Streng gläubig und stramm rechts
Seite 6: "Für Gott und Vaterland"
Völkisches Denken und christlicher Fundamentalismus, diese traute Zweisamkeit bei der AfD beschreibt auch Treidelbaum:
Die AfD war von Anfang an als Partei mit einem rechtsklerikalen Flügel konzipiert. Gegründet wurde sie immerhin im Gemeindesaal der Christuskirche in Oberursel am 6. Februar 2013, von achtzehn Männern. … 2016 haben sich innerhalb der AfD Angehörige des rechtsklerikalen Flügels der Bundesvereinigung 'Christen in der AfD' (ChrAfD) organisiert. … Bei der Bundestagswahl im September 2017 stellte die ChrAfD drei von 94 für die AfD in den Bundestag gewählten Abgeordneten. Wichtigste Vertreterin des rechtsklerikalen AfD-Flügels ist die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch.
Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland
Doch die AfD ist nicht die einzige Partei im rechten Spektrum, in dem christlich orientierte Menschen gezielt angesprochen werden. So gibt, bzw. gab es z. B. die Arbeitskreise "Christen in der NPD" oder auch "Christen pro Köln".
Allerdings habe der gemeinsame Kampf "für Gott und Vaterland" Grenzen, so Teidelbaum:
Grundsätzlich ist das Christentum aber eigentlich universell ausgerichtet, das heißt, alle Menschen können Mitglied der Gruppe werden, indem sie konvertieren. Die extreme Rechte dagegen akzeptiert getreu ihrem völkischen Weltbild nur weiße und möglichst noch Menschen mit deutschsprachigen Vorfahren als Teil ihrer Gruppe.
Das ergibt im Endeffekt einen gewissen Widerspruch zwischen einer universal ausgerichteten Religion, die in der Theorie alle ansprechen will und einem Nationalismus, der sich auf bestimmte Herkunftsgruppen beschränkt.
Doch es gibt auch unter Evangelikalen verbreitete Varianten von Nationalismus. Dabei wird die starre Einteilung der Welt in Staaten und Völker nicht pseudowissenschaftlich (kulturell oder biologistisch) legitimiert, sondern religiös. Man könnte von einer Art religiösem Ethnopluralismus sprechen.
"Gott schütze unser Land": Besonders unter Evangelikalen findet sich eine Form von christlichem Nationalismus, die kaum völkisch grundiert und auch weniger einwanderungsfeindlich ist.
Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland
Trotz diverser Unterschiede hätten "christliche und extreme Rechte auch allerhand gemeinsame Feindbilder: Antimodernismus, Feindbild Links, Feindbild Freimaurer, Antisemitismus bzw. Antijudaismus, Antifeminismus, das Feindbild Gender-Mainstreaming, das Feindbild Islam und Homophobie. Besonders in Osteuropa führen diese gemeinsamen Feindbilder zu Allianzen zwischen der christlichen und extremen Rechten auf der Straße".
Einig sei man sich zum Beispiel in Puncto "Lebensschutz", also in der Ablehnung von Abtreibung, doch aus unterschiedlichen Gründen. Die extreme Rechte fürchte ein Aussterben des deutschen Volkes, die christliche Rechte sehe in Schwangerschaftsabbrüchen eine Form von Mord. Bei deutschnationalen Christinnen und Christen finden sich beide Motive.
Das Thema "Lebensschutz" fand deswegen auch Eingang in die Programm rechtsextremer Parteien", z. B. in das Landtagswahlprogramm der NPD Sachsen von 2009.
"Neben gemeinsamen Feindbildern teilen christliche und extreme Rechte den Antimodernismus, den Rückgriff auf vormoderne Gesellschaften und ihre Idealisierung, die Propagierung absoluter Weltbilder in Verbindung mit der Ablehnung von Pluralisierung und Individualisierung, den Dualismus von Gut und Böse und die damit einhergehende Anfälligkeit für Verschwörungstheorien", so Teidelbaum.
Seiner Ansicht nach "stellt sich die Frage, ob die größtenteils religionskritische Linke (wo sieht er die bloß?) nicht auch in den Kirchen fortschrittliche Bündnispartner finden und unterstützen könnte. Sonst besteht die Gefahr, dass der fortschrittliche Flügel an Einfluss verliert und der bisher liberale Mainstream zunehmend Zugeständnisse nach rechts macht. "Dafür müsste die Linke allerdings auf vulgäre Religionsfeindlichkeit verzichten."
Es ist beim besten Willen nicht Aufgabe der Linken, dafür zu sorgen, dass die Kirchen einigermaßen auf Linie bleiben. Das wirksamste Mittel gegen rechts wäre, wenn die Linke sich wieder auf ihre Kernkompetenz besinnen und soziale Kämpfe führen würde. Momentan scheint das irgendwie Cockpit und der Gewerkschaft der Lokführer vorbehalten (GdL).
Gesellschaftskritik kommt aktuell von rechts, statt von links. Was wir neben sozialen Kämpfen dringend brauchen, ist eine sachliche, öffentliche Debatte über drängende gesellschaftliche Probleme, zu denen unbestreitbar auch der Rechtsruck - nicht nur unter Christinnen und Christen - gehört, geleitet von der Idee des Laizismus.
(Nicht nur) Frauen meiner Generation haben erlebt, wie der Einfluss der Kirchen zurückgedrängt werden konnte. Wenn er auch für meinen Geschmack noch viel zu groß ist. Aber wir haben die Kruzifixe rausgeschmissen aus unseren Klassenzimmern, haben rebelliert gegen Schulgottesdienst, das Gebet vor dem Essen abgeschafft, auf die Pfaffen gepfiffen, uns die kirchliche Trauung erspart und unsere Kinder nicht taufen lassen.
Wir können uns über Religionen lustig machen, ohne dafür hart, eventuell sogar mit dem Tod, bestraft zu werden. Wir können sogar an Karfreitag tanzen gehen. Wollen wir das alles, was wir so mühselig erkämpft haben, und das auf mehr als wackeligem Boden steht, wirklich aufs Spiel setzen?
Je mehr Macht Religion und religiöse Instanzen in einer Gesellschaft eingeräumt wird, desto mehr werden die Menschenrechte - zuerst die Rechte der Frauen, Minderheiten und Angehörigen anderer Konfessionen oder Konfessionslosen - eingeschränkt. Je mehr Macht die Kirchen/Konfessionen haben, desto trister und eintöniger wird eine Gesellschaft.
Wir brauchen nicht mehr Glaube, mehr Religionen, mehr Kirche, sondern weniger. Wir brauchen eine Leitkultur, ausgerichtet an den Allgemeinen Menschenrechten und den in der Verfassung verbrieften Grundrechten und dabei sollten wir den Aspekt "Trennung von Kirche und Staat" sehr ernst nehmen. Das würde uns übrigens auch die endlosen Debatten über den Islam ersparen.
Tipp: Teidelbaum, Lucius, Die christliche Recht in Deutschland - Strukturen, Feindbilder, Allianzen, Unrast Verlag, Münster, ca. 100 S.