"Studierende schreiben, dass die Thematisierung von Corona interessant war"

Seite 2: "Habe Querdenkerszene nicht analysiert"

Würden Sie auf einer Querdenker-Demo sprechen?

Christof Kuhbandner: Ich bin zum Beispiel schon eingeladen worden auf Querdenker-Demos, um dort zu sprechen, und ich bin tatsächlich noch nie auf irgendwelche Demos gegangen, um dort zu sprechen. Das hat aber verschiedene Seiten, muss ich tatsächlich sagen. Ich bin jetzt da tatsächlich nicht so, dass ich die Querdenkerszene analysiert hätte.

Aber zum einen finde ich es tatsächlich ein bisschen schade, weil ich dann tatsächlich wirklich glaubwürdige Anfragen kriege aus der Querdenker-Ecke, zum Beispiel: Wollen Sie in Regensburg auf einer Veranstaltung sprechen, ich kann Ihnen versichern, wir sind nicht so, wie es hier oft rüberkommt und so weiter. Und wenn das stimmen sollte, wäre es natürlich schade.

Also an der Stelle gibt es immer ein großes Problem, finde ich jetzt in der aktuellen Situation, mit dem man selber tatsächlich dann auch immer zu kämpfen hat: Gerade wenn man sagt, man versucht als Wissenschaftler wirklich, ich nenne es jetzt mal: Dinge wissenschaftlich neutral zu betrachten und unter Umständen dann auch die Regierungsmeinung evidenzbasiert zu versuchen kritisch zu hinterfragen, dann wird man sehr schnell in eine gewisse Ecke geschoben von außen. Und es ist wirklich total schwierig, wie man damit umgeht.

Also, bei mir ist es so, dass ich mich dann permanent distanziere von diesen Dingen, auf bestimmten Veranstaltungen nicht auftreten würde, und ein Stück weit, wie gesagt, ist es dann schade, weil einem damit was genommen wird, in der Öffentlichkeit gehört zu werden. Das ist eine ganz schwierige Situation.

Und ich finde es gerade deswegen problematisch, da kommen wir vielleicht auch noch dazu: Wir haben hier praktisch eine Spaltung ein stückweit in der Gesellschaft erzeugt, die daherkommt, dass im öffentlichen Diskurs nicht wirklich ein komplettes Meinungsbild abgedeckt wird.

Wenn man relativ neutral berichten würde über die verschiedenen Sichtweisen, die es irgendwo gibt, dann würde man sofort den problematischen Querdenkern und problematischen sonstigen Gruppierungen wie zum Beispiel den Verschwörungstheoretikern den Saft abdrehen. Dann wäre das einfach weg, dann gäbe es keinen Grund mehr.

Also ein Stück weit ist das selbst erzeugt, dass man hier praktisch, was ein Wissenschaftler immer kritisch sehen würde, eine Meinung – so muss man das nennen – in den Vordergrund stellt, und diese praktisch dann von vielen als die Wahrheit empfunden wird, obwohl es aus einer wissenschaftlichen Perspektive immer verscheiden Sichtweisen auf dasselbe Thema gibt.

Haben Sie bei der Hausaufgabe zur Widerlegung der Drosten-Studie ausreichend auf Ausgewogenheit geachtet, indem Sie beispielsweise neben ablehnenden auch zustimmende Aussagen genannt haben?

Christof Kuhbandner: In Bezug auf die Drosten-Studie – das ist ja die Drosten-Studie wo es um die Viruslast bei Kindern geht – ist es einfach so, dass diese Studie einen wirklich sehr bekannten statistischen Fehler enthält. Wenn man die Ergebnisse betrachtet und die Kindergruppe mit der Erwachsenengruppe dort vergleicht, dann bemerkt man rein auf der Mittelwertebene – also was war die mittlere Viruslast: Dann haben die Kinder eine um 73 Prozent geringere Viruslast. Das ist die Mittelwertperspektive.

