Thaksins langer Schatten

Wie der thailändische Ex-Premier immer noch die Politik seines Landes dominiert

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Mit 232 Sitzen von insgesamt 480 im thailändischen Parlament hat die People's Power Party (PPP) die Parlamentswahl am 23. Dezember 2007 in dem südostasiatischen Königreich gewonnen. Laut dem amtlichen Endergebnis kommt die Democrat Party auf 165 Sitze. Die PPP braucht einen Koalitionspartner, um die Regierung zu formen.

In Thailand wurde gewählt, was für einen Staat mit Militärregierung) nicht selbstverständlich ist. Zufrieden werden die Thai-Generäle mit dem Wahlergebnis jedoch nicht sein. Die meisten Stimmen entfielen auf die Partei, die die Nachfolge von Thaksin Shinawatras Thai Rak Thai angetreten hatte – die People's Power Party) (PPP) bzw. die Palang-Prachachon-Partei auf Thai. Ein verlorenes Jahr für das Land, nachdem sich nichts geändert hat?

Nicht ganz, denn zum einen ging die Wahl viel knapper aus als bei den Wahlen 2001, bei der Thaksin mit einem Erdrutschsieg an die Macht kam, den Wahlen 2005, bei denen Thai Rak Thai mit einem weiteren Erdrutschsieg ihre Stellung ausbauen konnte und erst recht bei den annullierten Wahlen von 2006, als Thai Rak Thai quasi alleine antrat. Zum anderen konnte die Democrat Party, seit 2001 die stärkste Oppositionspartei, einen erklecklichen Zuwachs an Stimmen auf sich vereinen. PPP-Führer Samak Sundaravej hat schon in der Wahlnacht den Posten des Premierministers für sich in Anspruch genommen. Sollte die PPP keine Koalition zustande bekommen, so versucht Demokraten-Führer Abhisit Vejjajiva, sich weiterhin im Gespräch zu halten für eine mögliche Koalition unter Führung der Democrat Party. Der Pferdehandel um die Macht ist eröffnet, und lachender Dritter könnte Politikzombie Barnharn Silpa-Archa von der Thai-Nation-Partei werden. Die ist als drittstärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen und würde nun gerne die thailändische FDP werden.

In einigen Wahlkreisen muss nachgewählt werden, da bei der Wahlkommission Klagen wegen Stimmenkaufs eingegangen sind. Diese Nachwahl wird am 13. Januar 2008 stattfinden.

Volksabstimmung über den Putsch

Der Wahlerfolg der PPP ist in erster Linie ein Schlag ins Gesicht der Armeeführung im Council for National Security (CNS), dem Gremium der Junta-Generäle. Die PPP hatte es geschafft, nach der Volksabstimmung über die neue Verfassung im August 2007 auch die Parlamentswahl zur Abstimmung über den Putsch zu machen.

Während sich die PPP konsequent gegen den Putsch positioniert hatte (Zeigt das Militär die Zähne?), hatte die Democrat Party keine eindeutige Linie zum Militär gefunden. Vielmehr war die Position der Partei ein „Eigentlich finden wir den Putsch auch nicht gut, aber ...“ Und die Tatsache, dass Abhisits Partei die Wunschpartei der CNS an der Spitze der neuen Regierung war, hat sie in großen Teilen des Landes nicht wählbar gemacht. Im Nordosten, wo TRT besonders stark war, erreichte die Democrat Party gerade um die zwei Prozent.

