Symbolische Entschädigung für Griechenland

Bild: Erschießung von Zivilisten in Kondomari, Kreta 1941. Deutsches Bundesarchiv Bild 101I-166-0527-04. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

In der Debatte über Reparationen für Griechenland schlägt das Außenamt nun einen "Zukunftsfonds" vor. Opfer deutscher Verbrechen dürften dann Anträge in Berlin einreichen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jetzt liegen also die Zahlen auf dem Tisch: 278,7 Milliarden Euro soll die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs Griechenland schulden. Die Summe wurde von einem Ausschuss des griechischen Parlaments genannt und stützt sich auf verschiedene Posten, darunter maßgeblich Plünderungen, Zerstörungen und einen Zwangskredit aus dem Jahr 1942. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras hat damit deutlich gemacht, dass sie das Thema erstmals seit dem Sieg der Alliierten über Nazideutschland 1945 ernsthaft auf die politische Agenda setzen will. Die Bundesregierung reagiert mit Ablehnung. Allerdings hat sich auch in Berlin die Erkenntnis eingestellt, dass die Forderungen nicht mehr vollständig abgeblockt werden können. Das Auswärtige Amt will daher zumindest die Kontrolle über einen etwaigen Ausgleichsfonds behalten. Für die Opfer deutscher Massaker und ihre Nachkommen eine schwer vorstellbare Option.

Seit der Nennung der Summe hat sich die Stimmung zwischen Athen und Berlin noch einmal verschlechtert. "Dumm" nannte der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel die Forderungen aus Athen unlängst. "Abschließend und final geklärt" sei der Fall Griechenland, heißt es von der Regierung.

Für Deutschland vielleicht. Nicht aber für Griechenland, wo die Massaker bis heute Teil der Erinnerungskultur sind. Etwa im mittelgriechischen Bergdorf Distomo, in dem die deutschen Besatzer am 10. Juni 1944 insgesamt 218 Menschen ermordeten. Jährlich wird dort dem Geschehen gedacht, das im Spiegel 1997 schon einmal eingehend geschildert worden war: "Männer wie Kinder wurden wahllos erschossen, Frauen vergewaltigt und niedergemetzelt, vielen schnitten Soldaten die Brüste ab. Schwangere wurden aufgeschlitzt, manche Opfer bei lebendigem Leib mit dem Bajonett gemeuchelt. Anderen wurden Köpfe abgetrennt oder Augen ausgestochen."

Den Opfern und ihren Nachkommen ist klar, dass dies nicht durch Geld aufzuwiegen ist. Niemand in Griechenland hat zudem die Illusion, dass die Milliardensumme eines Tages gezahlt werden wird. Ihm würde auch nur ein Euro genügen, wenn Deutschland die moralische Schuld anerkenne, sagte Finanzminister Yannis Varoufakis unlängst. Der deutsch-griechische Politiker Jorgo Chatzimarkakis schlug vor, etwaige Zahlungen aus Deutschland für den Aufbau einer Entwicklungsbank nach dem Vorbild der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu nutzen.

Argumente werden zurechtgelegt

Dabei ist das Thema der Entschädigung für Griechenland längst in einer Propagandaschlacht gemündet. Die griechische Seite hebt natürlich mit voller Absicht die moralische Schuld der Bundesrepublik hervor, die in ihrer Bonner wie Berliner Zeit alles daran gesetzt hat, die Forderungen aus Athen abzublocken - worauf unlängst noch einmal die ZDF-Satiresendung "Die Anstalt" verwies.

In Deutschland melden sich indes zuhauf direkte oder indirekte Vertreter der Regierungsseite zu Wort, um nach Belieben Argumente zurechtzubiegen. So nannte es der SPD-Mann Gabriel eben "dumm", die Entschädigungsfrage mit den laufenden Verhandlungen über Kredite zu vermischen. Doch gerade diese Position vertrat unlängst der Göttinger Jurist Frank Schorkopf, der seine Karriere als CDU-Mitarbeiter begann. Schorkopf lehnte die Forderungen aus Athen im "Spiegel"-Interview just mit dem Argument ab, die Hellenische Republik habe im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses bereits Transferleistungen aus Deutschland erhalten, die "ohne weiteres die Höhe möglicher Reparationszahlungen" erreichten.

