Südostasiens Artenvielfalt in der Krise

Wie ökonomische Zwänge und vermeintlicher Fortschritt der Natur bekommen

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Südostasien hat von allen tropischen Regionen der Erde die größte relative Entwaldungsrate überhaupt und könnte bis zum Jahre 2100 75% des ursprünglichen Waldbestandes sowie mehr als 40% seiner Biodiversität verloren haben. In Trends in Ecology and Evolution (Band 19(2004) 654-660) berichtet eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Singapur, den Vereinigten Staaten sowie Australien über den derzeitigen Zustand und beleuchtet die Ursachen hinter dieser Zerstörung, die viele der einzigartigen Species nunmehr mit dem Auslöschen ihrer Existenz bedrohen.

Weltweit wurden 25 Artenvielfalts-Krisenherde registriert, allein vier davon befinden sich in Südostasien. Jeder einzelne blickt auf eine einzigartige geologische Geschichte zurück, die zu ihrer ursprünglichen Artenvielfalt beigetragen hat.

So dehnten einige Arten während des Pleistozäns ihr Territorium im nördlichen Asien dauerhaft südwärts nach Indo-Burma aus. Schwankende Meeresspiegelhöhen verwandelten Berge in isolierte Inseln mit idealen Bedingungen für die Artbildung. Außerdem schufen sie Verbindungen zur asiatischen Festlandmasse und ermöglichten so biotische Migrationen vom Festland in die Inselgruppen.

Dipterocarpaceae (Quelle:FAO)

Obwohl es nie mit dem asiatischen Kontinent verbunden war, ist Wallacea (indonesische Inseln östlich von Java, Bali und Borneo und westlich Papua Neu-Guinea) eine der komplexesten geologischen Regionen der Welt, weil seine Inseln aus Fragmenten hervorgingen, die in verschiedenen geologischen Epochen von Gondwana abbrachen. Diese geologische Besonderheit in Kombination mit einem stabilen tropischen Klima ermöglichte die Ausbildung einer besonders artenreichen Flora und Fauna. Eine andere geologisch spezielle Gegend sind die Philippinen mit ihren ca. 7000 Inseln. Die Kolonisierung neu gebildeter Inseln, gefolgt von genetischer Differenzierung und erfolgreichem Überdauern, resultierten in einem außergewöhnlich hohen Artenreichtum und einzigartigen ökologischen Prozessen.

Ein Beispiel ist das mast fruiting in der Familie der Dipterocarpaceae (Flügelfruchtgewächse - 155 verschiedene Species in Borneo), die die noch intakten südostasiatischen Regenwälder dominieren - und auch den Markt, ihr Holz macht 85% des indonesischen Holzexports aus. Dieses Phänomen tritt auch in anderen Baumfamilien auf. Bäume einer Art blühen gleichzeitig und produzieren über die nächsten Monate Früchte - mit weitreichenden Folgen für das Ökosystem, denn jetzt vermehren sich auch die bestäubenden Insekten rasant, die wiederum die Nahrungsquelle für andere Tiere bilden. Frugivoren (Früchtefresser) vermehren sich nun ebenfalls in starkem Maße. In den darauf folgenden Jahren dagegen werden keine oder nur sehr wenige Früchte gebildet. Mittlerweile ist bekannt, dass diese Reifung durch ENSO-Ereignisse (El Niño/ Southern Oscillation) ausgelöst wird und wahrscheinlich eine Überlebensstrategie darstellt, die die Früchtefresser sättigt und trotzdem genug Sämlingen die Chance zur Weiterentwicklung bietet.

Heutzutage werden die verbliebenen geschützten kleinen bzw. zerstückelten Waldgebiete intensiv von Früchtefressern heimgesucht, die so die Chance von Keimungen oder des Überlebens der Sämlinge verringern. Unkontrolliertes Holzfällen hat die produktivsten Dipterocarpaceae-Wälder zerstört oder fragmentiert, selbst eine Verschlimmerung der Folgen von ENSO-Ereignissen wurde registriert. Das großflächige Einsetzen der Fruchtproduktion in den Mastjahren ist unterbrochen. Selbst während ENSO-Ereignissen werden nicht mehr genügend Früchte gebildet - eine Folge des ausgedünnten Dipterocarpaceae-Bestands.

Momentaner Zustand der südostasiatischen Biodiversität

Die World Conservation Union (IUCN) führt in Südostasien drei Pflanzen- und acht Tierspezies in der Rubrik ausgestorben. Diese Angaben sind hinsichtlich des tatsächlichen Zustands nur bedingt aussagekräftig. Es wird befürchtet, dass wegen der massiven Entwaldungen und der resultierenden Lebensraumzersplitterung Arten unbemerkt verschwunden sind, aber noch als anzutreffen geführt werden.

