Teleskope für alle Wellenlängen
Vor vierhundert Jahren hat Galileo zum ersten Mal mit einem Teleskop astronomische Beobachtungen durchgeführt. Im 21. Jahrhundert ist nun die Multifrequenzastronomie angesagt, bei der Beobachtungen in allen Wellenlängen integriert werden können
Seit jeher hat der Nachthimmel die Menschen fasziniert. Die Bewegung des Mondes, der Sonne sowie die Abfolge der Jahreszeiten sind nur einige der Phänomene, die zuerst der systematischen Beobachtung unterzogen wurden. Kosmologisches Denken, d.h. das Grübeln über Anfang und mögliches Ende der Welt, ist wahrscheinlich eine der ersten kulturellen Betätigungen der Menschheit gewesen. Am Anfang der Zivilisation blieb nichts anderes übrig als die Astronomie bzw. Astrologie mit bloßem Auge zu praktizieren und es dauerte Jahrtausende bis das optische Teleskop erfunden wurde.
Auch in Mitteleuropa gab es solche Frühastronomen, wie die Himmelsscheibe von Nebra verrät. Sie ist zwischen 3700 bis 4100 Jahre alt und wurde erst 1999 in Sachsen-Anhalt von Raubgräbern entdeckt (Abb. 1). Darüber hinaus sind einige Kultstätten in Deutschland, die sehr wahrscheinlich auch für Himmelbeobachtungen verwendet wurden, seit einigen Jahren erforscht und wiederaufgebaut worden. Das "deutsche Stonehenge" steht in Pömmelte nahe Magdeburg. Die Anlage ist rund und aus verschiedenen Aussichtsstellen konnte vielleicht die jahreszeitenbedingte Laufbewegung des Sonnenaufgangs am Horizont beobachtet werden (Abb. 2).
Die Himmelscheibe von Nebra soll einer der ältesten Darstellungen des Nachthimmels, wenn nicht die Älteste überhaupt sein. Der Mond und die Sonne sowie einige Sterne sind mit Goldtauschierungen eingearbeitet worden. Die Himmelsscheibe zeigt eine nachträglich eingebrachte Verzierung, die ein Schiff für den nächtlichen Rücktransport der Sonne von Westen nach Osten zeigt. Dies ist auch eine der ersten Hypothesen, wenn man so will, über die "Mechanik" der täglichen Auferstehung der Sonne.
Tausende von Kilometern entfernt, auf einem anderen Kontinent, haben sich die Mayas ebenfalls mit Astronomie beschäftigt. Das Observatorium "El Caracol" in Chichen Itza (Abb. 3) sieht einem modernen Observatorium nicht unähnlich. Diverse Öffnungen im Turm und in der Kuppel erlaubten es den Maya-Astronomen, den genauen Zeitpunkt von Himmelsereignissen zu ermitteln. Die Maya-Pyramiden selbst wurden so orientiert, dass am Anfang des Frühlings oder Herbstes diverse Schattenspiele an den Mauern die neue Jahreszeit ankündigten.
Mit ihren astronomischen Beobachtungen und mit ihrer positionellen Arithmetik konnten die Mayas einen erstaunlichen Kalender entwickeln, der sich Tausende Jahre in die Zukunft und in die Vergangenheit erstreckte. Den Anfang der Zeit haben die Mayas auf über 3000 Jahre vor unserer Zeit festgelegt.
Was diese Beispiele zeigen, und wir könnten dafür praktisch jede Großkultur als Beispiel heranziehen ist, dass Menschen von Natur aus die Sterne beobachten. Der Blick zum Himmel fällt uns leicht. Und dann fängt die Kopfarbeit an.
Galileo, Newton und Herschel
Galileo hat das Teleskop nicht erfunden aber verbessert und seit 1609 für astronomische Beobachtungen eingesetzt. Die großen Astronomen der Antike und sogar die Astronomen der Frührenaissance, verfügten bereits über diverse Instrumente wie das Astrolabium, hatten aber keine Möglichkeit Licht aufzusammeln und gebündelt ins Auge zu fokussieren, wie ein Teleskop dies tut. Galileo hat in seinem Teleskop zwei Linsen eingebaut und konnte damit Täler und Berge im Mond sowie die Monde des Jupiters beobachten.
