Strompreise: Vom Himmel fallende Milliardengewinne
Nach Schätzung der Internationale Energieagentur (IEA) könnten allein im laufenden Jahr 200 Milliarden Euro Jahr als "Windfall-Profits" auf die Stromerzeuger in der EU herabregnen
Es ist erstaunlich, dass angesichts der Rekordpreise für Strom und Sprit an den Tankstellen in der deutschen Öffentlichkeit so wenig über enorme Spekulationsgewinne gesprochen wird, wie auch der Ökonom Heiner Flassbeck kürzlich im Telepolis-Interview richtig festgestellt hatte: Steigende Energiepreise: "Über Spekulation wird bisher ja überhaupt nicht gesprochen".
Die Gewinne werden derzeit zum Beispiel von Mineralölkonzernen eingefahren, die man durchaus als Kriegsgewinnler bezeichnen kann. Telepolis hatte kürzlich schon aufgezeigt, dass sich die hohen Spritpreise für Verbraucher an den Tankstellen nämlich nicht über hohe Ölpreise erklären lassen, wie allüberall suggeriert wird.
Der Ölpreis war 2008 über lange Zeit deutlich höher als derzeit, aber der Sprit war etwa ein Drittel billiger. Mit der CO2-Abgabe zwischen 7 bis 8 Cent lassen sich die Preise auch nicht erklären, wie gerne angeführt wird. Der Sprecher des Mineralölverbands En2x, Alexander von Gersdorff, gab im Interview auch weitgehend ungeschminkt zu: "Die Raffinerien verdienen derzeit deutlich mehr Geld als vorher."
Noch weniger wird über den Milliardenregen gesprochen - auch Flassbeck spricht das Thema nicht an -, der angesichts der Systeme zur Berechnung des Strompreises auf die Stromproduzenten herabfällt. Telepolis hatte in den letzten Jahren auf das spanische Beispiel hingewiesen, das besonders eklatant ist.
So hatte sogar der konservative frühere EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) schon vor zehn Jahren gefordert, das absurde Tarifsystem im Land zu verändern, weil abgeschriebene Anlagen "exzessive Vergütungen" erhielten. Derzeit purzeln die Milliarden nur so auf das spanische Strom-Oligopol, weil sich kaum etwas getan hat.
Im vergangenen Jahr hatten die Atomkraftwerksbetreiber in Spanien sogar dreist mit der Abschaltung der Meiler gedroht, falls sich die sozialdemokratische Regierung daran gemacht hätte, einen Teil der Milliardengewinne abzuschöpfen, die als sogenannte "windfall-profits" (unvorhersehbare, zufällige Gewinne aufgrund von Änderungen der Marktlage) auf sie herabregnen.
Sie gaben dabei allerdings erneut zu, dass Atomkraftwerke rentabel nicht unter normalen Marktbedingungen betrieben werden können, obwohl ohnehin viele Kosten für den Atomstrom auf die Allgemeinheit abgewälzt werden können.
Wie kommt es zu den "zufälligen Gewinnen"?
An einem Beispiel soll erklärt werden, wie Windfall-Profits entstehen. Zum Hintergrund gehört, dass die Energiemärkte jeweils von Land zu Land unterschiedlich geregelt sind, weshalb es hier nur um Deutschland und Spanien gehen soll. Am besonders absurden spanischen Beispiel kann man das vereinfacht gesagt, wie im Folgenden erhellen.
Stellen wir uns eine Gruppe vor, die in ein spanisches Restaurant zum Essen geht. Eine Person hat nur wenig Hunger und bestellt lediglich eine Portion Calamares für sechs Euro, eine zweite Person bestellt eine Paella für 12 Euro, eine dritte bestellt ein T-Bone-Steak für 30 Euro. Die vierte hat Appetit auf einen Wolfsbarsch aus dem Wildfang mit Kaviar für 72 Euro.
Stellen wir uns nun weiter vor, die Calamares stünden für abgeschriebene Atom- und Wasserkraftanlagen, die Paella für Strom aus erneuerbaren Energien wie Photovoltaik, Solarthermie, Windkraft oder Biomasse, das T-Bone-Steak für Öl und der Wolfsbarsch mit Kaviar für Erdgas, dessen Preis zusätzlich noch durch Spekulation getrieben wird.
