Telediagnose: Informationsmaschine Mensch
Die Ars Electronica97 oder Medienkunst als Krankheitsgeschichte
Die Themenstellung der diesjährigen ars electronica, von der "Informationsmaschine Mensch", fordert ungewöhnliche Herangehensweisen. In einer "Telediagnose", geschrieben vor der Eröffnung und aus sicherer Entfernung, wurden die wichtigsten Symptome beleuchtet.
Der September ist nicht nur deshalb ein schöner Monat, weil die Spinnenfäden des "Indian Summer" in der Sonne glitzern, sondern auch, weil zu dieser Zeit die Ars Electronica stattfindet. Das Festival, das sich mit der Eröffnung des AEC im letzten Jahr als Dauerspielstätte konsolidiert hat, wird für eine Woche zum Nabel der digitalen Kunstwelt. Doch wenn wir schon bei den Körperteilen sind: Wie sieht der Nabel einer menschlichen "Informationsmaschine" eigentlich aus? Besteht sie aus einem Ethernet-Adapter oder einem internen Modem-Steckplatz? Diese beunruhigende Frage schreit direkt danach, den "Corpus" der Ars Electronica einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Dank der wunderbaren Möglichkeiten der neuen Informationstechnologien braucht man dazu nicht erst vor Ort zu gehen, sondern kann die "Ars", wie das Festival im Volksmund genannt wird, per Telediagnose studieren.
Die erste Frage, die der Diagnostiker stellt, ist, ob der Körper "lebt" oder etwa schon ganz Maschine geworden ist und Leben nur simuliert. Diese Frage ist gemein angesichts einer Programmfülle, deren Zusammenfassung in minimalster Form und gedruckt in kleinen Fonts im Programmheft eine ganze Seite füllt. Obwohl natürlich gerade diese Übererfüllung jedes vernünftigen Plansolls besonders verdächtig ist und ein Hinweis auf die Roboternatur des Patienten sein könnte.
Bevor wir nun die einzelnen Organe der Menschmaschine genauer analysieren, verweilen wir noch etwas bei ihren allgemeinen identitätsstiftenden Merkmalen, oder der sogenannten Thematik. Bereits 1989 widmete sich die Ars erstmals intensiv der "Vernetzung". Da das Internet damals noch einer akademischen Minderheit vorbehalten und nicht-postgenehmigte Modems illegal waren, gestaltete sich der Zugang der meisten Teilnehmer wohl eher auf einer abstrakt-metaphorischen Ebene und stand noch in der Traditionslinie der achtziger Jahre Vernetzungsdiskussion, die weniger an der Technologie als an einem allgemeinen Verständnis von Vernetzung und Interdisziplinarität als gesellschaftliche Praxis aufgehängt war.
Seinerzeit", wie die Österreicher sagen würden, war noch ein gewisser Gottfried Hattinger Direktor und Peter Weibel künstlerischer Berater. Die künstlerischen Vorstellungen von Hattinger und Weibel passten wohl nicht allzu gut zusammen, da Hattinger deftige Maschinenkunst a la Survival Research Laboratories (SRL) bevorzugte, während Weibel eher zur vollelektronisch-immersiven Medienkunst neigte. Die Intentionen kollidierten endgültig mit "Out of Controll" 1991, als SRL eingeladen waren, aber nicht kamen und durch ein Potpourri von "metallheadz" ersetzt wurden - Erik Hobijn, ZEV, Lydia Lunch, Barry Schwartz u.a., Hattingers Abschiedsvorstellung.
Danach kam die Zeit der "artificial somethings", also zunächst "artificial life", danach "artificial ambient". Das war konzeptuell zwar auf der Höhe der technologischen Zeitrechnung, hatte aber den kleinen Schönheitsfehler, daß die meisten Künstler keinen Zugang zu den entsprechenden Technologien hatten. Wieder einmal wucherte die "Metapheritis", ein Bazillus, der in der Krankheitsgeschichte der Ars immer wieder aufgetreten ist und sich bisher gegen alle medikamentösen Kuren wie z.B. Direktorenwechsel immun zeigte. So konnten in den Ausstellungsräumen zwar zahlreiche schöne, aber völlig analoge Arbeiten bewundert werden, die, ob mit Algen, elektrochemischer Katalyse oder ausgestopften Kunsttieren arbeitend, "Leben" thematisierten. Den sogenannten "hands-on approach" mit echtem digitalem Fummelkram konnte man nur bei einigen Ausnahmen beobachten, wie etwa Sommerer/Mignaneaus Pflanzenwachstums-Installation auf der Basis genetischer Algorithmen oder bei den "Knowbotikern", alle übrigens damals Studenten an Weibels Frankfurter Institut für Neue Medien. Mit anderen Worten: Es "weibelte" sehr.
