TV in Russland: Schweigen über enthauptetes Mädchen

Seite 2: Ein Fall von Zensur?

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Allein die Sender zu beschuldigen, wäre dennoch viel zu einfach. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, sagte, er sei mit staatlichen Sendern solidarisch, solche grausamen Berichte dürfen im Fernsehen nicht ausgestrahlt werden. Sogar Wladimir Pozner, ein in Russland angesehener Moderator und Schriftsteller, zeigte sich mit dem Schweigen der "Pervij Kanal", "NTV", Rossija" und anderen, einverstanden. Hinzu fügte Pozner, die größten amerikanischen Sender hätten die sich aus dem World Trade Center werfenden Menschen auch nicht gezeigt. Und verglich diese Situation mit den russischen Sendern, für die Aufnahmen einer geisteskranken Babysitterin mit einem Kindskopf in der Hand nicht in die Chronik der Tagesnachrichten gehören.

Doch Herr Pozner irrte sich bezüglich 9/11, da die größten amerikanischen Sender die Terrorattacken in NYC im Live-Modus zeigten. Und ja, auch Menschen, die aus brennenden Gebäuden hinaussprangen. Merkwürdig ist der Vergleich eines einzelnen Mordes in Moskau mit einem der größten Terroranschläge in der Menschengeschichte.

Die Zensur, die den größten russischen Sendern diktiert, was sie zeigen "können", ist in den letzten Jahren noch erstickender geworden. Aus der Tagesordnung sind viele Themen verschwunden oder waren dort während Putins Amtszeit nie zu finden. Auch das Privatleben des Präsidenten ist immer ein Tabu gewesen. Als seine Ex-Frau Ljudmila ihren neuen Freund heiratete, kam diese Nachricht nur im Osten des Landes im Fernsehen. Schnell reagierte der Kreml und die Nachricht wurde aus dem Nachrichtenblock entfernt.

Cover des britischen Satiremagazins Vive Charlie.

Ein absolutes No-Go ist es, Kritiker der Regierung im ÖF zu zeigen: Nawalnij, Kasjanow, Schenderowitsch und andere namenhafte Personen sind im TV- Alltag komplett untergegangen. Tausende LKW-Fahrer haben protestiert, doch dies interessierte keinen bei den staatlichen Sendern. Erst nach zwei Wochen Protesten, als diese Moskau erreichten und den Gesamtverkehr zu einem kilometerlangen Stau verwandelten, waren die ersten Meldungen zu beobachten. Auf der Facebook-Seite des "Perwij Kanal" wurden alle "LKW-Fahrer-Sympathisanten" rasch gesperrt.

Auch Themen wie Folter und eine Anzahl von Mordserien in russischen Gefängnissen ist kein Thema für Kiselew & Co. Viel spannender ist es natürlich, die deutsche Staatsanwaltschaft mit nicht gerade netten Sprüchen zu beladen. Eine angebliche (!) Vergewaltigung in Berlin war ein Top-Thema im russischen Fernsehen. Ein Mord mitten in Moskau ist hingegen keines. Und ja, es gibt wirklich Bürger, die tatsächlich meinen, die Religion wäre an diesem Mord schuldig, da Frau Bobokulowa dem Willen von Allah gefolgt sein soll. Dass die Frau einfach krank ist, ist für viele nicht entscheidend. Später sagte Bobokulowa, diese Tat wäre ihre Rache für Putin, der das Blut der Muslime vergieße. "Warum bombardiert ihr Muslime und keiner sagt was dazu? Sie wollen auch leben, deswegen habe ich sie gerächt." Doch bei einer Kranken nach Tatgründen zu suchen, würde wenig Sinn machen.

Die britische Online-Version des Magazins "Vive Charlie" brachte das Thema einer Jihadee Nanny auf den Cover: "Behave or Beware". Natürlich sorgte dieser Schritt des Satire-Magazins für große Empörung bei russischen Politikern, linientreuen Journalisten und Bloggern. Es ist grauenhaft, was am Montag passierte, doch wenn einige Themen von den beliebtesten Sendern verschwiegen werden, ist das auch schlimm. Die Journalisten sollten die volle Verantwortung dafür tragen, was sie schreiben, aber auch dafür, was sie absichtlich nicht zur Diskussion bringen wollen, auch in dem Fall, wenn die "Empfehlungen" von oben kommen. Sonst ist der Begriff "Presse- und Meinungsfreiheit" ein leerer Schall.