Streng gläubig und stramm rechts

Seite 2: Die Macht der Kirchen

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Das Christentum ist auch im Jahr 2018 allgegenwärtig, und trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse die Entstehung der Welt oder die Beschaffenheit des Universums betreffend und entgegen der Tendenz, dass immer weniger Menschen an ein höheres Wesen glauben, das unser aller Geschicke lenkt, ist die Kirche allerorten und mit erstaunlichen Privilegien ausgestattet, und ihre Macht hat ernsthafte Konsequenzen.

16 Staaten (u.a. auch die Türkei, die sich gerade in einem Transformationsprozess zu einem Gottesstaat befindet) haben in der Verfassung den Begriff "Laizismus" verankert. Laizismus bedeutet die strikte Trennung von Kirche und Staat sowie die religiöse Neutralität des Staates.

Deutschland gehört nicht zu diesen 16 Staaten. Im Gegenteil, Kirche, bzw. der sogenannte "Gottesbezug" sind omnipräsent. Das wird schon in der Präambel des Grundgesetzes deutlich:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben …

Präambel Grundgesetz

Sieben Bundesländer, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben einen "Gottesbezug" in der Präambel ihrer Landesverfassungen. So heißt es z. B. in der bayerischen Landesverfassung:

Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat, (...) gibt sich das Bayerische Volk (...) nachstehende (...) Verfassung.

Bayerische Landesverfassung

In Bayern gibt es an jeder Straßenecke und auch in den Schulen Kruzifixe. In anderen Bundesländern, z. B. Schleswig-Holstein wird immer mal wieder über den "Gottesbezug" diskutiert. Entsprechende Anträge scheiterten zuletzt 2016.

Bei dem "Gottesbezug" wird unterschieden zwischen "invocatio dei", Verfassung im Namen Gottes, und "nominatio dei", Erwähnung Gottes. Sowohl im Grundgesetz als auch in den Landesverfassungen handelt es sich um "nominatio dei".

Außerdem gibt es den "Gottesbezug" in der Eidesformel, bei Gericht bei der Vereidigung von Zeuginnen und Zeugen sowie bei der Vereidigung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers und den Ministerinnen und Ministern. Sie alle können den Zusatz "so wahr mir Gott helfe" wählen.

In vielen Landtagen werden zum Abschluss des Jahres feierliche Andachten im Plenarsaal gehalten. Ansonsten gibt es in allen Landtagen einen Raum, der den Abgeordneten für z. B. eine wöchentliche Andacht zur Verfügung steht.

Auch der Deutsche Bundestag verfügt über einen Andachtsraum, in den Sitzungswochen findet dort jeweils Donnerstag und Freitag eine Andacht statt. Diese werden von Geistlichen, aber auch von Mitgliedern des Bundestags gehalten.

Kirchensteuer

Der Staat zieht die Kirchensteuer ein. Konkret bedeutet das: Die Finanzämter der Bundesländer ziehen allen Beschäftigten, sofern nicht eine andere Konfession auf der Lohnsteuerkarte vermerkt ist, einen gewissen Betrag automatisch ab.

Diese Steuern stehen alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, die den Status "Körperschaft des öffentlichen Rechts" anerkannt bekommen. Die Höhe der Kirchensteuer wird von der jeweiligen Kirchenleitung festgelegt.

Damit diese Festlegung der Kirchensteuer Gesetzeskraft erlangen kann, müssen die entsprechenden Landesparlamente der einzelnen Bundesländer dem zustimmen. Die Folge davon ist, dass die Kirchensteuersätze von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein können. Die Kirchensteuer wird prozentual zur Einkommens- oder Lohnsteuer ermittelt. Bei der Festlegung wird u.a. der Kinderfreibetrag berücksichtigt.

Allerdings gibt es eine Art Beitragsbemessungsgrenze, nämlich die Höhe des Einkommens. Ab einem bestimmten Satz bleibt die Summe gleich. Vermutlich kommen sie den Betroffenen entgegen, um zu verhindern, "dass die Vermögenden aus der Kirche austreten, um die Kirchensteuerzahlung zu vermeiden" (Kirchensteuer). D.h., dass Beschäftigte mit niedrigerem Einkommen prozentual zu ihrem subjektiven Verdienst mehr zahlen als Spitzenverdiener.