1995 schließlich wurde erstmals aus der Ars die @rs electronica, das Internet hatte Österreich erreicht. Die damals ausgewählten Künstler repräsentierten zwar sicherlich einen guten Querschnitt jener aller ersten Phase von künstlerischen Netzaktivitäten (mit Eva Grubinger, Internationale Stadt, Siberian Deal, um nur einige zu nennen), die Präsentation in einer hingeflatzten Bürolandschaft und mit messe-mäßig aneinandergereihten Surf-Stationen war jedoch derartig lieblos, daß einem das Hinsehen schnell verging. Dies war Weibels Abschiedsvorstellung.
1996 kam mit dem Ars Electronica Centrum als einem Stück gebauter Realität und mit dem neuen Leiter Gerfried Stocker ein neuer Qualitätssprung in der Entwicklung des Festivals (wie Hannes Leopoldseder, ORF, Ars-Initiator, im privaten Gespräch erläuterte). Sicherlich, es passierte sehr viel in diesem Jahr, aber ob man deshalb gleich von einem Qualitätssprung (Quantensprung? Paradigmenwechsel?) reden kann, ist eine andere Frage. Seltsamerweise kann ich mich an das Thema von damals kaum mehr erinnern (war es nicht wieder etwas bazillenförmiges?), sehr lebhaft aber noch an das mit Gerfried Stocker geführte Interview. In diesem verteidigte er hartnäckig seine Position, die sich kurz so zusammenfassen läßt, daß ein Kurator, wenn er ein genau definiertes Thema wählt und auch noch verlangt, daß die Kunstprojekte zu diesem Thema passen, der Kunst Gewalt antun würde. Seine Vorgehensweise wäre eher - und das sei auch adäquat für das Netzzeitalter - bestimmte Arbeiten zu bestimmten Sub-Themen zu gruppieren und so ein dehierarchisiertes Netz von verschiedenen Schwerpunktsetzungen zu entwickeln, deren horizontale Verknüpfungen eher unter der Oberfläche als allzu offensichtlich seien.
In meinen Ohren klang das eher wie eine Entschuldigung dafür, kein Konzept zu haben. Denn irgendwie aufeinander bezogen ist doch sowieso immer alles. Und das tatsächliche Programm wirkte auch eher verwirrt-vielfältig als subtil verknüpfend. Contained durfte nocheinmal am Schrottplatz eine Art elektronischen Heavy-Metal-Zirkus aufführen, wie ein Überbleibsel aus Hattinger-Zeiten, sehr Fellini-haft, sehr romantisch und neben der Stadtwerkstatt der einzig aushaltbare "Hang-out", doch für den Rest gelang es mir schon im Vorjahr kaum noch verbindende Worte zu finden. Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist grundsätzlicher Natur: Wäre es nicht Aufgabe eines Kurators im elektronischen Kabelwirrwarr Orientierungshilfen zu geben, dadurch eine Position zum Gezeigten einzunehmen und diese mit allen Mitteln der Ausstellungsdidaktik einem Publikum zu vermitteln zu versuchen? Oder wird ein Kurator im Digitalzeitalter zu einer Art Messeveranstalter, der mit kaum noch gegebenen Filterfunktionen bestimmen darf, wer mitmacht und wer welchen Platz bekommt?