Dann kommt die Rechnung. Ginge es nach den Regelungen am Strommarkt, so würde der Restaurantbesitzer in unserem vereinfachten Beispiel keine Rechnung für jeden einzelnen Kunden ausstellen, sondern nur eine gemeinsame Rechnung. Die würde sich aber nicht auf die Summe von 120 Euro belaufen, die sich die vier Personen jeweils anteilig zu 30 Euro aufteilen könnten, vielmehr würde die Gesamtrechnung hauptsächlich durch das teuerste Gericht, den Wolfsbarsch (Erdgas), bestimmt.
So könnte der Restaurantbesitzer nach den Regeln am Energiemarkt – vereinfacht gesagt – die Calamares zum Kaviar-Preis an den Mann bringen und somit in den Genuss von enormen "zufälligen Gewinnen" kommen. Für die hätte er nichts extra getan. Die Zusatzgewinne würden einfach aus den Veränderungen der Marktlage entstehen.
Was wir in keinem Restaurant akzeptieren würden, akzeptieren wir in der einen oder anderen Form, in dem einen oder anderen Land etwas stärker oder abgeschwächt, auf dem Strommarkt. Dazu kommt derzeit, dass die Stromerzeuger ausnützen können, dass der Preis für den wild gefangenen Wolfsbarsch über die hohen Treibstoffpreise weiter steigt und der Kaviar wegen Russland-Sanktionen erst so richtig teuer wird, damit würden nämlich auch die Windfall-Profits immer weiter steigen.
Die Calamares im Restaurant würden auf immer exorbitantere Preise klettern und dem Restaurantbetreiber würden hohe Gewinne vom Himmel herabregnen. Niemand würde diese Preise für Calamares bezahlen, doch beim Strom akzeptieren wir diese Preise scheinbar wie Naturgesetze.
Erdgas als Preistreiber
Da die Energiemärkte in Europa sehr unterschiedlich geregelt sind, setzen sich die Energiepreise in jedem Land auch etwas anders zusammen. Es würde vermutlich eine Doktorarbeit benötigen, um all die verschiedenen Systeme in Europa zu analysieren und darzustellen. Allerdings fließen überall in der EU die derzeit hohen Erdgaspreise in irgendeiner Form mehr oder weniger stark preistreibend in die Strompreise ein.
Das ist aber, wie am Beispiel Spanien aufgezeigt, nicht nur deshalb der Fall, weil die Preise für Erdgas gestiegen sind, sondern weil es verschiedene Regelungen zur Preisgestaltung erlauben, den Strompreis darüber viel stärker in die Höhe zu treiben, da der Strompreis nicht nach den realen Gestehungskosten ermittelt wird.
Ähnlich ist das auch in Deutschland. So kommt zum Beispiel hier die billige Erzeugung von Strom über erneuerbare Quellen (EE) gar nicht bei den Endkunden an, wenn der keine eigene Solaranlage auf dem Dach hat. Das hat unter anderem mit der sogenannten "Marktprämie" zu tun, die von Kennern des Energiemarkts auch als "Konstruktionsfehler" bezeichnet wird.
Eigentlich könnten die sehr niedrigen Stromerzeugungskosten über Erneuerbare den Strompreis auch für die Verbraucher senken, wenn sie selbst über keine EE-Quelle verfügen. Wegen der Gestaltung des Energiemarkts kommt allerdings kein billiger EE-Strom an den Steckdosen der Verbraucher an.
Der Konstruktionsfehler
Dass insbesondere "jüngere Wind- und Photovoltaik-Anlagen derzeit die Geldspeicher überlaufen" lassen, dafür machen Kenner, wie Christoph Podewils zum Beispiel, die CDU verantwortlich. Die hat für deutliche Windfall-Profits für Betreiber größerer Solar- und Windanlagen gesorgt. Podewils schreibt:
Auf Drängen insbesondere ihres inzwischen über eine Korruptionsaffäre gefallenen Energieexperten Joachim Pfeiffers und des bis vor kurzem für Energie im Bundeswirtschaftsministerium zuständigen Staatssekretärs Thomas Bareiß wurde 2014 die sogenannte Direktvermarktung von Strom von neuen Wind- und Solarstromanlagen mit mehr als 100 Kilowatt Leistung verpflichtend.