In der Berliner Zeitung meldete sich der wegen seiner Polemiken umstrittene Historiker Götz Aly zu Wort, um vermeintliche "griechische Schuldenlegenden" zu kritisieren. Alys Argumentation in Bezug auf den Zwangskredit: Nazideutschland habe seine Schulden an Griechenland schon vor 1945 unter anderen durch Lebensmitteleinfuhren beglichen. Eine wissenschaftlich und moralisch unerträgliche Behauptung, durchlitt Griechenland von 1941-1944 unter deutscher Besatzung die Μεγάλος Λιμός, die Große Hungersnot mit bis zu 450.000 Toten.

"Zukunftsfonds" heißt - entscheiden würde Berlin

Unter dem Druck der international geführten Debatte musste die Bundesregierung von ihrer anfänglichen Totalblockade gegen jegliche Forderungen aus Griechenland bereits abrücken. So zeigt man sich in Berlin inzwischen bereit, einen im vergangenen Jahr geschaffenen "Deutsch-griechischen Zukunftsfonds" zu nutzen, um den Forderungen zumindest symbolisch entgegenzukommen. Für das Vorhaben hatte die Bundesregierung 2014 eine Million Euro zur Verfügung gestellt, mit denen bis 2017 Projekte zur Pflege der Erinnerungskultur finanziert werden sollen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung des Jugendaustauschs und der Finanzierung von Forschungsprojekten.

Allerdings geht es Berlin offenbar auch darum, die Kontrolle über etwaige Initiativen zu behalten und zugleich den bestehenden moralischen Dilemmata zu entkommen. Schließlich könnte das Außenamt bei einer Ausweitung des "Zukunftsfonds" endlich etwas vorweisen. Bloß, unter welchen Bedingungen fände die Erinnerungsarbeit statt? Aufklärung bringen die Antworten des Außenamts auf eine Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Ulla Jelpke, die sich seit Jahren um das Thema kümmert. "Projektanträge", heißt es dort. "können beim Auswärtigen Amt (Referate 601 und 604) eingereicht werden sowie bei der Botschaft Athen und dem Generalkonsulat in Thessaloniki." Sprich: Die Nachfahren der Opfer müssten etwaige Projekte von den Nachfahren der Täter prüfen lassen.

"Der deutsch-griechische Zukunftsfond, ist in Wahrheit ein deutscher Fond, mit dem das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte mit einer vermeintlich großzügigen Geste rechtsunverbindlich abgeschlossen werden soll", sagt Triantafillia Thiesing-Kostopoulou vom Verband griechischer Akademiker Berlin-Brandenburg. Jegliche eventuelle Zahlungen aus diesem Fond würden ausschließlich unter der politischen Kontrolle der Bundesrepublik erfolgen. "Falls die griechische Regierung unter dem Druck der deutschen Seite diesen Plänen zustimmen sollte, dann müsse man davon ausgehen, dass die Bundesrepublik weiter Rechtsansprüche abweisen kann. " Der Klageweg individueller Opfer und ihrer Erben wäre damit erneut und endgültig versperrt", so Thiesing-Kostopoulou.

