"The Brutalist": Epochales Meisterwerk über die Moderne
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- "The Brutalist": Epochales Meisterwerk über die Moderne
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Die Gegenwart der Vergangenheit und vom Antisemitismus in Amerika: Brady Corbet brillantes, monumentales Epos. Die besten Filme sind immer die, die wir spüren.
Ein Künstler und ein Kapitalist, zwei Archetypen des 20. Jahrhunderts, zwei Außenseiter in ihren Milieus, zwei Varianten des amerikanischen Traumes und der Moderne, und im Zusammenspiel Ausdruck von deren Dialektik. Es ist eine grundsätzliche, archetypische Geschichte, die der Film "The Brutalist", die erst dritte Spielfilmregie des hochbegabten Ex-Schauspielers Brady Corbet, erzählt.
Doch zunehmend geraten Geld und Kunst, Geist und Macht und die persönliche Rivalität der beiden Männer in einen unauflöslichen Konflikt. So geht es letztlich um den amerikanischen Faschismus und den Antisemitismus in Amerika.
Es geht auch um Elite, um außergewöhnliche Menschen, um das Besondere, Einmalige, das Künstler von der gewöhnlichen Masse trennt. Denn, wie der Perlentaucher schreibt:
"Nicht alles am Genie ist abzulehnen."
Zehn Oscar-Nominierungen können nicht irren. In Venedig gab es schon einen Silbernen Löwen als Regiepreis, vor wenigen Wochen drei Golden Globes und viel mehr.
Amerika sehnt sich klammheimlich nach der Zeit des klassischen Hollywood
Tatsächlich, so einen Film hat man schon lange nicht mehr gesehen: ein Film, der in der Tradition des großen klassischen Hollywood steht, den man mit Klassikern wie Orson Welles' "Citizen Kane" ebenso vergleichen kann, wie mit "The Fountainhead" King Vidors Aryn-Rand-Verfilmung oder mit Christopher Nolan – also mit den ganz Großen.
Warum? Was macht diesen Film so außergewöhnlich? Womöglich sehnt sich Amerika klammheimlich nach der Zeit des klassischen Hollywood.
"Make America great again" – das Trump-Motto durchzieht auch die Filmbranche, die nicht anders als der Rest der US-amerikanischen Ökonomie von der chinesischen Filmszene, den Indern, aber auch von kleineren Ländern in Lateinamerika und Europa und vor allem von neuen Technologien, Gamern und Streamern herausgefordert wird.
Nur mit Superhelden kann man da auf die Dauer nicht gegenhalten und jenseits der immer formatierter wirkenden Hollywood-Stoffe und einer geradezu reaktionären Rückkehr zu brav-biederen Pseudo-Tabubrüchen wie in "Babygirl" diese Woche, fehlt dem US-Kino in den letzten Jahren echte Tiefe und jede Poesie.
Nur einzelne Regiekünstler wie Sofia Coppola, Quentin Tarantino und Christopher Nolan können hier herausstechen und ein paar alte Meister wie Martin Scorsese erinnern an ihre großen Zeiten.
Und dann kommt da plötzlich Brady Corbet. Er fragt nicht um Erlaubnis, sondern fordert die Götter heraus, mit großer Geste: Gleich in der ersten Einstellung wird alles auf den Kopf gestellt – wenn auch nur im Blick der Hauptfigur (und des Publikums).
Taumelnde Perspektive, verzerrte Freiheit
Der Anfang ist buchstäblich umwerfend. Die Stimme einer Frau erzählt in Briefform aus dem Off von einem Verhör. Die Briefschreiberin selbst ist das Objekt der scharfen Befragung. Folter wird angedeutet. Die Sprache ist ungarisch; der Brief richtet sich an einen "Laszlo".
Das Verhör könnte sich schon während des ungarischen Faschismus im Zweiten Weltkrieg ereignet haben, oder irgendwann im Stalinismus der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Plötzlich wechselt die Szenerie: Man sieht viel Braun und Grau, man sieht einen Mann, mehrere Männer, in einem dunklen Raum; Körper und Stimmen drängeln sich, es ist laut, die Atmosphäre bedrängend, unangenehm, die Perspektive ist schief und verdreht, die Kamera taumelt, das Licht kommt von oben und dann erst begreift man: Es ist ein Schiff, dessen Deck sich gerade öffnet und das Erste, was zu sehen ist, ist die auf dem Kopf stehende, dann horizontale Freiheitsstatue.
Wird sie je wieder auf ihren Füßen stehen? Das ist eine der Fragen, die sich fortan durch diesen Film ziehen. Schon im ersten Bild wird sie nahegelegt, im verzerrten Blick, dem ersten, das ein Mann von Amerika einfängt, nachdem nach einer langen Reise die Luke aufgeht. Dazu atonale Musik, modernistische Töne.
Zusammenbruch des Mythos "Amerika"
Dieser Film wird von den Vereinigten Staaten handeln, aber er suggeriert zugleich von Anfang an den sofort den Zusammenbruch des Mythos "Amerika".
Dem Prolog zufolge ist "The Brutalist", der dritte Spielfilm von Brady Corbet – nach "Childhood of a Leader" und "Vox Lux", in denen es ebenfalls direkt um Faschismuserfahrungen ging – eine Reise von der Dunkelheit ins Licht.
