Taiwan unter Belagerung: Beijing zieht die Schlinge zu

Karte vion Taiwan

Grafik: AustralianCamera, Shutterstock

Lage spitzt sich zu. Wie reagieren die USA, wenn China eine Blockade Taiwans riskiert. Vereinigung mit der Insel weiter Ziel Beijings.

Die Auseinandersetzung um die Zukunft Taiwans ‒ entweder als chinesische Provinz oder als eigenständiges staatliches Gebilde ‒ beinhaltet die Gefahr, zum größten Krisenherd des 21. Jahrhunderts zu geraten.

In diesem Zusammenhang wird allseits heftig über die Möglichkeiten Beijings spekuliert, die Insel mehr oder weniger von der Außenwelt abzuschneiden.

Technisch und militärisch scheint Beijing dazu in der Lage zu sein. Der Respekt ist dem Magazin War on the Rocks anzumerken, wenn es dort heißt, dass China nach dem Amtsantritt des neuen taiwanesischen Regierungschefs eine der größten Militärübungen der jüngeren Vergangenheit gestartet und Taiwan mit Dutzenden Kriegsschiffen und Kampfjets fast vollständig eingekreist habe.

Abriegelung der Insel möglich

Und tatsächlich war diese Übung, Joint Sword 2024A, sogar so schnell wieder zu Ende, dass dem Westen keine Zeit blieb, Schiffe in die Region zu entsenden.

Daraus folgt, dass eine ‒ mehr oder weniger umfassende ‒ Abriegelung der Insel, die etwa so groß ist wie Nordrhein-Westfalen, Chinas Führung zu Gebote steht. Und einiges spricht dafür, dass Beijing diese Option wählen könnte.

China könnte sich darauf konzentrieren, die Insel zu isolieren, anstatt die direkte Konfrontation zu suchen, meint etwa die South China Morning Post. Diese Taktik würde Beijing weniger kosten und auf der Insel weniger Schaden anrichten. Zudem könnte eine Blockadestrategie die Interventionsmöglichkeiten Washingtons verringern, und Beijings Kontrolle über die Situation festigen.

Eine Invasion vermeiden

Zwar birgt auch eine Blockadeoperation erhebliche Risiken und Kosten für Beijing. Doch gut gemacht, könnte eine Blockadeaktion dazu führen, dass Taipeh und Washington dazu gezwungen werden, den ersten Stein werfen – also als erste zu den Waffen greifen.

Das Thema hat auch in den USA Konjunktur. CNN etwa beklagt, dass China der Inselprovinz seinen Willen aufzwingen könnte, "ohne einen einzigen Schuss abzugeben". Der Sender beruft sich dabei auf das Zentrum für Strategische und Internationale Studien (Center for Strategic and International Studies, CSIS).

Dort macht man es sich natürlich nicht ganz so einfach. Die Fachleute unterscheiden ein Embargo von einer Quarantäne und einer Blockade. Die ersten beiden definieren sie als eine "Operation zur Kontrolle des See- oder Luftverkehrs innerhalb eines bestimmten Gebietes", während eine Blockade dessen Unterbrechung zum Ziel hat und militärischen Gesetzmäßigkeiten folgt.

Embargo

Demnach würde ein Embargo bedeuten, dass Chinas Küstenwache und andere Streitkräfte unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Konflikts operieren. Das Militär würde dabei lediglich eine unterstützende Rolle spielen. Waffengewalt würde nicht eingesetzt. Allerdings sei es möglich, dass eine solche Eskalation in eine bewaffnete Auseinandersetzung münden könnte.

China verfügt über die weltweit größte Küstenwache; sie und die sogenannte Seemiliz verfügen über gut 1.000 Schiffe. Der Global Guardian hält es auch für möglich, dass China ein solches Embargo mit gezielten kriegerischen Akten kombiniert – etwa indem man sporadisch Unterseekabel kappt, immer häufiger Schießübungen durchführt und Taiwans Luftraum und Seewege für immer längere Zeit abriegelt.

