Tanz auf dem Vulkan

Nach 18 Monaten Stagnation erwacht Beirut wieder zu altem Leben

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Ein Konsenspräsident ist gewählt, die neue Regierungsbildung steht an und der Tourismus boomt: Im Libanon scheint die Gefahr eines Bürgerkriegs gebannt und der Durchbruch zu mehr Stabilität geschafft. Oder?

Beirut ist wieder Beirut. Noch Anfang Mai sah es so aus, als ob die Hauptstadt und mit ihr das gesamte Land erneut von dem Sog erfasst würden, der in ihnen 15 Jahre lang gewütet hatte. Nichts von den Greueltaten des 1990 beendeten Bürgerkrieges ist aufgearbeitet. Nach wie vor schreiben die konfessionellen Fraktionen ihre eigenen Geschichtsbücher. Das jüngste Kapitel, das wieder jede schreiben wird, wie sie will, löste vor wenigen Wochen Regierungschef Fuad Sinioras Ankündigung aus, der opponierenden Hizbollah die Kontrolle über deren privates Telefonnetz und über den Beiruter Flughafen entziehen zu wollen.

Für Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah kam dies einer offenen Kriegserklärung gleich – als die es auch gedacht war. Bekanntlich ist das einzige, was die Partei konsequent verfolgt, ihr Widerstandsprogramm gegen Israel, wozu ein möglichst abhördichter Sicherheitsring unabdingbar ist. Siniora weiß dies und so darf man sich nebenbei fragen, wer ihn in welcher Intention zu diesem Vorpreschen ermutigt hat. Die Hizbollah jedenfalls demonstrierte stande pedes was sie kann, wenn sie will: Sie ging auf die Straßen und kontrollierte innerhalb kürzester Zeit alle Knotenpunkte. Während sich die Milizen der verfeindeten Gruppierungen vereinzelt beschossen, verbrachten die Regierungsvertreter die brandgefährlichen Tage in ihren Stacheldraht umzäunten Villen – deutlicher hätte die Demonstration ihrer Ohnmacht nicht ausfallen können.

So schnell wie der Schrecken hereinbrach, so schnell löste er sich wieder auf: Im Treffen von Doha – arrangiert auf Intervention externer Akteure, allen voran das der Hizbollah gewogene Emirat Qatar – wurde im Konsens die Wahl des Armeechefs Michel Suleiman zum Präsidenten und die Bildung einer neuen Regierung vereinbart. Künftig soll die Opposition, die seit Oktober 2006 um mehr Regierungsteilhabe kämpft, elf der 30 Kabinettssitze erhalten. Paul Salem, Direktor des Carnegie Endowment for Peace, spricht von einem „Triumph“ der Gottespartei.

Unbezahlbares Beirut

De facto triumphiert momentan vor allem Beirut. „Die Hotels sind zu über 60 Prozent ausgebucht – im Vergleich zu zehn Prozent vor vier Wochen“, stellt Kamil Sfeir fest. Bis Mitte August seien auch aus Europa keine Flüge mehr zu bekommen und Leihautos – die könne man sowieso vergessen, erklärt der Reiseagenturleiter enttäuschten Kunden und grinst mit sich selbst um die Wette. Vor Lachen findet auch das mondäne Downtown Beirut nicht mehr in den Schlaf: 18 Stunden täglich haben die aneinander gereihten Restaurants geöffnet. Von einem Umsatzzuwachs um 150 Prozent innerhalb einer Woche und Bedarf an Zusatzpersonal schwärmt Charles Asmar, Manager des In-Treffs „Place de l’Etoile“.

Die Euphorie ist verständlich. Zwischen Oktober 2006 und Mai 2008 hatte Downtown Beirut einer Geisterstadt geglichen. Just an dem Ort, der untrennbar mit dem Namen Rafik al-Hariri verbunden ist, hatte die Opposition ihre Demonstrationslager aufgeschlagen, um mehr Regierungsteilhabe zu erzwingen. Zelte voller Hizbollahis und der mit ihnen verbündeten Christen, Kommunisten und sonstigen Fraktionen campierten im Herzen dessen, was al-Hariri, Libanons langjähriger Ministerpräsident geschaffen hatte, ehe er im Februar 2005 einem Bombenanschlag zum Opfer fiel: ein Kleingenf für Großverdiener. Eine neoliberale Wirtschaftsoase für Auserwählte, in der die mehrheitlich ärmere schiitische Bevölkerung nichts verloren hatte. Entsprechend erbost und zunehmend rassistisch reagierte die Regierungsseite, die dem Hariri-Clan anhängt. Die Demonstranten würden Downtown „beschmutzen“, schrieb die Hariri-eigene Zeitung „Al-Mustaqbal“ und meinte dies nicht nur sinnbildlich.