Dieser Unterschied wird aber nicht signifikant, das ist praktisch dann der statistische Test, den man da rechnet. Und das wird deswegen nicht signifikant, weil die Anzahl der Kinder sehr klein ist und die Erwachsenen in lauter kleine Subgruppen unterteilt wurden, sodass in den Subgruppen die Anzahl der Personen auch sehr klein ist.

Und was dann passiert, ist ein statistisch bekanntes Problem: Dann wird die sogenannte Power sehr klein – also die Wahrscheinlichkeit, einen in Wirklichkeit existierenden Mittelwertunterschied signifikant nachzuweisen. Unter so einer Bedingung, wo man praktisch – man würde das "deskriptiv" nennen – wirklich einen Mittelwertunterschied zahlenmäßig beobachtet, und nur die Power nicht ausreicht damit das signifikant wird, darf man nicht auf die Nullhypothese schließen, also darauf, dass es in Wirklichkeit keinen Unterschied zwischen den Gruppen gäbe.

Also das ist wirklich ein ganz bekannter statistischer Fehler, da sind sich auch alle Fachwissenschaftler denke ich einig. Sogar die Arbeitsgruppe um Drosten hat den Artikel ja praktisch umgeschrieben in Reaktion auf diese Kritiken und hat diese Analyse geändert. Also an der Stelle ist, glaube ich, der Punkt, dass es gar keine Alternative gibt, weil es einfach ein Fehler ist, der letztendlich von allen so gesehen wird.

Haben Sie daraus geschlossen, dass von Kindern dann keine Gefahr ausgeht?

Christof Kuhbandner: Der Punkt ist: Um diese Frage ging es an der Stelle – das habe ich glaube ich vorhin schon mal erwähnt – im Seminar gar nicht. Es ging nur darum, den methodischen Fehler zu finden. Es ging auch gar nicht um die Frage, haben den nun eigentlich Kinder eine größere oder kleinere Viruslast. Das didaktische Ziel war hier wirklich nur den methodischen Fehler zu finden.

Wenn man jetzt diese Frage beantworten möchte - das würde vielleicht dieses Interview sprengen – dann wird man zunächst festhalten können, dass jetzt zum Beispiel ganz große Studie gezeigt hat mit über 25.000 positiv getesteten Personen, dass die Viruslast bei Kindern wirklich deutlich geringer ist als bei Erwachsenen.

Und jetzt müsste man ganz viele Befunde durchgehen, das ist eine riesige Menge an Befunden, inwiefern praktisch Kinder zum einen sich weniger anstecken, das Virus vielleicht auch weniger weitergeben. Da müssten wir Studien durchgehen, wie gut schützt die Maske und so weiter und so sofort. Das können wir sehr gerne machen. Und genau so würde man auch einen wissenschaftlichen Diskurs dann führen mit Fachkollegen und Fachkolleginnen. Und so etwas würde man dann in einem Seminar, wenn es um das Thema ginge, dann auch erlebbar machen.

Dann würde man sich zum Beispiel die Stellungnahmen vom großen Fachgesellschaften anschauen, die vor kurzem vor ungefähr zwei Wochen erneut bestätigt haben: Man kann die Schulen unter bestimmten Hygienemaßnahmen öffnen, die Kollateralschäden sind viel zu hoch, die Risiken, die wir hier eingehen, die Anzahl der psychischen Störungen unter den Kindern schießt in die Höhe, benachteiligte Kinder werden extrem benachteiligt, manche Kinder sprechen nicht mehr.

Also das sind alles Dinge, die man jetzt sozusagen durchgehen könnte, und dann könnte man so einen wissenschaftlichen Diskurs abbilden. Darum geht es nur in diesem Seminar nicht. In diesem Seminar geht es nur darum, Methodenkompetenz an der Stelle zu entwickeln. Deswegen wird das in dem Seminar gar nicht vertieft. Und die Frage wird auch tatsächlich gar nicht gestellt.

"Befähigen, ihre eigene Meinung zu finden"

Wollten Sie, wie der oder die Studierende behauptet, den Seminar-Teilnehmern Ihre Corona-kritische Sichtweise aufdrücken?

