Szenarien für Angriffe und Gegenschläge

Während die iranische Führung auf Irans Recht auf Atomenergie beharrt, werden die Folgen eines Angriffs auf die iranischen Atomanlagen erwogen

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Gestern betonte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid-Reza Asefi, dass die iranische Regierung entgegen anderslautenden Äußerungen von Präsident Ahmadenidschad am Atomwaffensperrvertrag festhalten werde, aber sich dagegen wehre, dass dieser "politisch" missbraucht werde, um das Atomprogramm zu unterbinden. Die Verhandlungen mit Russland über den Kompromiss, angereichertes Uran einzuführen, wurden vorerst verschoben. Die Strategie im Atomkonflikt ist weiterhin innerhalb der iranischen Regierung umstritten. Präsident Ahmadenidschad hatte in einer Rede am Sonntag zum 27. Jahrestag der "Islamischen Revolution" erneut deutlich gemacht, dass man auf dem Zugang zur Atomtechnologie bestehe. Und mit einer erneuten Provokation erklärte er die Lage der Palästinenser zum "eigentlichen Holocaust". Hinter der Bühne werden in den Ländern, die den Konflikt schüren, allen voran Iran, Israel und die USA, neben den diplomatischen und rhetorischen Strategien auch die militärischen Möglichkeiten erwogen.

So berichtete der britische Telegraph, dass Militärstrategen im Pentagon Pläne schmieden, um mit Bombardierungen von Nuklear-Anlagen den Iran daran zu hindern, Atomwaffen herstellen zu können. Dass in Zeiten eines sich aufschaukelnden Konflikts, in dem militärische Aktionen als Druckmittel nicht ausgeschlossen werden, die Militärs sich auf mögliche Angriffs- oder Verteidigungsstrategien vorbereiten, ist nichts Ungewöhnliches und bedeutet natürlich keinesfalls, dass tatsächlich bereits unabwendbar mit einem Krieg gerechnet werden müsste. Angeblich aber hätten sich die derzeitigen Vorbereitungen, wie der Telegraph von einem Informanten aus dem Pentagon erfahren haben will, in letzter Zeit an Dringlichkeit gesteigert. Das könnte aber auch wieder heißen, dass das Pentagon den Iran über den Umweg der Medien wissen lassen will, dass man es ernst meint.

Angeblich werde geplant, die iranischen Atomanlagen mit B2-Bombern anzugreifen. Sie sollen von Missouri starten und auf dem Weg zu ihren Zielen in der Luft aufgetankt werden. Mit Präzisionsbomben, die tief in den Boden eindringen, sollen die unterirdischen Anlagen zerstört werden. Möglicherweise könnten auch ballistische Raketen von umgerüsteten Trident-U-Booten abgefeuert werden.

Vermutlich steht die US-Regierung unter hohem Druck seitens der israelischen Regierung, die der Meinung ist, dass der Iran womöglich schon in wenigen Monaten atomwaffenfähiges Plutonium hergestellt haben könnte, weswegen man hier - verstärkt durch die Drohungen des iranischen Präsidenten - zu einer schnellen militärischen Aktion neigt. 1981 hatte bereits die israelische Luftwaffe im Alleingang den Atomreaktor Osirak I bei Bagdad zerstört, um ein irakisches Atomwaffenprogramm zu verhindern. Da ein israelischer Angriff, der schon seit längerem erwogen wird (Kaum Chancen für den Frieden) und für den die USA bereits Hunderte von bunkerbrechenden Bomben geliefert haben, aber die Region völlig ins Chaos stürzen könnte, ist zu vermuten, dass die US-Regierung präventiv zuschlagen könnte. Ohne die Duldung der USA dürfte Israel auch keinen Angriff gegen Iran durchführen, zumal auch vom US-Militär kontrollierter Luftraum dazu überflogen werden müsste.

Nach dem Bericht Iran: Consequences of a War von Paul Rogers von Oxford Research Group würde eine Bombardierung zahlreiche Opfer fordern und zudem neben den USA und Iran auch Israel, Irak und den Libanon mit in den Konflikt hineinziehen. Ein Luftangriff würde nicht nur die "systematische Zerstörung der Forschungs-, Entwicklungs-, Unterstützungs- und Ausbildungszentren der Atom- und Raketenprogramme und die Tötung von möglichst vielen technisch kompetenten Menschen" bezwecken. Darunter befinden sich auch Ausländer. Ein US-Angriff, der umfangreicher sein würde als ein israelischer, würde, so Rogers, auch Radar- und Luftabwehrstellungen, die iranischen Luftwaffe, Einrichtungen der Revolutionären Garde oder der iranischen Marine zerstören, um einen Gegenschlag Irans zu unterbinden.

Viele Nuklearanlagen wie ein Forschungsreaktor, eine Fabrik zur Herstellung von Radioisotopen oder zahlreiche Laboratorien befinden sich in der Hauptstadt Teheran. Sollte der Reaktor in Bushehr bereits in Betrieb gegangen sein, würde ein Bombardierung radioaktives Material freisetzen, das nicht nur die Menschen in Iran, sondern auch in der gesamten Region betrifft. Schon bei einer ersten Welle von Luftangriffen könnten Tausende von Menschen sterben, darunter auch zahlreiche Zivilisten.