Highlights für Scheichs

Nun aber sind die Plätze geräumt und Libanons Tourismusminister freut sich auf über 1,5 Millionen Sommerfrischler. Schließlich könne kein anderes Land der Region touristisch mithalten, auch nicht das so begehrte Dubai, zu dessen Nachteilen mörderische Temperaturen und ein auf Hotels beschränkter Alkoholausschank zählen.

Beirut hingegen – und in dem wirtschaftlich ansonsten vernachlässigten Libanon kreist alles nur um Beirut – zeigt sich auch in punkto Kleiderordnung offen: Herren in Shorts mögen zwar insgeheim für lächerlich befunden werden, doch getreu dem Motto, „erlaubt ist, was Dollars bringt“, sind sogar Dekolltés à la Angela Merkel salonfähig. Ein Grund mehr für Saudis, Kuwaitis und Emiratis ihre bereits gebuchten Sommerreisen zu stornieren und stattdessen die Spielarten der Beiruter Textilarmut in Augenschein zu nehmen. Passend dazu säumt eine neue Mastercard-Plakatkampagne die Straßen: eine unter den Lichtern einer Disko-Kugel erstrahlende Bikini-Schönheit verheißt „Living it all up in Beirut. Priceless!“

Jobteilung zwischen Weltbank und Widerstand

Beirut is back. Das scheint auch die Hizbollah so zu sehen, die erneut und angesichts der eigenen ökonomischen Programmlosigkeit erleichtert in die seit Bürgerkriegsende exerzierte Arbeitsteilung einwilligte: Sie, die Regierungsminderheit, zeichnet für den Widerstand verantwortlich, die Regierungsmehrheit für die Wirtschaft. Eine Arbeitsteilung ohne Teamwork, die das Land obendrein in den Bankrott und seine Jugend in die Migration trieb, da sich das Wirtschaftskonzept in neoliberalem Laissez-Faire der Oberschicht und exklusivem Hauptstadttourismus erschöpft. Der Rest der Bevölkerung darf zusehen, wie er klar kommt.

Von Aufbruch, gar Gesundung bleibt der Libanon somit meilenweit entfernt. Auch die Rede vom „Triumph“ der Hizbollah ist verfehlt. Nie zuvor war Hassan Nasrallahs Leben gefährdeter als nach der Machtdemonstration im Mai, die den Hass zwischen den Konfessionen auch deshalb gesteigert hat, weil die Gottespartei ihren Widerstand gegen Israel von einer nationalen zu einer schiitischen Angelegenheit gemacht hat. Geholfen hat ihr dabei freilich seit langem die sunnitische Gegenseite. Allein im Sommer 2006, als Israel den Libanon angegriffen hat, legte sie wenig Solidarität mit dem 33 Tage lang gnadenlos bombardierten schiitischen Landessüden an den Tag.

Aufrüsten hinter den Kulissen

Es wäre den Libanesen nur zu gönnen gewesen, wenn ihre Führer aus Doha einen wahren Meilenstein gemacht und das ausgemerzt hätten, woran das Land grundsätzlich krankt: das Proporzsystem, das die Wahl der Volksvertreter aufgrund ihrer Konfessionszugehörigkeit ermöglicht. Stattdessen aber bleiben die Konfessionsführer weiterhin die Meinungsführer und alles beim Alten.

Und während Beirut tanzt, heißt es vom Hariri-Clan, er würde mit US-Hilfe busseweise salafitische Kämpfer – die bekanntlich erbitterte Schiitengegner sind – in das Land schaffen. Auch wenn dies im Detail nicht stimmen sollte: Von einem Aufrüsten hinter den Kulissen darf allemal ausgegangen werden. Auf allen Seiten. Beirut ist wieder Beirut.