Mit den Beobachtungen von Galileo betreten wir eine neue Ära der Astronomie, die viel weiter und viel mehr am Himmel sehen kann. Das Fernrohr von Galileo war aber ein Refraktor, d.h. es basiert auf einer Aufeinanderfolge von Linsen. Um zu verhindern, dass die unterschiedlichen Wellenlängen nach der Refraktion auseinanderfliegen, müssen die Linsen so flach wie möglich sein. Damit wird die sogenannte chromatische Aberration verhindert, aber die Teleskope werden immer länger, je nachdem wie viele Linsen eingebaut werden und welche Parameter diese aufweisen.
Frühe Teleskope mussten mit vielen technischen Problemen kämpfen, darunter die Qualität des verwendeten Glases, das am Anfang etwas trübe war. Die Oberfläche der Linsen musste auch richtig bearbeitet werden. Der Astronom Johannes Hevelius hat aber 1641 in Danzig mit seinem Riesenteleskop wahrscheinlich alle Längenrekorde seiner Zeit gebrochen. Abb. 4 ist ein Stich von 1908, sodass wir nicht sicher sein können, dass das Teleskop wirklich so aussah, es hatte aber angeblich eine Länge von 46 Metern und das erst 32 Jahre nach den ersten Versuchen von Galileo.
Parallel zu den Linsenteleskopen wurden Spiegelteleskope entworfen, die nach Galileo immer besser wurden. Dass Paraboloide Licht fokussieren konnten, wussten bereits die Griechen und erste funktionierende Spiegelteleskope wurden seit 1616 gebaut. Isaac Newton hat ab 1668 eigene Spiegelteleskope entworfen, die das Licht durch einen Sekundärspiegel zum Okular geführt haben (Abb. 5). Ab dann gab es ein Wettrennen zwischen den besten Linsenfernrohren und den besten Spiegelteleskopen, um die besten Aufnahmen des Sternenhimmels zu produzieren.
In der Innovationsforschung gibt es eine Kennzahl, die immer wieder für den Vergleich der Diffusion von Technologie herangezogen wird: Es ist die Verdopplungszeit. Man kann z.B. die Entwicklung der Leistung von Dampfmaschinen tabellarisch auftragen und fragen, wie lange es dauert, bis die Wirkung (der prozentuelle Anteil der Wärmeenergie, die in nützliche mechanische Arbeit verwandelt wird) sich verdoppelt. Oder bei Flugzeugen: Wie lange hat es ab den Gebrüdern Wright gedauert bis sich deren Geschwindigkeit verdoppelte? Für Teleskope gibt es die entsprechenden Daten, die in Abb. 6 zusammengefasst werden.1 Man sieht in der Abbildung, dass es Teleskope seit vier Jahrhunderten gibt. Die ersten Linsenteleskope hatten Öffnungen von wenigen Zentimetern. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Halbmetermarke erreicht aber es gab bereits gescheiterte Prototypen mit einem Meter Durchmesser. In den letzten dreihundert Jahren verdoppelte sich der Durchmesser der Spiegelteleskope im Durchschnitt alle 48 Jahre. Bei Linsenteleskopen gab es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein ähnliches Entwicklungstempo. Ab dann waren die Spiegelteleskope unschlagbar und viel einfacher zu bauen. Einer der letzten Linsen-Dinosaurier seiner Zeit steht in der Archenhold Sternwarte in Berlin. Mit einer Brennweite von 21 Metern und einer Öffnung von 68 Zentimetern, ähnelt das Teleskop einer überdimensionalen Kanone, wenn es in der Sternwarte in Position gebracht wird.