Iran hat viele Möglichkeiten, auf einen Anschlag zu antworten

Allerdings scheinen derzeit selbst neokonservative Kreise in den USA nicht mehr wie einst im Fall des Irak auf Krieg zu setzen, sondern anstatt diplomatischer Verhandlungen auf den Zusammenbruch des Mullah-Systems von innen zu hoffen. So warnte etwa Robert Kagan, der massiv den Irak-Krieg und Präventivangriffe unterstützte hatte, vor einer Bombardierung des Iran. Das sei in vielerlei Hinsicht zu riskant. Er fordert hingegen eine massive Unterstützung der oppositionellen Kräfte, um einen Regimewechsel von innen heraus zu ermöglichen.

Selbstverständlich ist auch die andere Seite nicht untätig und stellt sich auf Angriffe ein. Der Iran hat mit 800.000 Soldaten eine große Armee und hat stets versucht, sich weiter aufzurüsten. Mit den neuen Shahab-Raketen könnten Israel, US-Stützpunkte im Irak, in Afghanistan oder an anderen Orten der Region, aber auch einige europäische Länder bedroht werden. Iran soll etwa Langstreckenraketen von der Ukraine erworben haben, mit denen auch Italien ins Visier geraten könnte. Man werde, so sagte Yahya Rahim Safav, Kommandeur der Revolutionären Garde, mit der "sehr leistungsfähigen Raketenabwehr" auf einen Angriff reagieren.

Viel nahe liegender wären jedoch andere Reaktionen auf einen Angriff. So könnte vom Iran aus die schiitische Mehrheit im Irak zu Unruhen angefeuert werden. Oder die Revolutionären Garden könnten, da auch viele Schiiten den schnellen Abzug der US-Truppen wünschen, den bewaffneten Widerstand unterstützen und Koalitionstruppen im Irak oder in Afghanistan angreifen. John Negroponte, der Nationale Geheimdienstchef, ist überzeugt, wie er vor kurzem einem Senatsausschuss berichtete, das jetzt schon der Iran den irakischen Widerstand der Schiiten unterstützt. Auch die von Iran unterstützten Hisbollah im Libanon könnten dort und gegen Israel aktiviert werden.

Schon vor dem Irak-Krieg machten Spekulationen die Runde, wie das Hussein-Regime den Widerstand gegen den Angriff der militärisch weit überlegenen Koalitionstruppen organisieren könne. Der Widerstand mit konventionellen militärischen Mitteln schien den meisten zurecht aussichtslos zu sein, auch wenn die irakischen Truppen nominell größer waren die iranischen. Man ging auch davon aus, dass Hussein sich einen perfiden Plan ausgedacht haben könnte, um sich zu retten. Manche glaubten beispielsweise, dass Widerstand erst beim Einmarsch von Bodentruppen in die Städte, vor allem Bagdad, geleistet würde und die amerikanischen Truppen in einen blutigen Stadtkampf verwickelt werden würden. Ob dies oder anderes geplant war oder nicht, weiß man nicht, das Regime ist jedenfalls schnell wie ein Kartenhaus nach den massiven "shock-and-awe"-Bombardierungen und dem blitzkriegartigen Durchmarsch bis nach Bagdad zusammengefallen. Im Nachhinein, als der Guerillakampf begann, glaubte man, dass eben dieser von Husseins Strategen geplant worden sei und jetzt mit versteckten Geldern organisiert werde. Auch das ist bislang Spekulation geblieben, der freilich widerspricht, dass es viele unterschiedliche und auch sich untereinander bekämpfende Widerstandsgruppen gibt.

Ähnlich wird nun auch über Irans Pläne nach einem Angriff spekuliert. Iran kann sich mit seinen militärischehn Mitteln weder gegen einen Angriff wirklich verteidigen, noch einen direkten Gegenangriff führen. Die Folge wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit, die Ausweitung der asymmetrischen Konflikte mit Sabotage, Terroranschlägen und Guerillataktiken auf die gesamte Region. Rogers weist darauf hin, dass ein Angriff die Menschen im Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Angreifer einen würde. Die radikalen Kräfte in der Regierung würden gestärkt, die liberale Opposition geschwächt werden. Ein Regimesturz wäre zumindest vorerst unwahrscheinlicher denn je. Iran könnte aus dem Atomwaffensperrvertrag ganz aussteigen und mit vermehrter Aktivität versuchen, noch schneller Atomwaffen herzustellen. Das wiederum könnte aus Sicht der Amerikaner neue Angriffe erforderlich machen, die den Konflikt weiter aufheizen würden.

Überdies hätte der Iran viele Möglichkeiten, auch noch Monate und Jahre nach einem Angriff zurückzuschlagen. Neben der Unterstützung des irakischen Widerstands und der Hisbolla oder auch der Hamas, könnte Iran versuchen, die Ölproduktion in der gesamten Region zu stören und Tankschiffe an der Durchfahrt durch die Straße von Hormus zu hindern. Mit der Tradition von Selbstmordkämpfern in Iran, der im Krieg gegen den Irak Tausende von schlecht bewaffneten, meist jugendlichen Selbstmordkandidaten in Wellen gegen irakische Stellungen hatte anlaufen lassen, könnten Selbstmordanschläge weltweit zu einer noch größeren Gefahr werden. Politische Konsequenzen eines Anschlags könnten gravierend sein. Je nach Verhalten Irans wäre vorstellbar, dass sich islamische Länder mit Iran solidarisieren oder zumindest von den USA weiter abrücken. Mit China und Russland, zu denen Iran enge Verbindungen hat, könnten sich neue Machtzentren entwickeln, die auch das Wirken der UN sowie vor allem der IAEA in vielen Hinsichten beeinträchtigen könnten.