In diesem Szenario würde China vorwiegend Unsicherheit schaffen, die psychologische Kriegsführung gegen Taiwan intensivieren und versuchen, einen Keil zwischen Washington und Taipeh zu treiben. Bei Erfolg würde dies politischen Druck in Taiwan erzeugen, Investoren verschrecken und die Risikoprämien treiben. Letztlich könnte Beijing so den politischen Diskurs in Taiwan eventuell zugunsten der Wiedervereinigung verschieben.

Quarantäne

In der nächsten Eskalationsstufe, einem Quarantäne-Szenario, könnte China beginnen, Handelsschiffe inspizieren, die Taiwan verlassen oder betreten, oder sie zwingen, auf das Festland auszuweichen. Diese Politik der Nadelstiche ließe sich mit Beschlagnahmungen von Rüstungsgütern, bis hin zur willkürlichen Festsetzung von Schiffen über viele Stufen hinweg eskalieren.

Das Ziel wäre dabei laut Global Guardian nicht, Taiwan zu belagern und die Einfuhr von Lebensmitteln und anderen wichtigen Gütern zu verhindern, sondern Taiwan und der internationalen Gemeinschaft zu demonstrieren, dass China die Souveränität über taiwanesisches Territorium aufrechterhält. Zudem ginge es darum, die Entschlossenheit Taiwans und des Westens zu untergraben, eine mögliche Blockade zu bekämpfen.

Blockade

Die dritte Eskalationsstufe bestünde in einer Blockade der Insel, um den Flug- und Seeverkehr so vollständig wie möglich zu unterbinden. Ein solcher Schritt könnte die USA und Verbündete ‒ zu denen Japan, Südkorea, die Philippinen, Australien und Neuseeland gehören ‒ dazu veranlassen, die Blockade zu "brechen".

Man hofft, China so veranlassen zu können, auf ein amerikanisches Schiff zu schießen, um die Blockade aufrechtzuerhalten. So soll der Schwarze Peter wieder an Beijing zurückgespielt werden.

Einer Abriegelung hätte Taiwan nicht viel entgegenzusetzen. Taiwan + weist darauf hin, dass 70 Prozent aller Nahrungsmittel importiert werden. Allerdings gibt es eine strategische Reserve an Reis, die immerhin zehn Monate reichen würde.

Die Ölreserven ließen sich auf fünf Monate strecken, die Kohlevorräte reichen allerdings nur 40 Tage weit. Eine Million chronisch kranker Menschen in Taiwan sind von Medikamenten aus China abhängig. Und abgesehen von US-Harpoon-Raketen zur Schiffsabwehr kann Taiwan militärisch kaum etwas gegen die Marine der PLA ausrichten.

Die USA benötigen mindestens einen Monat

Es ist wohl auch das Wissen um diese Umstände, die Admiral Samuel Paparo, Leiter des US-Kommandos für den Indopazifik zu der Bemerkung veranlassten, er wolle die Straße von Taiwan mittels Drohnenschwärmen "in eine unbemannte Höllenlandschaft verwandeln".

Interessanterweise kündigte Paparo damit aber keine Revolution der Seekriegsführung an, sondern lediglich eine Maßnahme um der Volksbefreiungsarmee das Leben "einen Monat lang" gründlich zu vermiesen, "was mir die Zeit für den Rest verschafft" – also für den Aufmarsch US-amerikanischer und verbündeter Kriegsschiffe.

Doch nicht alle Beiträge in dieser Debatte bestehen aus US-amerikanischen Spekulationen und Projektionen. Manchmal kommen auch aus Beijing Stellungnahmen zu dem Thema – und die bergen dann Überraschungen. In einer Reaktion auf Paparo hat China enthüllt, dass es sich in der Lage sieht, Taiwan nur mittels Drohnen zu blockieren.

Die PLA rechnet eine Blockade nur mittels Drohnen durch

Die South China Morning Post berichtet, dass die PLA eine Simulation einer Inselblockade nur mittels Drohnen bereits detailliert ausgearbeitet und durchgerechnet hat.