Tsipras bezog in Rede Position

In einer Rede vor dem griechischen Parlament hatte Ministerpräsident Tsipras am 10. März die Position seiner Regierung ausgeführt. Es gehe ihm auch darum, "die Soldaten des nationalen griechischen Widerstands zu ehren, die ihr Leben gaben, um der Besatzung und den Gräueltaten der Nazis ein Ende zu setzen, damit wir heute in einem freien und souveränen Land leben können". Die Generation, die die Nazi-Besatzung erlitten habe, sei noch am Leben. "Die Folterungen und Hinrichtungen sind noch präsent im kollektiven Gedächtnis unseres Volkes", so Tsipras, der forderte, diese Erinnerungen heute auch für die jüngeren Generationen wachzuhalten. Dies sei notwendig, "damit wir die Verwüstungen nicht vergessen, die der Nazismus und Faschismus angerichtet haben". Tsipras weiter:

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden Lehren aus der Geschichte gezogen. Trotz der Verbrechen des Dritten Reiches und der massiven Zerstörungen durch Hitlers Soldaten, trotz des ungeheueren Verbrechens des Holocaust, wurde Deutschland die Möglichkeit gegeben - und das zu Recht - von einer Reihe von Maßnahmen zu profitieren. Die wichtigsten waren: Erlass der Schulden aus dem 1. Weltkrieg, das Londoner Schuldenabkommen von 1953 und natürlich auch die enormen Summen, die die Alliierten Deutschland für seinen Wiederaufbau zukommen ließen. Das Londoner Schuldenabkommen legt jedoch auch fest, dass die letzten deutschen Reparationen aus dem 2. Weltkrieg durch einen endgültigen Friedensvertrag geregelt werden sollten. Eine Friedensregelung wurde wegen der deutschen Teilung erst 1990 unterschrieben. Doch alle deutschen Regierungen seither entschieden sich, zu schweigen, juristische Spitzfindigkeiten zu nutzen, zu verzögern, zu vertagen. Ist dies wirklich eine moralische Haltung?

Alexis Tsipras

Die notwendige Klärung müssten Juristen und Historiker leisten. "Ich möchte dem griechischen und dem deutschen Volk versichern, dass wir uns diesem Thema mit der erforderlichen Sensibilität widmen werden. Wir erwarten jedoch das Gleiche von der deutschen Regierung", so Tsipras.

Berlin bittet zum Rapport

Sensibilität ist es aber wahrscheinlich, was viele Betroffene in Griechenland auf der deutschen Seite am meisten vermissen. Denn nicht erst die angestrebte deutsche Kontrolle von Erinnerungsprojekten provoziert in Hellas Ablehnung. Schon vergangenen September sorgte Hans-Joachim Fuchtel, Staatssekretär im Entwicklungsministerium und so etwas wie der Griechenland-Beauftragte der Bundesregierung, mit einem für die deutsche Regierung typischen Vorgehen für einen Eklat. Er sandte einen achtseitigen Fragebogen an Gemeinden, die deutschen Gräueltaten zum Opfer gefallen sind. Die Informationen seien Grundlage für etwaige Zuwendungen aus Berlin, hieß es. Neben dem Vermögen der Gemeinden wurden Details abgefragt, etwa zu Müllentsorgung und zu möglichen deutschsprachigen Kontaktleuten. Die Adressaten reagierten ungehalten. Der Bürgermeister der Gemeinde Viannos auf Kreta etwa kündigte im Radio an, Fuchtel eine eigene Liste zu schicken - mit den Namen der 400 Opfer eines Massakers in dem Dorf.

Die Debatte um Reparationen oder, weniger konkret, die historische Schuld Deutschlands kann im Land der Täter kaum mehr sachlich geführt werden. Längst hat sich eine Wagenburgmentalität durchgesetzt, die deutsche Volksseele kocht in den Internetforen. Eine ZDF-Umfrage, nach der drei Viertel der Deutschen Entschädigungen für Griechenland ablehnen, ist noch der zivilisierteste Ausdruck dieser Haltung, die zugleich eine der Sache immanente Hilflosigkeit belegt. Denn im Zweifelsfall wird im europäischen Rechtsgefüge nicht in Berlin über die Ansprüche aus Athen und den gut 90 "Märtyrerdörfern" entschieden, sondern vor zuständigen internationalen Gerichten. Und selbst wenn die Kläger dort unterliegen, hätte Berlin moralisch verloren.