Syrien: Russisches Verteidigungsministerium warnt weiter vor inszeniertem Giftgasangriff
Der Westen will die Offensive auf Idlib abwenden und damit die zehntausenden dschihadistischen Kämpfer schützen
Mit großem Nachdruck und immer wieder wird vom russischen Verteidigungsministerium behauptet, dass in Idlib ein Giftgasanschlag vorbereitet wird, der dazu dienen soll, einen erneuten Angriff zu rechtfertigen. Die USA haben zusammen mit Frankreich und Großbritannien bereits mit Militärschlägen gedroht, wobei nur Syrien, Iran und Russland im Visier stehen. Offenbar wird ausgeschlossen, dass auch eine der zahlreichen islamistischen Gruppen, die sich in Idlib aufhalten, einen solchen Angriff fingieren könnte. Das passt nicht in die Eskalationslogik (Alle Seiten spielen mit dem Szenario eines Giftgasangriffs in Idlib).
Russland behauptet, das sei auch das letzte Mal in Duma der Fall gewesen, wo mit der Hilfe der Weißhelme ein gefakter Giftgasangriff inszeniert wurde. Das Trio USA, Frankreich und Großbritannien hat Beweise oder auch den Befund der OPCW gar nicht abgewartet, sondern gleich syrische Ziele beschossen, die angeblich mit dem syrischen Chemiewaffenprogramm zu tun haben. Die schnelle Reaktion, die auch eine Gefährdung der gerade in Damaskus eingetroffenen OPCW-Inspektoren einschloss, macht misstrauisch, dass es sich um ein abgekartetes Spiel zwischen bewaffneten, in der Regel dschihadistischen Gruppen in Syrien, die vom Westen, der Türkei oder von Golfländern unterstützt werden, und amerikanischen, britischen oder französischen Geheimdiensten handelte.
Abgesehen davon ist kaum nachzuvollziehen, warum syrische Truppen und letztlich auch Russland einen solchen angeblichen Chemiewaffeneinsatz wie in Duma, der militärisch völlig bedeutungslos war, im Wissen riskieren sollten, damit Angriffe zu provozieren. Unterstellen müsste man dann, dass Damaskus - und Moskau - eine direkte militärische Konfrontation mit den USA und Alliierten provozieren wollen, wofür aber nichts spricht.
Oder wollen Damaskus und Moskau den USA eine Falle stellen, indem sie vorgeben, dass ein demnächst sich ereignender Chemiewaffeneinsatz von den bewaffneten Gruppen in Idlib begangen wurde, was dann rechtfertigen würde, mit massiven Angriffen gegen sie vorzugehen? Schließlich werden Damaskus und Russland unter Druck gesetzt, Idlib nicht anzugreifen, weil damit 3 Millionen Zivilisten gefährdet werden können, wobei man allerdings unterstellen muss, dass der Westen so zumindest Teile der bewaffneten Gruppen - die Rede ist von bis zu 100.000 Kämpfern, darunter 10.000 bis 30.000 Kämpfern der mit al-Qaida verbundenen HTS - als Bollwerk gegen die Assad-Regierung schützen will.
Überdies dürfte die Sorge bestehen, dass man nicht weiß, wohin die militanten Dschihadisten verfrachtet werden sollen. In Syrien gäbe es nur die von der Türkei besetzten Gebiete, die aber Zehntausende weitere Kämpfer mitsamt ihren Familien kaum aufnehmen können (Syrien: Wohin mit 60.000 Kämpfern für einen islamistischen Staat?). Weißhelme konnte man noch ausschleusen und auf westliche Länder verteilen - Deutschland nimmt auch einige auf -, aber islamistische Kämpfer kann man zwar in Syrien unterstützen (Niederlande beendet Unterstützung der Weißhelme und der bewaffneten Opposition), kann man aber beim besten Willen nicht aufnehmen, auch wenn sie als Feind des Feindes als Freunde gelten (Israel hat seit Jahren syrische "Rebellen" mit Waffen und Geld unterstützt).
Zunächst hatte man mit der Türkei versucht, alle militanten und dschihadistischen Gruppen zu vereinen und mit dem neuen Namen der Nationalen Befreiungsfront (NLF) auszustatten, um so der syrischen-russischen Offensive die Legitimation zu nehmen. Dummerweise haben nicht alle Gruppen, vor allem HTS, mitgespielt. Jetzt drohen dennoch die USA mit den Alliierten, nach Unionspolitikern sollte auch die Bundeswehr beteiligt werden, mit neuen Angriffen, selbst wenn es keinen Giftgasangriff gibt, während die Türkei die Beobachtungsposten um Idlib massiv mit Truppen und Panzern verstärkt hat (Drohungen der Türkei Richtung Damaskus).
Das russische Versöhnungszentrum in Syrien hatte schon vor Tagen aufgrund von angeblichen Informationen aus der Bevölkerung berichtet, dass die Weißhelme mit Dreharbeiten in Dschisr asch-Schughur in Idlib für einen fingierten Giftgasangriffe begonnen hätten. Dabei gewesen soll auch ein lokales Team eines großen amerikanischen Senders. Zuvor seien "zwei Behälter mit einer Giftsubstanz auf Chlorbasis" zum Aufnahmeort geliefert worden sein. Frühere Berichte erklärten, die Chemiekanister seien aus der Türkei gekommen. Es war immer die Rede, dass der Anschlag demnächst inszeniert werden würde.
Gestern behauptete das russische Verteidigungsministerium, es seien Chlorkanister nach Basankul gebracht worden, um einen Giftgasangriff zu fingieren. Generalleutnant Vladimir Savchenko vom russischen Versöhnungszentrum in Syrien sagte gestern, die Kanister seien von Kämpfern der HTS, also der mit al-Qaida verbundene Miliz, ehemals al-Nusra, geliefert worden.
Was würde also geschehen, wenn Giftgas in Idlib eingesetzt oder ein solcher Angriff fingiert wird? Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Angriff seitens der USA mitsamt der Alliierten erfolgen, unabhängig davon, wer der Täter ist. Die Frage ist, ob Syrien und Russland aufgrund dieser Drohung die Offensive auf Idlib abblasen werden. Das wird von den Verhandlungen zwischen der Türkei und Russland abhängen, die noch stattfinden. Würde sich Russland in den Konflikt einmischen oder sein in Syrien stationiertes Luftabwehrsystem S-400 dieses Mal aktivieren? Auffällig ist, dass die Weißhelme seit 10. September auf Twitter nichts mehr gepostet haben.
Ob Israel nur eigene Interessen verfolgt oder in Übereinstimmung mit amerikanischen Plänen handelt, muss offen bleiben. Gestern soll nach Angaben der syrischen Regierung der Flughafen von Damaskus von israelischen Raketen angegriffen worden sein. Angeblich wurden alle Raketen abgeschossen. Angeblich galt der Angriff einem Waffenlager für schiitische Milizen. Und wieder einmal haben die Russen offenbar ihre eigenen Luftabwehrsysteme nicht eingeschaltet. Daraus ließe sich schließen, dass Russland so lange nicht eingreift, wie seine Soldaten und Stützpunkte in Syrien nicht angegriffen werden.