People's Power Party: Thai Rak Thai Reloaded

Die Geschichte der PPP ist ein Kuriosum der thailändischen Politik. Lange Zeit war sie eine unbedeutende Partei, die landesweit keine größere Aufmerksamkeit gefunden hatte. Nachdem die TRT wegen Wahlbetrugs aufgelöst worden war, traten mehrere große Flügel von TRT geschlossen in die kleine PPP ein. Da die Neumitglieder schnell in der Mehrheit waren, war die Übernahme schnell abgeschlossen, das Logo wurde überarbeitet, sodass es dem bekannten TRT-Logo jetzt auffallend gleicht. Auch die Kandidaten waren bei der letzten Wahl alle schon auf den TRT-Plakaten abgebildet gewesen und das Wahlprogramm setzt das TRT-Programm lückenlos fort, selbst die Namen für einzelne Förderprogramme wie One Tambon One Product (OTOP) sind geblieben. Der einzige Unterschied ist, dass statt dem viereckigen Gesicht von Thaksin Shinawatra das bullige von Samak Sundaravej blickt, dem Parteivorsitzenden und Schreckgespenst der Bangkoker.

Der politische Rabauke Samak hat in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausgelassen, den politischen Gegner öffentlich so unter der Gürtellinie anzugreifen, dass sich an ihm die Geister genauso scheiden wie an Thaksin. Ihre Anhänger hat die Partei vor allem unter den armen Bevölkerungsteilen, vor allem im von Landwirtschaft und Not geprägten Nordosten und im Norden des Landes, woher Thaksin auch stammt. Ihre dortige Beliebtheit basiert jedoch vor allem auf der Nähe zu Thaksin, auf die Samak selbst im Wahlkampf immer wieder abhebt und sich als Thaksins Vertreter bezeichnet hat. Nicht zuletzt dadurch kam die Unterstützung im Wahlkampf auch von Taxi- und Tuk-Tuk-Fahrern, die ihre Fahrzeug oft mit dem Parteilogo beklebten. Logos anderer Parteien fanden solche Verbreitung nicht.

Volksabstimmung über Thaksin

Thaksin und das Erbe der TRT waren das zweite Pfund, mit dem Samak im Wahlkampf wuchern konnte. Politik wird in Thailand stärker an Personen als an Parteien festgemacht. Deshalb war der neue Parteiname weniger wahlentscheidend als die Tatsache, dass die schon aus TRT-Zeiten bekannten Gesichter zur Wahl standen. Dadurch wurde auch vor allem im Norden und in Nordosten die Wahl auch zur Abstimmung darüber, ob Thaksin wieder ins Land kommen solle. Samak hatte kurz vor dem Wahltermin noch gesagt, dass unter ihm als Premierminister Thaksin am Valentinstag 2008 zurückkehren werde. Außerdem will er den 111 leitenden TRT-Mitgliedern, die im Rahmen des Parteiverbotes auch ein fünfjähriges Politikverbot erhalten hatten, eine Amnestie gewähren.

Die Bangkoker Elite hatte deshalb alles versucht, um eben diesen Wahlsieg der PPP zu verhindern. So finden sich in den neuen Wahlgesetzen einige Passagen, die anscheinend nur einen Zweck haben: die PPP zu schwächen.

So gibt es beispielsweise jetzt keine landesweiten Parteilisten mehr, sondern das Land wurde in acht Regionen aufgeteilt. Auffallend bei dieser Art von Wahlkreisgeometrie ist, dass der Nordosten, wo die PPP überstark vertreten ist, teilweise mit angrenzenden Provinzen, in denen andere Parteien stärker sind, zusammengefasst wurde.

Demokratie in Thailand – Demokratie von oben

Ironischerweise beginnt die Geschichte der thailändischen Demokratie mit dem Königshaus, genauer mit König Rama VI., auch Vajiravudh genannt. Man könnte ihn, der 1910 absoluter Monarch von Siam – so Thailands damaliger Name – geworden war, in mancher Hinsicht als den Vater der thailändischen Demokratie bezeichnen. Von den Kolonialmächten Großbritannien (in Burma und Malaysia) und Frankreich (in Laos, Kambodscha und Vietnam) umgeben, suchte der siamesische Souverän nach Möglichkeiten, das Land zu stärken und gegen die Kolonialisierung zu schützen. Einerseits organisierte er das zuvor pluralistische Selbstbild des Landes um in ein ethnozentristisches, andererseits erkannte er aber auch, dass Siam nicht mehr weiter als absolute Monarchie bestehen konnte, ohne den Anschluss an die technische und gesellschaftliche Entwicklung der restlichen Welt nicht zu verlieren. Deshalb experimentierte er mit der Demokratie, ließ Modelldörfer sich mit demokratischen Mitteln selbst verwalten. Auf Landesebene hatte er die Demokratie nicht eingeführt, weil seine Untertanen für Demokratie „noch nicht bereit“ seien.