Endlich sind wir in der Gegenwart gelandet, bei "FleshFactor - Informationsmaschine Mensch". Der zweite Teil des Titels erinnert in liebevoller Weise an einen der Gründungsväter der Ars, Herbert W. Franke und seine Science Fiction Stories über Kyborgs (gesprochen [kü:h] und nicht [sai]) und rührt damit an ein Grundthema des 20. Jahrhunderts, die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Große Themen haben den Vorteil, daß unter ihnen viel Platz hat. Der erste Teil des Titels wirft eher ungute Assoziationen auf. Denn mit dem Begriff FleshFactor wird die Frage nach der Beziehung zwischen Informationstechnologie und Maschinen vorwegnehmend beantwortet. Was der Mensch einzubringen hat, ist also das "Fleisch", seine biologische Materialität, und nicht etwa seine kulturellen Ideale, Ziele und Netzwerke. Und das ist die Sprache der "Feinde", der Kunstverächter wie Minsky oder Barlow, die die natürliche Lebenswelt zum "Meatspace" degradieren. Gegner dieser Rhetorik, wie etwa die Herausgeber des Buchs "geld.beat.synthetik" (Hrg. Büro Bert/Minimal Club, Verlag ID-Archiv) sehen Festivals wie die Ars ohnehin als Propagandamedien zur Durchsetzung neuer Biotechnologien im Kontext eines interessegeleiteten Profitsystems. Diese Einschätzung ist möglicherweise gar nicht so falsch, da "FleshFactor" wieder einmal ein hochgradig technik-affirmatives Thema ist, allerdings neigen derartige Ansätze dazu, die öffentlichkeitswirksame Bedeutung der Ars arg zu überschätzen. Dennoch, die Ars läuft mit dieser plumpen Themenstellung der Kritik ins offene Messer.
Oder steckt da vielleicht sogar Absicht dahinter? Sollte ein Thema gewählt werden, das gar keines ist? Damit man einfach wieder, wie jedes Jahr, ein Festival machen kann, bei dem sich die "Community" oder der internationale elektronische Reisekader, wie T.Baumgärtel sagen würde, trifft? Die konkrete Programmplanung gibt einigen Anlaß zu dieser Vermutung. Hier wird nicht nach Inhalten programmiert, sondern nach alten Loyalitäten. Da Stocker selbst als Künstler seine Heimat in der Audio-Art-Szene hatte (Kunstradio) etc., ist es kein Wunder, Namen wie Giardini Pensili, Concha Jerez, Helen Thorrington, Beusch/Cassani im Programm zu sehen, engster Kunstradio-Zirkel und seit Jahren bei den selben EBU-Radiokunst-Treffen dabei. Im Net.Shop sind mit Baker/Shulgin/Jodi/Cosic usw. genau die Leute vertreten, die auf einer Mailinglist namens Nettime eine Kunstform namens net.art diskutieren, die es nach ihren eigenen Worten eigentlich gar nicht gibt, es sei denn als typischen Internet-Hoax. Net.artists im Dutzend billiger fragt man sich? Da ist dann Net.Shop wirklich der richtige Begriff. Statt auszuwählen hat man einfach das ganze Regal gekauft.
Ebenso offensichtlich ist der nach wie vor gegebene Einfluß des ORF-Duos Schöpf/Leopoldseder, die nicht nur über den "Prix" der Ars ihr Gesicht geben. Sie setzen wohl eher auf den klassischen Qualitätsbegriff und sind für Namen wie Donna Harraway, Sakamoto, Coates u.a. zuständig, sprich transatlantische High-Tech Markenware, akquiriert bei Festivals wie der Siggraph (wie live zu beobachten war). Sieht man von der sicherlich herausragenden Theoretikerin Haraway ab, kann das Wort "Kunst" vor "Medien" in diesem Kontext getrost gestrichen werden, weil es vor allem darum geht, daß die neue Software zeigen darf, was sie alles kann.
Fast schon notorisch zu nennen ist die Eröffnung des Festivals durch Stelarc. Dessen neue Performance "Parasite" wird, ich wage es zu prophezeien, ungefähr genauso aussehen, wie alle anderen Stelarc Performances. Der Projektbeschreibung zu Folge wird irgendetwas aus dem Internet über Stimulatoren auf Stelarcs Muskelsystem übertragen. Das wird aber für das Publikum nicht weiter nachvollziehbar sein. Dafür wird Stelarc wie eh und jeh seinen Cyber-Kabuki aufführen. Der Haupteffekt - der Lärm - wird von jenen acht analogen Kasettenrekordern erzeugt, mit denen Stelarc seit Jahren um die Welt tingelt und deren Signale er mit seinem Arm triggern kann - very cutting edge.