Demnach hat die Volksbefreiungsarmee (PLA) bereits im Juni eine entsprechende Studie veröffentlicht. Das Ziel des in dem Papier beschriebenen Kampfeinsatzes bestand darin, eine Blockade zu errichten und eine unbenannte Insel zu kontrollieren, deren schmale Form allerdings dem Umriss Taiwans ähnelte.

Die Insel war mit einer großen Anzahl von Flugabwehrraketenwerfern befestigt, während feindliche Kriegsschiffe und U-Boote in den umliegenden Gewässern kreuzten.

Man gehe davon aus, dass eine unbemannte Ausrüstung Vorteile wie einen geringen Verschleiß, niedrigere Kosten und minimale Verluste biete. Auch wolle man "die Zyklen der Aufklärung, Identifizierung, Entscheidungsfindung und des Angriffs durch die Integration unbemannter Gruppen in einen systematischen Krieg beschleunigen" und so "die Gesamteffizienz des Kampfes erhöhen", schreiben die Wissenschaftler der PLA., die von der Nationalen Universität für Verteidigungstechnologie und der renommierten Tsinghua-Universität unterstützt wurden.

Vier Arten von Drohnen im simulierten Einsatz

In der Simulation habe die PLA vier Arten von Drohnen eingesetzt: Große und mittelgroße Drohnen mit guter Ausdauer sowie Aufklärungs- und Angriffsfähigkeiten wurden von chinesischen Militärstützpunkten auf dem Festland aus gestartet. Ihre Aufgabe war es, mobile Bedrohungen bei jedem Wetter sofort zu erkennen, zu identifizieren und anzugreifen.

Ergänzt wurden diese durch kleine Aufklärungs- und Kampfdrohnen, die von Schiffen gestartet werden. Sie sollten verborgene Ziele aus der Nähe zu beobachten und feindliche Radare ausschalten.

Man habe zahlreiche Gefechtsszenarien simuliert und festgestellt, dass der Einsatz von mehr oder leistungsfähigeren Drohnen nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Demnach war es ab einem bestimmten Schwellenwert möglich, die Insel und die umliegenden Gewässer effektiv zu kontrollieren, die Streitkräfte der Insel zu unterdrücken und Hilfe von außen zu vereiteln.

Atomwaffen-Kontrollverhandlungen ausgesetzt

Eine weitere Erhöhung der Zahl der patrouillierenden Drohnen würde die Kampffähigkeit zwar noch verbessern, aber die Veränderung sei nicht mehr signifikant, meinen die PLA-Forscher. Sie beabsichtigen nun, die Ergebnisse der Simulation in der realen Welt zu überprüfen. "Eine Kriegsführungsstrategie ohne tatsächliche Erprobung kann letztlich nur leeres Gerede sein … ein Luftschloss", heißt es in der Studie.

Wie ernst Beijing das Thema Taiwan nimmt, lässt sich auch daran ablesen, dass China die Atomwaffen-Kontrollverhandlungen mit den USA ausgesetzt hat, weil Washington Taiwan weiterhin mit den unterschiedlichsten Waffen aller Gattungen beliefert. Man sei bereit, zu verhandeln, aber als Vorbedingung müsse Washington die Kerninteressen Chinas respektieren.

Vielleicht kommt doch noch alles anders

Aber vielleicht kommt ja alles noch ganz anders. Gerade erst hat der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump festgestellt, dass die USA ihr Chipgeschäft an Taiwan verloren hätten und die Insel jetzt für die Verteidigung gegen China zahlen solle. Er fügte hinzu, dass "wir nicht anders als eine Versicherungsgesellschaft sind".

Und Trump merkte an, dass ein Krieg mit China direkt vor der chinesischen Küste und Tausende Kilometer von den USA entfernt kaum Aussicht auf Erfolg verspricht: Taiwan ist 9.500 Meilen (ca. 15.289 km) entfernt. Es ist 68 Meilen (ca. 109 km) von China entfernt. Ein kleiner Vorteil, und China ist ein riesiges Stück Land, sie könnten es [Taiwan] einfach bombardieren. Dazu brauchen sie nicht einmal ‒ ich meine, sie können buchstäblich einfach Granaten schicken. Diese Aussagen haben auf der Insel für erhebliche Unruhe gesorgt.