Spiegelteleskope brauchen ein möglichst perfektes Paraboloid. Es gibt dafür spezielle Schleifmaschinen aber die Spiegel werden letztendlich sehr schwer. Diese schweren Teile müssen aber bewegt werden und können horizontal bzw. vertikal stehen. Sie verformen sich je nach Lage. Deswegen baut man heute große moderne Teleskope mit Kacheln der passenden Form, die außerdem mit Aktuatoren mikroskopisch genau fein justiert werden können. Es gibt aber auch Teleskope mit dünneren Spiegeln, die ebenfalls durch Druckaktuatoren in die richtige Form gebracht werden können. Die Fokussierung der segmentierten Reflektoren wird durch Einsatz eines Lasers vollautomatisch erreicht auch beim laufenden Betrieb des Teleskops, das dann die Fokussierung anhand der atmosphärischen Bedingungen in Echtzeit anpassen kann. Mit dieser Konstruktionsform ist es heute möglich, Spiegelteleskope mit 10, 20 oder 30 Metern Durchmesser zu bauen. Das im Bau befindliche europäische Extremely Large Telescope (ELT), z.B. soll 39 Meter Durchmesser aufweisen. Der Reflektor wird aus 798 sechseckigen Spiegelelementen bestehen.
Multiwellenlänge-Astronomie
Das wirklich spannende in der Astronomie ist, dass wir mit dem 21 Jahrhundert die Schwelle zur sogenannten "Multiwellenlänge-Astronomie" überschritten haben. Galileo und seine Nachfolger im 17. Jahrhundert konnten mit ihren Teleskopen nur Licht im sichtbaren Bereich einfangen. Seit etwas mehr als hundert Jahren haben wir aber Sensoren, mit denen Astronomie im Infrarot-, Mikrowellen- und Radiowellen-Bereich möglich ist. Wenn man als Modell der Verteilung der Wellenlängen von Photonen einen sogenannten schwarzen Körper zugrunde legt (d.h. ein System im thermischen Gleichgewicht), unterscheiden die Physiker Lichtquellen nach der Temperatur der Strahlung in Grad Kelvin. Infrarot-, Mikro- und Radiowellen stammen aus "kühleren" Objekten als die Sterne, die wir im Teleskop beobachten. Es gibt aber auch "heißere" Objekte im Weltraum, wie die Supernovas, die Akkretionsscheiben von Schwarzen Löchern oder Gas in Galaxienclustern. Diese Objekte geben Ultraviolett-, Röntgen- und Gammastrahlen aus. Für ihre Registrierung sind die entsprechenden Laborinstrumente notwendig. Die Tabelle zeigt, in welchem Wellenbereich Astronomie heute möglich ist (eigentlich für das gesamte Photonenspektrum), sowie die entsprechenden Temperaturen der beobachteten Objekte.
Art der Strahlung | Temperatur der Objekte | Einige Quellen |
Gammastrahlen | größer als 108 K | Akkretionsscheiben um Schwarze Löcher |
Röntgenstrahlung | 106-108 K | Gas in Galaxienclustern, Supernovas, Sternen-Korona |
Ultraviolett | 104-106 K | Supernove, heiße Sterne |
Sichtbares Licht | 103-104 K | Planeten, Sterne, Satelliten |
Infrarot | 10-1000 K | Staub und Gaswolken, Planeten |
Mikrowellen | 1-10 K | Licht aus kühlen Gaswolken; kosmische Mikrowellenstrahlung |
Radioastronomie | weniger als 1K | Bewegung von Elektronen in Magnetfeldern |
Tabelle 1: Die Photonenenergien, die von heutigen Instrumenten detektiert werden können. Die Energien werden in Grad Kelvin angegeben. |
