Talkshow-Kritik: Völlige Einseitigkeit und ein nationaler Wir-Diskurs
- Talkshow-Kritik: Völlige Einseitigkeit und ein nationaler Wir-Diskurs
- Die Talkshows dienen dazu, am und für das Phantasma des "Wir" zu arbeiten
- Varoufakis und Jauch: Wie die mediale Verarbeitung von Realität sich vorrangig durch Medienanschauung vollzieht
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Medienwissenschaftler Matthias Thiele über die Talkshows zur Griechenlandkrise
Gleichklang, hoch problematische Sprachbilder, anstelle von Unparteilichkeit ein Schulterschluss mit Gästen und Titel, in denen eine imaginäre Bedrohung zum Vorschein kommt: Die Medienwissenschaftler Matthias Thiele und Rainer Vowe haben die großen politischen Talkshows im deutschen Fernsehen zum Thema Griechenland analysiert und dabei gewaltige Schlagseiten festgestellt, die dem Selbstverständnis dieser Formate nicht gerecht werden. Im Interview mit Telepolis stellt Thiele die Analyseergebnisse vor.
Herr Thiele, Sie und Rainer Vowe haben sich die großen politischen Talkshows im deutschen Fernsehen zum Thema Griechenland angeschaut. Warum haben Sie diese Sendungen analysiert?
Matthias Thiele: Als Ende Januar diesen Jahres große Teile der griechischen Bevölkerung der Empfehlung der deutschen Kanzlerin, "nicht falsch zu wählen", nicht folgten und das linke Bündnis Syriza und ein Ende der oktroyierten Austeritätspolitik wählten, ließ sich aufgrund der vorherigen deutschen Medienberichterstattung zu Griechenland und zur dortigen Wahl relativ leicht antizipieren und vorhersagen, dass man gegen die demokratische Bewegung in Griechenland in Politik und Medien in Deutschland mobilisieren und Sturm laufen würde.
Schon ab 2010, mit dem "Focus"-Titel "Betrüger in der Euro-Familie" vom 22. Februar 2010 und dem an den griechischen Ministerpräsidenten gerichteten Brief der "Bild"-Zeitung am 5. März 2010, in dem kulturrassistische Bilder vom "faulen und maßlosen Griechen" und "fleißigen, maßhaltenden Deutschen" gezeichnet wurden, tendierte die deutsche Medienberichterstattung zum griechischen Schuldenstaat zunehmend zu einer Berichterstattung gegen Griechenland. In der deutschen Berichterstattung zur griechischen Parlamentswahl wurde darüber hinaus die Wahloption Syriza von vornherein als "linkspopulistisch" oder "linksextrem" und damit als "Anormalität" und "große Gefahr" eingestuft. Entsprechend konnte davon ausgegangen werden, dass sich nach einem Wahlsieg von Tsipras linkem Bündnis die Aus- und Stoßrichtung der deutschen Medienberichterstattung weiter verschärft und die antigriechische Haltung eskaliert.
Warum nun eine Analyse der Talkshows?
Matthias Thiele: Auf die Talkshows konzentrierten wir uns, weil diese neben den Nachrichtensendungen einen besonders privilegierten Ort für die von Medien aufgegriffene politische Aktualität darstellen. Als Teil der Massenmedien stellen die sogenannten politischen Talkshows Wissen über unsere Gesellschaft her. Sie präsentieren und bieten den Zuschauer und Bürger Orientierungswissen über die Welt, in der wir leben. Dabei geht es aber nicht um bloßes Faktenwissen, sondern vielmehr um Interpretation, also darum, was überhaupt als relevant gilt und wie Geschehnisse und Entwicklungen, die als "relevant" gesetzt sind, wahrgenommen und eingeordnet werden sollen. Insofern sind die Talkshows ein gewichtiges Medienritual im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kampf um die Deutungs- und Definitionsmacht über soziale Ereignisse und Realitäten.
Anhand dieser Kämpfe um, wie Sie sagen, Deutungs- und Definitionsmacht, die sich eben auch in Talkshows widerspiegeln, müssten Sie einiges, was für Ihre Analysen von Interesse ist, ablesen können.
Matthias Thiele: Talkshows sind für uns als Analysegegenstand deshalb so wichtig, weil sich an ihnen insbesondere die Dominanz von Aussagen ablesen lässt, also die sich durchsetzende Hegemonie von bestimmten politischen Vorstellungen und Ansichten. Anders gesagt: Wir können anhand der von den Talkshows rituell organisierten und inszenierten Debatten feststellen, was im politischen Diskurs sagbar ist, also was angesprochen und artikuliert werden kann, wie zu einer Sache argumentiert und formuliert werden darf und was überhaupt als Argument akzeptiert wird.