Christof Kuhbandner: Also, da kann ich nur sagen, dass das wirklich überhaupt nicht der Fall ist. Ein Grundsatz in meiner Lehre ist, dass ich niemals Studierenden eine persönliche Sichtweise aufdrücken würde.

Ganz im Gegenteil, als pädagogischer Psychologe würde ich extrem das Ideal vertreten, dass man Individuen dazu befähigt, ihre eigene Meinung zu finden. Und wenn es um die Meinung als Wissenschaftler geht sozusagen, dann geht es in dem Seminar zum Beispiel darum, dass man wirklich lernen muss, wissenschaftliche Sachverhalte zu bewerten: wie man Theorien präzise prüft, ob also eine Theorie präzise und logisch korrekt formuliert ist, und wie man prüft, ob die Theorie mit qualitativ hochwertigen Methoden geprüft ist. Und das sind die einzigen Kriterien, die in der Wissenschaft zählen.

Vielmehr ist es so: als Wissenschaftler weiß man – und das wird dezidiert in dem Seminar vermittelt, dazu gibt es sogar eine ganze eigene Sitzung vorher –, dass es in der Wissenschaft und gerade in der Psychologie, wo es um komplexe Sachverhalte geht, generell keine Wahrheiten gibt. Jede Theorie beleuchteten einen bestimmten Ausschnitt des Geschehens und unterschiedliche Theorien machen unterschiedliche Handlungsvorschläge.

Und aus dieser Perspektive, gerade weil die Corona-Krise in ihrer Gesamtwirkung – also nicht nur auf das Krankheitsgeschehen, sondern auch auf die Gesellschaft bezogen – ein komplexes Phänomen ist, ist es für mich eher so, dass es ganz wichtig ist, davon wegzukommen von Sätzen, die man manchmal hört, wie: Das Virus zwingt uns dazu, etwas zu tun.

Jeder, der Ahnung von Wissenschaft hat, der weiß, dass wissenschaftliche Theorien, wenn es ein komplexes Phänomen ist, nur unsichere Vorhersagen liefern können, und dass in einer differenzierten Gesellschaft unterschiedliche Interessen und Maßstäbe vorherrschen.

Und da kann eine Wissenschaft nicht technokratisch Handlungsweisen vorgeben. Das wurde auch ja von Angela Merkel bei ihrer letzten Pressekonferenz gesagt, wenn sie sagt, es war keine wissenschaftliche, sondern eine politische Entscheidung.

Und vielleicht noch dazu: Für mich wäre es bei einer politischen Entscheidung wichtig, dass man in einer Demokratie wirklich dahin kommt, dass man verschiedene Perspektiven gemeinsam einnimmt, sich über die verschiedenen Interessen und Normen verständigt, und dann sich gemeinsam einigen muss, welche Risiken man als Gesellschaft zu welchem Preis auf sich nehmen möchte. Also das ist ganz wichtig hier zu trennen zwischen wissenschaftlichen Sichtweisen und politischen Entscheidungen. Das sind zwei unterschiedliche Handlungsfelder.

Wie bewerten Sie das Schreiben der Universitäts-Leitung? Fühlen Sie sich angesprochen?

Christof Kuhbandner: Zum damaligen Zeitpunkt, als dieses Schreiben erschienen ist, da wusste ich ja von dem Vorwurf des oder der Studenten oder Studentin nichts, und deswegen habe ich mich damals tatsächlich gar nicht angesprochen gefühlt.

Und prinzipiell ist es bei mir so, dass ich mich öffentlich eigentlich nur zu Sachverhalten äußere, bei denen ich mich als Wissenschaftler wirklich kompetent fühle. Also ich würde mich niemals dazu äußern, keine Ahnung, zu irgendwelchen Impfschäden zum Beispiel, oder wo das Virus in der Lunge andockt und so weiter.