Obwohl die Zahl der ausgestorbenen Arten nicht bedrohlich erscheinen mag, ist der Grad der Gefährdung noch vorhandener Species enorm. Die IUCN gibt einen Überblick für Lebewesen von Gefäßpflanzen bis hin zu Säugetieren, gestaffelt nach Gefährdungsgraden (stark gefährdet, gefährdet, anfällig).

Umwandlung der Wälder

Die Umwandlung natürlicher Lebensräume für andere Nutzungen ist die Hauptursache für den weltweiten Verlust an Artenvielfalt. Der Großteil Südostasiens war vor 8000 Jahren bewaldet. Die großflächigen Entwaldungen begannen zu Beginn des 19. Jahrhunderts - der wachsende lokale und globale Bedarf an Reis (Oryza sativa) begründete die Expansion der Landwirtschaft. Die Anpflanzungen mehrjähriger Pflanzen zu Exportzwecken wie Gummi (Hevea brasiliensis), Ölpalmen (Elaeis guineensis) und Kokospalmen (Cocos nucifera) tragen zu 20-30% der angebauten Fläche bei. Nach 1950 führte der steigende Bedarf an asiatischen Hölzern zur Ausbreitung von kommerziellen Holzfällern, die es hauptsächlich auf die verschiedenen Dipterocarpaceae-Species abgesehen haben.

Die unmittelbarste Folge dieser Einschläge ist die einschneidende Veränderung der vielschichtigen Wald-Stockwerke und des geschlossenen Kronendachs. Die Verringerung von Kronendach-Höhe, Oberfläche und Größe der Kronen war nach selektiven Fällungen in Malaysia noch selbst nach einer 40-jährigen Regenerationsphase zu sehen.

Die Umwandlung der Wälder in landwirtschaftliche Nutzflächen haben noch nachteiligere Auswirkungen, da der Boden seiner Nährstoffe beraubt und der auf die intensive Nutzung folgenden Erosion ausgesetzt wird. Selbst ein Jahrhundert später wurde auf verlassenen und sich selbst überlassenen Äckern nur 60% des Pflanzenreichtums, verglichen mit einem Primärwald, festgestellt. Neben dem Niedergang des Artenreichtums von Ameisen, Termiten, Mistkäfern, Bienen, Schmetterlingen, Motten, Vögeln und Säugetieren ist vor allem der Verlust von Tieren bedenklich und für die Regeneration abträglich, die Saatverteilung, Nährstoff-Recycling, Bestäubung sowie andere ökologische "Dienstleistungen" übernehmen.

Waldbrände und Dürrephasen

Eine Kombination aus schlechten Praktiken der Land-Umwandlung, Holzfällen und intensiveren ENSO-Ereignissen erhöht die Chance auf katastrophale Waldbrände in der Region beträchtlich (Feueralarm für das globale Klima). In den Feuern der Jahre 1997-1998 verbrannten allein in Indonesien fünf Millionen Hektar Wald (Sumatra, Kalimantan). In Wäldern, die einem selektiven Holzeinschlag ausgesetzt waren, breiteten sich Brände aus, die in ungestörten Regenwäldern in diesem Ausmaß nicht vorkommen. Aufgrund des Verlusts der fruchtbildenden Bäume wie Dipterocarpaceae kam es zu einem Absinken der Frugivoren-Populationen wie die des Schildschnabels (Buceros vigil) um 50%. In einigen Gebieten verschwand der Siamang (Holobates syndactylus), die größte Gibbon-Art, vollständig.

Tropische immergrüne Tiefland-Regenwälder benötigen mindestens 2000 mm Regen, gleichmäßig verteilt über das Jahr. 2500-3800 mm sind normal. Ein Regenwald mit einmonatiger Dürre im Jahr, aber mit noch über 2000 mm Regenfall, kann sich anpassen - typisch für den Regenwald des kontinentalen Teils Südostasiens. Die sommergrünen Wälder des Kontinents, die auch jährliche Waldbrände gewohnt sind, stellen im Vergleich zu den immergrünen Regenwäldern komplett verschiedene Ökosysteme dar.