Auch wenn Rama VI. die Demokratie nicht eingeführt hat, so ist die thailändische Demokratie dennoch eine Demokratie von oben, nämlich das Ergebnis einer Revolution der Militärelite im Jahr 1932. Orientierungspunkt war die Türkei, die sich wenige Jahre zuvor ebenfalls unter der Führung von Mustafa Kemal Atatürk aus dem Osmanischen Reich heraus gegründet hatte. So unterschiedlich Thailand und die Türkei sind, das Selbstverständnis des Militärs in beiden Ländern als Hüter der Demokratie teilen sich beide.

Darin zeigt sich auch der Unterschied zwischen der Demokratie westlicher Prägung und der Demokratie in Südostasien – in Großbritannien wurde König John of England mit der Unterzeichnung der Magna Carta im Jahr 1215 zur Abgabe einiger seiner Rechte gezwungen. Vor allem aber durch die Bill of Rights wurde der britische König 1689 endgültig als eine dem Gesetz unterworfene Person definiert. Dem vorausgegangen waren Jahrzehnte lange Auseinandersetzungen zwischen Parlament und König. Die Franzosen erkämpften sich die Souveränität des Volkes selbst. Das Selbstverständnis der Bürger ist dadurch natürlich ganz anders, als wenn die Demokratie als ein Geschenk von oben betrachtet wird.

Ergebnis ist in Thailand eine Art von paternalistischer Demokratie, in der Wahl- und Parteiprogramme weitaus weniger wichtig sind als Personen - vor allem dann, wenn die Programme der Parteien keine Alternativen zu einander darstellen – und wo Autokraten wie Thaksin Shinawatra so lange akzeptiert werden, wie sie ihre Wähler gut genug versorgen. Damit steht Thailand aber nicht isoliert da – in Malaysia regierte Mahatir bin Mohamad das Land von 1983 bis 2003 mit eiserner Hand, in Singapur prägt Lee Kuan Yew die Politik des Stadtstaates seit 1959, in Pakistan – immerhin ein offizieller Verbündeter der USA – regiert Pervez Musharraf seit 2001 an der Spitze einer Militärregierung und rief im November für anderthalb Monate den Ausnahmezustand aus.

Die Landschaft der thailändischen Politik ist in der Zeit nach Thaksin eine ganz andere als zuvor. Trotz Machtmissbrauchs, Korruptionsvorwürfen und Unregelmäßigkeiten – Thaksin hat neben der Selbstbereicherung mit Hilfe seiner populistischen Politik auch vielen Leuten aus dem thailändischen Prekariat Zugang zu einer bezahlbaren Gesundheitsversorgung oder Chancen auf Bildung gegeben. Dadurch hatte er vielen Thailänder aus den Provinzen deutlich gemacht, dass Demokratie mehr sein kann, als am Wahltag die Geldgeschenke einzustecken.

Allerdings war Thaksins Politik eine reine Klientelpolitik, die an der Elite des Landes vorbeiging. Von seinem eigenen Erfolg berauscht, hatte er den Bodenkontakt verloren und sich für unbesiegbar gehalten. Eine Fehleinschätzung zwar, aber dennoch bleibt Thaksin die führende Figur auch von London aus. Denn die populistische Politik, die er initiiert hatte, findet sich in Variationen in den Parteiprogrammen aller wichtigen Parteien des Königreichs. Eine Rückkehr zur Zeit vor TRT ist nicht mehr möglich.