Dazu kommen die Observatorien für Gravitationswellen, die bereits im Einsatz sind und die Neutrinodetektoren, die allerdings noch nicht so empfindlich sind. Ein eindrucksvolles Beispiel der Beobachtung von Ereignissen "auf allen Kanälen" war die Detektion der Gravitationswellen der Kollision von zwei Neutronensternen im August 2017 durch das LIGO-Observatorium. Nach der Meldung des Ereignisses, haben die Astronomen ihre Teleskope zum Ort der Kollision gerichtet und konnten die Auswirkungen im optischen, Infrarot- und Röntgenbereich verfolgen. Auch die Gammastrahlen wurden detektiert. Mit all diesen Beobachtungen konnten theoretische Modelle von Neutronensternen bestätigt werden.2
Neue Generationen von optischen Teleskopen
Nur die Astrophysiker können eigentlich mit den Hochenergiephysikern konkurrieren, wenn es darum geht, die teuersten wissenschaftlichen Instrumente zu bauen. CERN in Genf und andere Beschleuniger, wie DESY in Hamburg, kosten Millionen und Milliarden Euro. Nicht viel billiger sind die astronomischen Observatorien und die Teleskope, die neuerdings sogar als "Array", d.h. als Sammlung von ähnlichen Teleskopen in der Landschaft verteilt werden. Es ist am besten, wenn die Teleskope auf einem Berg oder Vulkan stehen, d.h. möglichst hoch, und in trockenen Gebieten wie der Wüste von Atacama in Chile, der trockensten Wüste der Erde. Das Extremely Large Telescope wird gerade auf dem Berg Armazones in Atacama fertiggestellt und soll 2024 das "erste Licht" sehen. Abb. 7 ist sehr eindrucksvoll. Es zeigt wie die Reflektoren der größten Teleskope in Beziehung zueinander und im Vergleich mit einem Tennisfeld stehen. Das ELT wird alle anderen Teleskope mit seinem 39,3 Meter Primärspiegelsystem in den Schatten stellen. Die USA halten dagegen mit dem Projekt "Thirty Meter Telescope", das allerdings das "erste Licht" erst für 2027 vorsieht. Das TMT soll vor allem für Beobachtungen im Infrarot-Bereich eingesetzt werden, womit man sehr alte Galaxien, deren Licht sich rotverschoben hat, beobachten kann. Die Europäische Südsternwarte (ESO) hat aber auch von einem Spiegel mit 100 Metern Durchmesser geträumt (aber nur geträumt), deren Umriss in Abb. 7, im Hintergrund, zu sehen ist.
Seit der Einführung der Radiowellen-Interferometrie versucht man, auch größere "virtuelle" Teleskope zu bauen, die das Licht von mehreren Teleskopen kombinieren. Das Large Binocular Telescope in Arizona kann auf diese Weise einen viel größeren Reflektor emulieren. Wahrscheinlich werden die größten Teleskope in Zukunft nur noch als solche Arrays von mehreren Teleskopen gebaut.
Abb. 9 zeigt ein Bild des Gammastrahlung-Observatoriums in Puebla, Mexico, das ich im Jahr 2015 besucht habe. Man kann die "Pixel" der überdimensionalen Gamma-Kamera leicht erkennen. Jedes "Pixel" des Observatoriums besteht aus einem Wassertank, in dem Photonen durch Gammastrahlen aus dem All freigesetzt werden. Empfindliche Photodetektoren erkennen die Lichtblitze und melden sie an den Zentralrechner, der dann eine Aufnahme des Ereignisses berechnet. Es ist die einzige "Kamera", die ich kenne, in der man in die einzelnen Pixel, bei der Wartung ohne Wasser, reinspazieren kann. Neue Pixel (Wassertanks) werden laufend angehängt.
Von der Himmelsscheibe von Nebra, von den Maya-Observatorien, von der Astronomie der Babylonier und Hindus bis heute sind Jahrtausende vergangen. Aber erst im 21. Jahrhundert verfügen wir über das Instrumentarium um den Nachhimmel wirklich verstehen zu können. Doch eigentlich fehlt uns noch das letzte Stück: Detektoren für dunkle Materie, die heute nur indirekt über zurückgerechnete Gravitationslinsen mit Hilfe des Computers feststellbar ist. Darüber wird getrennt, bei den Weltraumteleskopen, zu berichten sein.