Wenn die Temperaturen während ENSO-Dürreperioden ansteigen, wird das Baumwachstum reduziert und weniger Kohlenstoff im Holz fixiert. Sauerstoff-verbrauchende Stoffwechsel-Prozesse im Waldboden können letztendlich zu einer geringeren Gesamtproduktion von Sauerstoff in Regenwäldern führen - bis hin zu negativen Bilanzen. Dann verlieren die Wälder ihre Eigenschaft als Kohlenstoffsenke und "grüne Lunge".

Experten raten seit längerem zu einem Einschlagverbot, auch für das selektive Holzfällen.

Jagd und Handel von Wildtieren

Gegenwärtig werden Wildtiere in Südostasien mit einer gegenüber einer nachhaltigen Quote mehr als sechsfach überhöhten Rate bejagt. Südostasien ist außerdem ein Mittelpunkt des Wildtier-Handels.

Bekannte offizielle Zahlen sind aller Wahrscheinlichkeit nach starke Untertreibungen des tatsächlichen Volumens. Der lukrative Handel von Haustieren ist dabei die Haupttriebfeder und hat einige Arten an den Rand des Aussterbens gebracht - wie den Balistar (Leucopsar rothschildi), dessen Lebensraum mittlerweile auf den Bali Barat National Park beschränkt ist und von dem es keine 20 wilden Exemplare mehr gibt.

Der Handel mit Rohstoffen für die traditionelle chinesische Medizin hat ebenfalls schädigende Auswirkungen auf die Tierwelt, z.B. auf die Populationen von Tigern, Bären, Nashörner, Schildkröten, Schlangen, Tokay-Geckos, Pangolins, Affen und Salangane. Zwischen 1975 und 1992 importierte Südkorea mehr als sechs Tonnen Tigerknochen, allein 60% davon aus Indonesien. Die verbliebene Wildpopulation an Sumatra-Tigern wird auf 500 geschätzt.

Beispiel Singapur

Der Stadtstaat Singapur kann als Anschauungsbeispiel für den ökologischen GAU dienen. Singapur hat ein exponentielles Bevölkerungswachstum erfahren - ausgehend von rund 150 Dorfbewohnern im frühen 19. Jahrhundert bis hin zu 4.6 Millionen Menschen im Jahre 2003 - auf 650 Quadratkilometern. Singapur wandelte sich in den vergangenen Jahrzehnten vom Entwicklungsland zur Metropole mit wirtschaftlichem Wohlstand und ist heute das vermeintlich ideale ökonomische Modell für Entwicklungsländer schlechthin.

Dieser Erfolg wurde teuer erkauft - mit der biologischen Artenvielfalt als "Zahlungsmittel". Die Insel erlebte eine massive Entwaldung - zu mehr als 95%. Ursprünglich wegen der Kultivierung von kurzfristig Gewinn abwerfenden Kulturpflanzen wie Gambier und Gummi eingeleitet, dann aufgrund von Urbanisierung und Industrialisierung fortgeführt, ging sie einher mit dem massiven Verschwinden großer Teile der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt. Die verbliebenen Reste kann man sich im Zoo oder auf Cocktail-Safaris zu Gemüte führen.

Ähnliche ökologische Szenarien entfalten sich gerade in viel größerem Maßstab in anderen südostasiatischen Ländern, wie z.B. Indonesien.

Aussichten

Gegenwärtig gibt es 2262 geschützte Gebiete in Südostasien, mit einer Gesamtfläche von 58 Millionen Hektar. Mehr als die Hälfte dieser Gebiete befinden sich in Indonesien und in Malaysia. Doch die jüngere Vergangenheit zeigt, dass dieser Status kein Garant für einen wirkungsvollen Schutz ist (Schmiergelder bedrohen globale Artenvielfalt).

Die eigentlich verheerende Triebkraft ist ökonomischer Natur. Ein Schutz der verbliebenen Regenwälder und seiner Bewohner ist nur mit einer Unterstützung der Ersten Welt durch Ausgleich möglich. Doch gerade die verspürt einen unbändigen Appetit auf die noch vorhandenen natürlichen Schätze und befindet sich zu allem Überfluss in einem mörderischen Konkurrenzkampf mit der entfesselten Ökonomie Asiens. Da bleibt für die Bewahrung der Schöpfung wenig Gelegenheit.

Schätzungen besagen, dass Südostasien bei gleichbleibender Zerstörungsgeschwindigkeit von Lebensräumen bis zum Jahre 2100 13-42% der regionalen Populationen aller Arten verlieren könnte; für mindestens die Hälfte dieser Arten bedeutet das auch gleichzeitig das globale Aussterben. Die Zukunftsaussichten für die Regenwälder Südostasiens bleiben trostlos.