Die Talkshows zu Griechenland wurden nun, wie wir vorab vermutet und befürchtet hatten, vor allem von Polemiken, Ressentiments und einer arroganten Haltung gegenüber der neuen griechischen Regierung und den Griechen dominiert. Allerdings überraschte uns dann doch ein wenig, dass dies so vehement und flächendeckend ausfiel und vorzufinden war. Erstaunt waren wir vor allem über den Gleichklang der Talkshows. Die Sichtungen und Analysen der Sendungen ließen für uns nur einen Schluss zu: Talkshow heute schlägt alles mit Ähnlichkeit.
Uns überraschte und verwunderte vor allem, dass die Talkshowmacher offenbar weder über die Vehemenz noch über den Gleichklang der Talkshows überrascht und verwundert waren. Sie reproduzierten und schrieben die Ressentiments, Aversionen und Diffamierungen einfach munter fort, so als wäre dies das Normalste und Selbstverständlichste der Welt.
Indem alle vier großen Talkshows - "Maybrit Illner" (ZDF), "Anne Will" (ARD), "Günther Jauch" (ARD), "Hart aber fair" (ARD) - und auch die etwas kleineren Sendungen, wie "phoenix Runde" (ARD/ZDF), "Unter den Linden" (ARD/ZDF) und "Presseclub" (ARD), Griechenland in beispielloser Art und Weise zum Dauerthema erhoben, signalisierten die Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bereits rein quantitativ, dass der Erfolg von Syriza und der Versuch, einen Politikwechsel in der Euro-Zone anzustoßen, als "nicht normal" und als Denormalisierung anzusehen und einzustufen sei.
Können Sie uns mehr über den Gleichklang in den Talkshows sagen?
Matthias Thiele: Ja, operiert wurde in den Sendungen fast durchgehend mit der symbolischen Frontstellung von "Wir" versus "die Anderen", wobei das "Wir" durchaus wechselte.
Was heißt das?
Matthias Thiele: Das heißt, das der nationale "Wir"-Diskurs vorherrschend war, also die symbolische Front "Wir Deutschen" versus "die Griechen". Nicht selten lautete die Frontstellung aber auch "Wir Europäer" versus "die Griechen".
Die Griechen kamen dabei nicht gut weg.
Matthias Thiele: Sie kamen überhaupt nicht gut weg. In dieser Gegenüberstellung wurden die Griechen stets als "Gefahr", als "Bedrohung" und als "Angreifer" kodiert.
Also ist eine Produktion von stereotypen Aussagen festzustellen.
Matthias Thiele: Absolut. Vielleicht sollte man sogar von einer Hyperproduktion sprechen. Trotz verschiedener Talkgäste und wechselnder Stimmen setzten sich folgende stereotypen Aussagen durch und kehrten fast durchweg in allen Sendungen wieder: "Bei der neuen griechischen Regierung handelt es sich um Anfänger, die das Regieren erst noch lernen müssen." "Es fehlt ihr an Expertise und Regierungsfähigkeit." "Weder macht sie ihre Hausaufgaben, noch liefert sie." "Stattdessen taktiert und pokert die Regierung, bewegt sich nicht, droht und verspielt das Vertrauen." "Sie will sich nicht an die Regeln halten, stellt sich gegen die Troika beziehungsweise die Institutionen und ist gegen Europa." "Sie weist die Schuld der Schulden von sich, will keine Verantwortung übernehmen und erhebt sogar Ansprüche." "Obwohl Deutschland Griechenland bereits Milliarden gegeben hat, stellt die griechische Regierung Forderungen, statt dankbar zu sein." "Mit ihrer Haltung und ihren Forderungen belastet sie die EU-Länder, die noch ärmer sind als Griechenland." Kurzum: "Die neue griechische Regierung ist unerfahren, inkompetent, unprofessionell und uneinsichtig bezüglich der Alternativlosigkeit und Notwendigkeiten."
Durch die Auswahl und Zusammensetzung der Gäste wurde oftmals das symbolische Szenario "Athen gegen alle" inszeniert, das einer "Maybrit Illner"-Sendung sogar als Titel diente: "Athen gegen alle - Scheitert der Euro?" Die Gäste aus Griechenland wie auch die wenigen deutschen Gäste, die um Verständnis für die Politik der griechischen Regierung warben, fanden sich in den Talkrunden nicht selten isoliert und waren insofern allein auf sich gestellt. Eine Konstellation, die dazu führte, dass sie mit einer Häufung von Gegenreden und verbalen Attacken konfrontiert waren. Dies widerspricht durchaus dem Selbstverständnis der Talkshows. Ginge man allerdings vom Selbstverständnis der Talkshows aus, dann müsste man festhalten, dass dieses in den Talkshows zu Griechenland in keiner Weise eingelöst wurde.
Meinungsvielfalt und Multiperspektivität wurde in der Vielzahl von Sendungen so gut wie nicht aufgeboten
Welches Selbstverständnis haben denn die Talkshows?