Da Letztere tatsächlich in erster Linie männlich sind, bedeutet das, dass Frauen mehrheitlich zu der Gruppe gehören, die prozentual auf ihr Einkommen bezogen die meiste Kirchensteuern zahlen.

Aktuell liegt der Satz in Baden-Württemberg und Bayern bei 8%, in den übrigens Bundesländern bei 9%. Die Kirchensteuer macht insgesamt gesehen den größten Teil der Einnahmen der Kirchen aus: "Im Jahr 2008 betrugen die Kirchensteuereinnahmen für die evangelische Kirche 4,6 Milliarden €, für die katholische Kirche 5,1 Milliarden €." Für diese Dienstleistung revanchieren sich die Kirchen mit einer Aufwandsentschädigung bei den Finanzämtern.

Kirchensteuer zu zahlen, lässt sich umgehen, indem in der Steuerkarte eingetragen wird, dass die betreffende Person keiner Konfession angehört. Klingt plausibel, ist aber ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der betreffenden Person. Denn die Steuerkarte befindet sich im Personalbüro des Unternehmens, wird der Buchhaltung für die Lohnabrechnung zugänglich gemacht, die darauf vermerkten Informationen sind also innerhalb des Betriebes bekannt. Das kann zu Komplikationen führen, z. B. bei kleinen Betrieben, wenn der Besitzer eine stark christliche Einstellung hat.

Hohe staatliche Summen für Kirchen

Zwar macht Kirchensteuer einen erheblichen Teil der Einnahmen der beiden großen Kirchen aus. Doch: "Daneben erhalten sie sog. Staatsleistungen und zahlreiche andere Zuschüsse, die aus dem allgemeinen Steuertopf genommen werden." Allein an Baulasten und Zuschüssen für Kirchenpersonal zahlen die Bundesländer über 500 Millionen Euro jährlich an die Kirchen.

So wird das Gehalt zahlreicher Bischöfe aus Steuermitteln entrichtet. Hohe Summen fließen auch für die Gehälter und die Ausbildung von Religionslehrern. Selbst Kirchentage und die Auslandsarbeit bezuschusst der Staat in hohem Maße. Auf diese Weise finanzieren auch Konfessionslose und Andersgläubige rein innerkirchliche Belange.

Die Kirchen selbst gehören mit ca. 1,3 Mio. Beschäftigten nach dem öffentlichen Dienst zu den größten Arbeitgeberinnen in Deutschland. Für sie gilt gar ein gesondertes Arbeitsrecht, das bis weit in das Privatleben der Beschäftigten hineinreicht. Zunächst einmal obliegt es der jeweiligen Einrichtung zu entscheiden, den Beschäftigten die Zugehörigkeit zur jeweilig dahinterstehenden Kirche abzuverlangen.

Doch damit nicht genug. So entschied im Oktober 2014 das Bundesverfassungsgericht (BVG) im Falle eines Chefarztes, der in einem katholischen Krankenhaus beschäftigt war und geheiratet hatte, zu dessen Ungunsten. Denn leider hatte er nicht zum ersten Mal geheiratet und die erste Ehe war mit einer Scheidung beendet worden. Diese Scheidung erkennt die Kirche aber nicht an, denn in deren Augen gilt: Bis dass der Tod Euch scheidet.

Also folgte dem freudigen Ereignis die Kündigung. Das BVG gab der katholischen Kirche als Arbeitgeberin Recht. Das war nicht der erste Fall.

Auch die 2016 allgemein sehr bejubelte "Ehe für Alle" könnte im Zweifelsfall eine Kündigung aus sittlich-moralischen Gründen zur Folge haben, denn Homosexualität wird insbesondere von der katholischen Kirche abgelehnt. Anfang 2018 sorgte der Fall einer Erzieherin eines katholischen Kindergartens für Schlagzeilen, die ihre Lebensgefährtin heiraten wollte und deren Vertrag deswegen nicht verlängert werden sollte.