Christoph Podewils
Die Marktapologeten haben dafür gesorgt, dass sich die Produzenten von EE-Strom aus größeren Anlagen selbst oder über einen Dienstleister um dessen Vermarktung kümmern müssen, zum Beispiel über die Strombörse. Der "Konstruktionsfehler" liegt unter anderem darin, dass man davon ausgegangen ist, dass der Strom aus erneuerbaren Quellen stets teurer sein würde als der an der Börse gehandelte Strompreis.
Um diese Differenz auszugleichen, führten sie die so genannte Marktprämie ein. In Summe entsprachen Marktprämie und Marktpreis in etwa der Einspeisevergütung, die vor der Direktvermarktungspflicht galt.
Christoph Podewils
Die Strompreise liegen an der Börse nun aber deutlich über den Stromgestehungskosten von Wind- und Solarstrom. Das war auch schon deutlich vor dem Ukraine-Krieg der Fall. Die Marktwerte für Wind und Solar, die von den Übertragungsnetzbetreibern monatlich veröffentlicht werden, sind schon ab September 2021 deutlich auf 11 bis 12 Cent pro Kilowattstunde angestiegen.
Das zeigt, dass man den Krieg nur zum Teil für enorm steigende Windfall-Fall Profits verantwortlich machen kann. Bis in den Dezember sind die Marktwerte für Wind an Land auf 16 Cent angestiegen und für Solar sogar auf 27 Cent explodiert.
Ende Februar sind sie trotz des Krieges sogar wieder auf 11 bis 12 Cent gefallen. Aber für nur die Hälfte dieses Preises, nämlich für etwa 5 Cent, seien aber neue Solarstromanlagen im Jahr 2020 und 2021 ans Netz gegangen, erklärt Podewils in Bezug auf Angaben der Bundesnetzagentur.
Schaut man sich die Daten an, dann ergibt sich, dass spätestens ab Juni 2021 vor allem die Betreiber neuer EE-Anlagen "recht risikolos und bereits inklusive ihrer Gewinnmarge" die zufälligen Gewinne einstreichen konnten. Denn sie können Strom für fünf bis sechs Cent pro Kilowattstunde erzeugen, ihn aber schließlich für einen deutlich höheren Betrag verkaufen.
Umso älter die Anlagen, umso niedriger sind die Windfall-Profits bei Solaranlagen. Allerdings, stünden auch Windenergie-Anlagen gut da, "die älter als 20 Jahre sind und deshalb keine EEG-Einspeisevergütung mehr erhalten". Sie benötigten etwa drei Cent Betriebskosten.
Podewils mahnte schon im vergangenen Herbst dringend eine Studie an, "die anhand von erwarteten Strompreisen, Stromgestehungskosten und Wettersimulationen ermittelt, wie groß die Windfall-Profits genau werden". Er sprach "überschlagsmäßig" von mehreren Hundert Millionen Euro im Monat.
Die konnte eine Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) inzwischen bestätigen, die sich mit den Windfall-Profits beschäftigt hat. Allerdings hat sich DIW-Studie nur mit zufälligen Gewinnen beschäftigt, die im Bereich erneuerbarer Energien anfallen, was einen großen Mangel darstellt.
Wie Stromkunden entlastet werden könnten
Das DIW hat berechnet, dass die Stromkosten im vergangenen Jahr um knapp 1,7 Milliarden Euro geringer gewesen wären, wenn es keine Windfall-Profits gäbe.
Also etwa 1,7 Milliarden Euro mussten Stromkunden in Deutschland über die gesetzlich garantierte Vergütung hinaus an Windfall-Profits über die derzeitigen Regelungen allein im Bereich der Erneuerbaren Energien bezahlen. "Allein im Dezember hätte die Ersparnis bei etwa 750 Millionen Euro gelegen", schreibt das Institut.
Die DIW-Forscher stellen fest, dass über die Marktprämie, wie sie derzeit gestaltet ist, für EE-Anlagen eine asymmetrische Absicherung geboten werde: "Die Erneuerbare-Energien-Anlagen sind gegen niedrige Preise abgesichert, StromkundInnen jedoch nicht im selben Maße gegen hohe Strompreise geschützt", kritisiert die Studie.