Matthias Thiele: Die politischen Talkshows verstehen sich in der Regel als ein Forum der öffentlichen Meinungsvielfalt, das dazu dient, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und widerstreitende Parteien zur Diskussion zu laden, während derer die teilnehmenden Gäste die Möglichkeit erhalten, ihre konträren Positionen und Argumente wechselseitig auszutauschen.
Dabei haben doch die Moderatoren auch einen speziellen Part.
Matthias Thiele: Sicher, im Selbstverständnis der Talkshows begreifen sich die Moderatoren als überparteiliche und unparteiische Instanzen, die objektiv und fair über Redeanteile und Sprecherwechsel wachen, den Schlagabtausch von Argumenten und Gegenargumenten zu klären und abzuwägen sowie zwischen den verschiedenen Haltungen und Positionen zu vermitteln versuchen. Nicht von ungefähr heißt eine der Talkshows ja "Hart aber fair". Die organisierten Debatten und kultivierten Streitgespräche sollen dem Publikum, gerade auch durch die Haltung und spezifischen Leistungen der Moderation, dann dazu dienen, sich über das Problem und den Konflikt zu informieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Hört sich gut an.
Matthias Thiele: Das hört sich gut an, aber das Bild, das die Talkshows in den letzten fünf Monaten darboten, sah anders aus: Die Moderatoren bezogen in allen Sendungen deutlich Position, verorteten sich in der symbolischen Frontstellung immer wieder auf Seiten des "Wir" und sprachen als Repräsentanten des deutschen "Wir". Sie übten regelmäßig den Schulterschluss mit den Gästen, die antigriechische Positionen und Ressentiments artikulierten.
Kritische und ungläubige Nachfragen, die angesichts der Vielzahl von Irrtümern, Fehlinformationen, Missverständnissen, Demütigungen und Überheblichkeiten von Seiten der deutschen Griechenlandgegner höchst geboten gewesen wären, erfolgten selten und dann meist ungleich verteilt, nämlich meist in Richtung der griechischen Gäste oder deutschen Griechenland-Fürsprecher.
Meinungsvielfalt und Multiperspektivität wurde in der Vielzahl von Sendungen so gut wie nicht aufgeboten, so dass sie selbst die schlichtesten Regeln, die einem erlauben, sich als demokratisch und europäisch zu verstehen und zu bezeichnen, missachteten. Die Talkshows erwiesen sich im Ganzen als äußerst einseitig. Erschreckend ist, dass es so gut wie keine Sendung gab, die man als Gegenbeispiel hätte anführen können. Auf die Produktion solcher Sendungen wird eigentlich nicht verzichtet, da sie als Gegenbeispiel die Unangreifbarkeit der Sendereihe und des Senders absichern.
Wie ist all das zu erklären?
Matthias Thiele: Zwei Erklärungen bieten sich an und liegen zunächst einmal nahe. Die eine lautet, dass die Talkshows ein Format sind, das für die Komplexität der Griechenlandkrise ungeeignet ist. Die Talkshows sind überfordert mit dem Thema, das nun einmal nicht in einem 45-minütigen Schlagabtausch, in dem es vor allem um einen Kampf um Image-Gewinn geht, behandelt werden kann. Die andere führt die Uniformität und "Einäugigkeit" der Talkshows auf einen Prozess der Gleichschaltung zurück. Beide Erklärungen greifen aber nicht.
Von einer Überforderung kann nicht die Rede sein. Dafür ist die Investition der Talkshows viel zu hoch. Täglich wird die Presseschau ausgewertet. Die möglichen Gäste und gewünschten Diskurspositionen werden diskutiert und selektiert. An- und Zwischenmoderationen werden konzipiert und geschrieben, Redaktionsbeiträge, die televisuell durchaus anspruchsvoll gestaltetet sind und sowohl Infografiken als auch ausgeklügelte Soundbite-Montagen präsentieren, werden zur Einspielung in die Sendung hergestellt. Das heißt, es gibt einen eingespielten Apparat mit bewährten Prozeduren und routinierten multimedialen Zeichenoperationen.
Von Gleichschaltung kann jedoch ebenfalls nur schwerlich die Rede sein. Die Talkshows sind gewiss Serienformate, die im wöchentlichen Rhythmus produziert und ausgestrahlt werden und sich deshalb an ein Schema und an Bewährtes halten müssen. Dies führt aber nicht automatisch zu einer Wiederkehr des Immergleichen. In ihrer Serialität können sie nur überzeugen, wenn sie auf Variation und Abwechslung setzen. Das erwarten die Zuschauer und müssen die Talkshows bedienen. Insofern werden auch die stereotypen Aussagen und ihre Verkettungen variationsreich auf ganz unterschiedliche Art und Weise präsentiert.