Die Kirchen sind bekannt - und weithin geschätzt - für ihre vielen caritativen Einrichtungen. Dafür lassen sie sich auch gebührend feiern - und vom Staat mit finanzieren. Nächstenliebe auf Kosten der Steuerzahlenden, die der Kirche ihre Privilegien sichert. Rund 50.000 Unternehmungen kommen so insgesamt in Deutschland zusammen.

50.000 Unternehmungen mit ca. 1,3 Mio. Beschäftigten, denen die Kirche nicht nur schwer erkämpfte Rechte wie gewerkschaftliche Vertretung verweigert, sondern diese bis ins Ehebett hinein maßregelt und ihnen ihre verkorksten Moralvorstellungen aufzwingt.

Die kirchlichen Einrichtungen werden zudem durch den Religionsunterricht an staatlichen Schulen finanziert. Dort erteilen z. B. Nonnen den Unterricht. Diese werden nicht direkt vergütet, sondern deren Kloster bekommt eine Ausgleichszahlung.

Das alles regeln die Staatsverträge, die mit den Kirchen abgeschlossen wurden. Darin ist u.a. das bereits erwähnte Recht auf die Kirchensteuer, die Militärseelsorge oder Seelsorge in Krankenhäusern, Altenheimen oder Gefängnissen festgelegt, die Einrichtung von theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten, das Recht auf Kirchensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Vertretung im Fernsehrat des ZDF, dem Hörfunkrat des Deutschlandradios und den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Das Tanzverbot

Puritanismus ist Bestandteil christlicher Religionen. Das "Tanzverbot" ist ein Erbe davon. Diese Bestimmung ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich, umfasst mal ein auf Tanzveranstaltungen beschränktes Verbot an hohen kirchlichen Feiertagen, mal ist an diesen Tagen jede kulturelle und gastronomische Tätigkeit verboten.

An Karfreitag, Volkstrauertag und Totensonntag herrscht in allen Bundesländern "Tanzverbot"; an Karfreitag mit Ausnahme von Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ganztägig, an den anderen beiden Feiertagen in allen Bundesländern jeweils zeitlich begrenzt. Konkret wird das im "Feiertagsgesetz" des jeweiligen Bundeslands geregelt.

In Baden-Württemberg können z. B. Verstöße gegen dieses "Feiertagsgesetz" mit einer Ordnungsstrafe bis zu 1.500 € geahndet werden. Neben Baden-Württemberg hat Hessen eines der stringentesten "Feiertagsgesetze", an der Spitze steht Bayern:

In der fränkischen und alpenländischen Volkstanzszene wird die Tradition des Tanzverbotes in den geschlossenen Zeiten weiterhin gepflegt.

Wikipedia

In Nordrhein-Westfalen (NRW) unterlag die Initiative "Religionsfrei im Revier" vor dem Bundesverfassungsgericht, vor das sie gezogen waren, um eine Filmvorführung an Karfreitag zu erstreiten. Die Rede ist von dem Monty-Python-Klassiker "Das Leben des Brian".

Diesen von der "Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft" (FSK) als "nicht feiertagsfrei" eingestuften Film hatte die Initiative mehrfach in Bochum an Karfreitag in Bochum vorgeführt. Das ist in NRW jedoch verboten. "Die Bochumer fühlten sich von Kirche und Staat bevormundet, weil die öffentliche Vorführung der Monty Python-Satire in NRW am Karfreitag verboten ist.

Die Stadt verhängte ein Bußgeld, Amtsgericht und Oberlandesgericht gaben ihr Recht. Und auch am höchsten deutschen Gericht hatten die Filmfreunde kein Glück. Es hielt ihnen vor, sie hätten doch einfach eine Ausnahmegenehmigung beantragen können.

Das hatten sie versäumt - und müssen jetzt bezahlen. Genau das wollte die Initiative aber nicht, denn die Vorführung trotz des Verbots begreifen sie als einen Akt des zivilen Ungehorsams gegen die Macht der Kirche.

Für heute erteilte die Bezirksregierung Arnsberg der Bochumer Initiative "Religionsfrei im Revier" eine Ausnahmegenehmigung, sowohl für den Film als auch für ein "antiklerikales Kabarett-Programm", das den Event komplettiert. Darum läuft „Das Leben des Brian“ an Karfreitag jetzt ganz legal (Rechtsweg statt Kreuzweg).