Es geht mir dabei keinesfalls darum, Stelarcs Legitimität als Techno-Performance-Pionier anzuzweifeln, nicht zuletzt deshalb, weil er konsequent seinen eigenen Körper benutzt und damit hohe gesundheitliche Risiken eingeht, was ihn um Lichtjahre von den vielen Cyber-Schwadroneuren unterscheidet.
Was mir jedoch bedenklich erscheint, sind zum einen seine verbalen Äußerungen, die auf eine NASA-Entkörperlichungs-Ideologie hinauslaufen, zum anderen aber, und das wiegt mehr, wie kritiklos und unkommentiert dies von Festivalveranstaltern eingekauft wird, die das Bühnenereignis "Stelarc" als reines Spektakel abfeiern. Der direkt an die Informationsströme des Internet angeschlossene Mensch, reduziert auf seine Biomasse und deren Reflexe, wird kommentarlos zum "FleshFactor", zum Sinnbild der Informationsmaschine Mensch erklärt.
Dann braucht es nur mehr ein Plakat wie jenes von British Telecom, auf dem in großen Lettern über dem Erdball geschrieben steht, "Geography is History", um die künstlerischen Tendenzen der Ars in ihren wirklichen Kontextverflechtungen zu sehen. Mit der Leugnung der Geographie wird die "Information" zu einer Art transzendenten Substanz verklärt, die alle anderen Ebenen der menschlichen Existenz ersetzen könne und damit obsolet erscheinen läßt. Barbrook/Cameron haben in "Die kalifornische Ideologie" überzeugend dargelegt, wie diese Techno-Theologie-goes-Marketing-Strategie der Ausbeutung der realen Körper und Räume Vorschub leistet. Der Text erschien 1995, die Ars hat sich jedoch seither kein Stück weiterbewegt.
So kann per Telediagnose festgestellt werden, daß die "Informationsmaschine Mensch" aus diversen gängigen Gadgets aus dem Arsenal des High-Tech Mainstreams zusammengesetzt ist. Damit das als "Kunst" durchgeht, wurde ein wenig Hacker-Chic und Kunst-Guerrilla-Ästhetik aufgepfropft (oder, je nach Geschmack, im On-board-Cache installiert). Das zentrale Nervensystem ist von "Metapheritis" befallen. Ursächlich oder bloß motivisch damit verbunden sind gewisse mentale Störungen, die dazu führen, daß Begriffe der Informationsverarbeitung mit biologischen und kulturellen Prozessen kritiklos gleichgesetzt werden (auch bekannt als WIRED-Syndrom). Während die elektronischen Komponenten der Informationsmaschine reibungslos funktionieren, leiden die organischen Teile an einem Identitätsproblem, das auf die beschriebenen mentalen Störungen zurückzuführen ist. Dieses Identitätsproblem kann dafür im Symposium diskutiert werden, das als eine Art erweiterte psychoanalytische Couch dient. Wie in der Netzversion des Symposiums jetzt schon zu beobachten ist, werden dabei hauptsächlich die selben Mantras der Technogläubigkeit oder -phobie wie in den letzten Jahren wiederholt.
Aber schön wird es trotzdem sein, diese Woche in Linz. Denn die Parties in der Stadtwerkstatt (dieses Jahr mit Autodrom, letztes Jahr Kegeln) sind legendär und der Mühlviertler Most (eine Art Apfelwein) ist sehr empfehlenswert, insbesondere weil dann die Reflexe des Fleisches auf das Techno-Bombardement unkritisch genossen werden können. Denen, die nicht dabei sein können, empfehle ich hingegen HarawayŽs "Modest_Witness@Second_Millennium.FemaleMan_Meets_OncoMouse", (bisher nur auf Englisch, Routledge 1997) und einen guten Liegeplatz im Park.
London, Montag 8.9.1997, 16.45 Uhr