Talk mit dem Menschheitsfeind

Seite 2: Es herrscht universale Toleranz

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Im Zusammenhang mit der AfD müsste man aufgrund der Verbindung von Demokratiekritik, Anti-Parlamentarismus, Autoritarismus und von ethnozentrischen, nationalistischen und fremdenfeindlichen Positionen und anderen Inhalten, aber auch von der Form ihrer medialen Auftritte, aber vor etwas anderem sprechen: Von Demagogie. Von Rechtsradikalismus, mit Ansätzen zum Rechtsextremismus.

Die Arbeit an der Sprache ist die Arbeit am Gedanken. Die Kämpfe der Demokratie sind semantische Kämpfe, keine substantiellen. Nur ist schon das Wort "Radikalismus" verpönt. Das sagt man nicht. In der postmodernen Demokratie ist Streit anstrengend. Ablehnung und Feindschaften sind verpönt.

Stattdessen herrscht universale Toleranz und ein Pluralismus der Meinungen, der längst auch Anti-Republikanismus, Demokratiefeindschaft und Intoleranz toleriert. Genau dies verbindet unseren öffentlichen, medialen Umgang mit Islamismus und Rechsradikalismus.

Aushalten?

Natürlich kann man solche Diskussionen mit Systemfeinden, mit Rassisten oder religiösen Fanatikern aushalten. Die Frage ist eher, warum man es tun sollte? Warum man nicht einfach sagt, dass einem bestimmte Themen zu blöd sind? Was spricht dagegen, bestimmte Debatten einfach zu verweigern?

Man könnte zum Beispiel Vertretern der Todesstrafe gegenüber, anstatt eine ARD-Themenwoche über das Für und Wider der Todesstrafe zu veranstalten oder einen Therapie-Talk zur Frage "Warum wünschen junge Leute die Todesstrafe?", auch einfach mal sagen: "Wir machen das so, und darüber gibt es keine Debatten." Und wem die Todesstrafe so wichtig ist, der kann ja in die USA auswandern.

Information?

Ein weiterer Aspekt: Wozu gibt es überhaupt "Talk-Shows"? Das Fernsehen hätte lange Zeit geantwortet (und manche Verantwortliche würden es immer noch tun): zur Information der mündigen Bürger, zur Aufklärung des Publikums, zum offenen Meinungsaustausch. Heute müssen Talk-Shows Quote machen und unterhalten. Heute sind die Grenzen zwischen Information und Unterhaltung fließend, gibt die Chimäre namens Infotainment den Takt vor.

Das führt dann zu dem paradoxen Resultat, dass Satire-Sendungen wie die "Heute-Show" und "Neo-Magazin Royale" die einzigen echten Informationssendungen des deutschen Fernsehens sind, dass bei "Markus Lanz" oft kritischer nachgefragt, schärfer kommentiert und härter debattiert wird, als bei "Anne Will", wo das Muster des Trash-TV und Krawallfernsehens vorherrscht.

In unserer therapeutischen Gesellschaft dienen Talk-Shows allerdings zunehmend nicht mehr der Aufklärung und Information, sondern man will "die Betroffenen" therapieren, man will "verstehen", am besten "aus eigener Erfahrung", "was Radikalisierung bedeutet". In diesem Fall, wieso Jugendliche sich radikalisieren und gegebenenfalls für den "Islamischen Staat" nach Syrien in den Krieg ziehen.

Die Pluralismusfalle

Mit dieser Haltung einer scheinbar für alles offenen Neugier und einer unstillbaren Toleranz graben sich die Medien ihre eigene Grube. Denn sie bieten jenen ein Forum, die einmal zur Macht gekommen, als erstes kritische Medien zum Schweigen bringen, Journalisten drangsalieren und verhaften werden. Deren Ziel ist die Gesellschaft gleichzuschalten.

Das Ungarn Orbans und die Türkei Erdogans machen es vor, Polen und eine FPÖ-Regierung in Österreich, eine Präsidentin Le Pen in Frankreich werden es nachmachen, wenn man ihnen dazu die Chance gibt.

Tatsächlich könnte man begreifen, dass Medien sich von der Gesellschaft in der sie existieren, nicht verabschieden können - es sei denn, sie wollen diese Gesellschaft verabschieden. Tatsächlich könnte man sagen, dass es die Aufgabe von Talkshows wie von allen Medien natürlich auch ist, einen gesellschaftlichen Konsens und wünschenswertes Verhalten zu formulieren, vorzuleben und einzuüben.

Jeder öffentlich geförderte Spielfilm würde daraufhin abgeprüft, ob die positiv gezeichneten Figuren ein wünschenswertes Verhalten vorleben. Wenn Filmfiguren, die Menschen verachten, Menschenrechte verletzen, morden und anderweitig das Recht brechen, zu Helden stilisiert werden, würde man diesen Film als jugendgefährdend einstufen und gegebenenfalls auf den Index setzen.

In Talk-Shows und politischer Berichterstattung aber gibt man genau solchen Figuren eine Bühne.

Die "Anne Will"-Talk-Show vom Sonntagabend war deshalb ein Meilenstein in der Selbstzerstörung der demokratischen Verhältnisse, weil sie genau diesen Abschied von gesellschaftlichen Werten praktizierte und das Kernproblem vorführt: Die Unfähigkeit der Demokraten die Demokratie selbst zu verteidigen. Denn dazu bedürfte es Mittel die selbst nicht mehr demokratisch sind. Die universale Toleranz dagegen ist eine scharfe Waffe in der Hand der Feinde.

Man redet nicht mit jedem

Auch der vermeintlich wackere Vertreter des demoratischen Konservativismus, der CDU-Talkshow-Beauftragte Wolfgang Bosbach stammelte angesichts des schwarzen Zelts nur:

Das ist ihre ganz persönliche Entscheidung, die habe ich nicht zu kommentieren, die habe ich nicht zu kritisieren.

Warum eigentlich nicht? Könnte man nicht einmal sagen, dass man eine Entscheidung für geschmacklos hält, für Schwachsinn?

Was lernen wir aus dieser Erfahrung? Man lädt solche Leute nicht in Talk-Shows ein. Denn sie werden ihre Thesen verkünden, sie werden eine Opferrolle spielen. Man redet nicht mit jedem. Wer mit den Feinden der offenen Gesellschaft redet, und so tut, als sei ein freier, gleichberechtigter Diskurs möglich, der beteiligt sich an der Zerstörung eben dieser offenen Gesellschaft.