Untersucht wurde auch, wie sich die Kosten für die Verbraucher entwickelt hätten, wenn man statt einer Marktprämie sogenannte "Differenzverträge" (Contracts of Difference/CfD) benutzen würde. Denn bei diesen CfD bekommen die EE-Anlagenbetreiber eine Differenz nur erstattet, wenn ihr Erlös unter eine garantierte Vergütung fällt.
Im Fall der CfD-Verträge, die in Europa zum Teil schon im Einsatz sind, wird vorgeschrieben, dass die Windfall-Profits auf ein Förderkonto abgeführt werden, worüber der Strompreis für die Verbraucher gesenkt werden kann. Würden statt der CDU-Marktprämie in Deutschland Differenzverträge genutzt, dann wären die Kosten für die Verbraucher eben im vergangenen Jahr um 1,7 Milliarden gesunken. 2022 dürften, schaut man sich die derzeitigen Preise an, die Windfall-Profits noch viel höher ausfallen.
Interessant ist aber, dass es in Deutschland keine Studien darüber gibt, welche zusätzlichen Gewinne zum Beispiel auf die Erzeuger von Atomstrom und Braunkohle herabregnen. Podewils räumt zwar grundsätzlich auch "heftige" Windfall-Profits für diese Sektoren ein, meint aber, dass die ihren Strom "oft langfristig und zu niedrigeren Preisen" verkaufen würden.
Der Strom aus erneuerbaren Energien würde überwiegend am Spotmarkt einen Tag vor Lieferung zu den jeweils aktuellen hohen Börsenstrompreisen vermarktet. Ob dem so ist, und welche Windfall-Profits dort entstehen, das sollte untersucht werden, bevor man dazu Aussagen macht.
In Spanien ist das ganz anders. Dass es auf dem Strommarkt um enorme Windfall-Profits geht, hat die "Internationalen Energieagentur" (IEA) gerade berechnet. Nach deren Schätzungen sollen allein im laufenden Jahr in der EU insgesamt 200 Milliarden Euro an zufälligen Profiten für die Stromerzeuger entstehen. Sogar effiziente Gaskraftwerke sollen noch deutliche Zusatzgewinne erzielen.
Doch auch hier wird von der als atomfreundlich geltenden Energieagentur mehr als zaghaft nicht einmal eine Reform gefordert, um diese absurden Zusatzgewinne abzuschaffen. Die IEA, die selbst sogar über strategische Ölreserven verfügt, spricht nur darüber, dass "vorübergehende steuerliche Maßnahmen zur Anhebung der Steuersätze auf die unerwarteten Gewinne der Elektrizitätsunternehmen in Betracht gezogen werden könnten", anstatt sie abzuschaffen.
Diese Steuereinnahmen – die natürlich unter den geschätzten 200 Milliarden Euro an zufälligen Gewinnen liegen würden - könnten auch an Stromverbraucher umverteilt werden, um höhere Energierechnungen teilweise auszugleichen.
Gedacht wird daran, die Auswirkungen auf vulnerable Gruppen abzufedern, sollten die Preise langfristig hoch bleiben. Die IEA verweist darauf, dass die Regierungen in Italien und Rumänien bereits Maßnahmen zur Besteuerung von Windfall-Profits beschlossen haben.
Warum aber sollten komplizierte Steuersysteme geschaffen werden, die wieder Kosten mit sich bringen, wenn man solche Zusatzgewinne sofort durch Regulierung abschaffen und die Stromrechnungen senken kann, statt für Steuereinnahmen zu sorgen, die über lange Umwege irgendwann in den Staatskassen ankommen und vielleicht irgendwann einmal zur Entlastung sozial schwacher Menschen eingesetzt werden?
Dass zufällige Gewinne zu Lasten der Verbraucher gemacht werden dürfen, wird nicht infrage gestellt, eine grundlegende Reform der Energiemärkte nicht einmal angesprochen. Ob die Stromversorgung nicht schlicht in die öffentliche Hand gehört, diese ketzerische Frage taucht natürlich weder beim der IEA noch beim DIW auf.