aus Trier, die ins Saarland fahren muss: Häufigster Grund für einen Schwangerschaftsabbruch ist die prekäre ökonomische Lage der betroffenen Frau. Die Fahrtkosten ersetzt ihr niemand.

Womöglich hat sie schon Kinder. Wer kümmert sich derweil um sie? Hinzu kommt, dass Schwangerschaftsabbrüche in aller Regel ambulant durchgeführt werden. Das bedeutet, dass der Frau nach einer OP eine solche Reise zugemutet wird. Ob nun allerdings ein Gesundheitsminister, der sich gegen Schwangerschaftsabbrüche ausspricht, sich dafür zuständig fühlt, diesen Missstand zu beseitigen, ist nicht nur fraglich, sondern kann nahezu als ausgeschlossen gelten.

Im Wahlprogramm der AfD, der die Organisatorin dieses Marsches, Leyla Bilge, angehört, steht:

Auch ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben. Viel zu oft wird dieses Recht der Selbstverwirklichung oder sozialen Zukunftsängsten untergeordnet. Solchen Ängsten will die AfD durch konkrete Hilfen für Familien in allen Lebenslagen vorbeugen, insbesondere den lebensrettenden Ausweg der Adoption erleichtern und fördern.

AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl am 24.9.2017

Dümmer geht’s nun wirklich nimmer. Vor allem herzloser. Die meisten Frauen, die ein Kind zur Adoption freigeben, tun das, weil sie in absolut ökonomisch prekären Verhältnissen leben. In den meisten Fällen leiden sie ein Leben lang darunter, können nur mit niemandem darüber reden. Da viele der Betroffenen noch sehr jung sind, vielleicht 70 oder 80 Lebensjahre lang nicht.

Denn niemand ist in unserer Gesellschaft so stigmatisiert wie Mütter, die ein Kind zur Adoption freigaben. Schwerverbrecher sind dagegen honorige Mitglieder unserer Gesellschaft - sie sind nach Ablauf ihrer Haftzeit rehabilitiert, Mütter, die ein Kind zur Adoption freigaben werden von dieser "Schuld" nie befreit.