Wozu mich äußern kann, das sind diagnostische Fragen, das sind methodische statistische Fragen, das sind Fragen zu Wirkungen, typischerweise psychologisch, und in dem Bereich habe ich tatsächlich auch peer-reviewed in einer medizinischen Fachzeitschrift schon publiziert. Also zu bestimmten Themen kann ich sehr kompetent antworten, und das ist für mich eine ganz wichtige Richtschnur.

Und für mich vielleicht dann noch wichtiger, gerade wenn es darum geht, bei solchen Themen auf die Öffentlichkeit zuzugehen: Ich habe immer ein Problem damit, wenn – und ich formuliere es mal ein bisschen überspitzt – nur mit einem weißen Kittel argumentiert wird, also damit: Hier ist der Wissenschaftler mit der Kompetenz, und was diese Person sagt, stimmt.

Viel wichtiger ist es für mich wirklich gerade in so einer Situation, wo es darum gehen würde Bürgerinnen und Bürger sozusagen mündig zu machen an solchen Entscheidungsprozessen mitzumachen, diese Dinge so zu transportieren, dass jede Person sich auf den Weg machen kann, diese Dinge durch eigenes Denken nachzuvollziehen.

Und nur solche Artikel versuche ich dann zu schreiben, die wirklich jede Person absolut aus sich heraus nachzuvollziehen kann, und wo man nicht auf irgendwelche Titel setzen muss oder sonstiges, die eine Person mitbringt. Das ist für mich als pädagogischer Psychologe, wo es darum geht, Wissen so zu vermitteln, dass es jeder gut verstehen kann, eines meiner Grundprinzipien.

Fühlen Sie sich als ein Opfer der sogenannten Cancel Culture?

Christof Kuhbandner: Es ist eine spannende Frage mit dieser Cancel Culture. Ich könnte jetzt mehrere Beispiele nennen, die mir zugetragen wurden. Ich hatte ja ganz am Anfang schon, ich glaube, das war Ende März, einen Artikel geschrieben, wo die Aufarbeitung der Zahlen durch das Robert-Koch-Institut kritisiert wurde. Und ich habe da wirklich unfassbar viel positives Feedback – was bei mir persönlich ankam – bekommen.

Und es kamen, was dann wirklich spannend war, von Fachkollegen tatsächlich E-Mails an, wo man sich zum Beispiel bedankt hat für meinen Mut. Oder man hört dann, ich habe mich das jetzt nicht so formulieren trauen in der Öffentlichkeit, weil ich Angst hatte, in der Presse verrissen zu werden. Oder ich kenne auch Journalisten, wo ich das schon so gehört habe: Wenn wir hier zu kritisch berichtet würden, dann kriegen wir einen Shitstorm von den Lesern ab.

Und das sind für mich ganz ungute Entwicklungen in einer Demokratie, wo man sich eigentlich wirklich verschiede Sichtweisen anschauen muss. Bei verschiedenen Sichtweisen ist es ganz wichtig, dass es nicht darum geht, sich jetzt Sichtweisen anzuschauen, die nicht begründbar sind, die vielleicht eigenartig sind, zum Beispiel Verschwörungstheorien, da würde ich mich komplett dagegen wehren, dass das jetzt irgendwie Sichtweisen sind, die man sich anschauen muss, weil, das sind irgendwelche wilden Spekulationen.

Aber wenn es um verschiedene Sichtweisen geht, die wirklich mit Daten und mit Zahlen ganz einfach belegt sind und sich jeder anschauen kann: Wenn man sich solche Sichtweisen nicht mehr anschauen kann, dann haben wir tatsächlich ein Problem.

Also wenn es irgendwo darum geht: Ich finde als Wissenschaftler Dinge – jetzt mal so ausgedrückt – die nicht konform sind mit der Mehrheitsmeinung, dass man dann sich nicht mehr traut, mit diesen einfach objektiven Befunden an die Öffentlichkeit zu gehen. Dann haben wir tatsächlich, finde ich, ein großes Problem in unserer Gesellschaft erzeugt.

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