Aber dieses Licht ist nie ein erlösendes. Immer wieder während des gesamten Films wechseln sich Licht und Dunkelheit ab, und am Ende des Tunnels steht bestenfalls Ruhe, aber kein Frieden.
Der Mann, der hier ankommt, und den die Kamera nun begleitet, ist jener Laszlo des Briefs, Laszlo Toth, ein modernistischer Architekt, der der Shoah und dem Faschismus entronnen, mit nichts in der Tasche, 1947 aus Europa in die USA kommt, aus Ungarn nach Pennsylvania. Von nun an versucht er, einen Platz in der US-amerikanischen Gesellschaft zu erringen.
Noch in den ersten Minuten skizziert Brady Corbet in wenigen schnellen Szenen das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Einwanderer. Er zeigt Ellis Island, provisorische Unterkünfte, streift Prostitution, Ausbeutung und Rassismus, ein Sujet, das in diesem Film bis zum Ende auch eine Rolle spielen wird.
Dann steigt Laszlo in einen der Greyhound-Busse, die die Einwanderer im Land verteilen, und der nächste Abschnitt beginnt.
Wagnerianer des Kinos
Gegliedert ist der Film in eine Ouvertüre, zwei Hauptteile, die von einer genau 15-minütigen Pause unterbrochen werden, und einen Epilog. Das erinnert an die Unterteilung einer Oper, genauso wie die Zeit, die sich der Film nimmt, und sein epischer Grundton.
Auch die mal atonale, mal immersive, symphonisch wirkende Musik, die grundsätzlich etwas zu laut und zu betont eingespielt wird, lässt, zusammen mit dem nie verborgenen Kunstwillen, Corbet als einen Wagnerianer des Kinos erscheinen.
Film ist bei ihm wie für Sergej Eisenstein und Orson Welles ein Gesamtkunstwerk aus höchstem Anspruch, dominiert von musikalischem Denken: Kino als Fortsetzung von Musik mit anderen Mitteln.
Hybris und Obsession
Der erste Hauptteil, über dessen Beginn auch die auffallend schönen, in konstruktivistischer Schrift gestalteten Zeilen der Titelsequenz von rechts nach links über das Bild wandern, heißt "The enigma of arrival 1947-1952". Dieses Rätsel der Ankunft wird nicht weiter vertieft, dafür lernt man die Hauptfigur kennen. Laszlo war erfolgreicher Bauhaus-Schüler.
Durch verschiedene, nur zu ahnende Erlebnisse traumatisiert, beginnt er in den USA zuerst in bitterster Armut: Er muss Kohle schaufeln und auf dem Bau arbeiten. Durch eine glückliche Fügung des Schicksals wird er von dem Unternehmer und Multimillionär Harrisson Van Buren als begabter Architekt entdeckt und mit verschiedenen Aufträgen gefördert.
Ist es reiner Zufall, dass diese Figur den Namen eines US-Präsidenten trägt? Und dass Laszlo Toth eigentlich der Name jenes geistesgestörten Mannes ist, der 1972 mit Hammerschlägen Michelangelos Pièta schwer beschädigte?
Nachdem er sich in dessen Augen bewährt hat, erhält Laszlo von Van Buren den Auftrag seines Lebens, der für den Architekten schnell auch zu einer privaten Obsession wird: Auf einem Hügel nahe Van Burens Landsitz soll er ein großes Gemeindekulturzentrum bauen, das auch eine Kapelle enthalten und den Namen von Van Burens Mutter tragen soll – eine Art Mausoleum.
Es soll im modernistischen Stil des Brutalismus gebaut werden – so erklärt sich der Titel des Films.
Brutalismus ist die Architektur des Puren, Rohen, der sehr harten, hohen Betonwände, der Kontraste. Dadurch, dass es weder Tapeten noch Holzverkleidung oder gar Plastik und Metall gibt, wird der darunterliegende Beton offen freigelegt.
Das Beton-Mammutwerk, an dem Laszlo irgendwo im Nichts vor Philadelphia fast ein Jahrzehnt lang baut, erinnert im Megalomanen des Projekts und seiner Unfähigkeit zur Vollendung, wie in der Hybris des Erbauers an das Opernhaus in Werner Herzogs "Fitzcarraldo".
Das unvollendete Projekt der Moderne
Man kann in diesem kompromisslos modernen Bau und dem, was ihm geschieht, aber auch eine Metapher für die Moderne als solche sehen, die stellvertretend für viele andere vom Philosophen Jürgen Habermas als "unvollendetes Projekt" beschrieben wurde.
Im Auseinandertreffen der denkbar unterschiedlichen Temperamente und Charaktere Laszlo und Van Buren sind unschwer auch Repräsentanten dieser Moderne und ihrer Dialektik erkennbar. So wie Repräsentanten des (Vorkriegs-)Europa und der USA.
Laszlo ist letztlich ein Idealist, der zwar die Fähigkeit zum Pragmatismus besitzt, aber ihm fehlt der Wille zum Kompromiss. Er möchte sich den Traum eines Architekten erfüllen, einmal alles so bauen zu können, wie er will. Van Buren wiederum ist großzügig, neugierig und offen genug, um den Einwanderer aufzunehmen und ihm viele Möglichkeiten zu geben, um seinen Traum zu erfüllen.
Aber er kauft sich in Laszlo auch ein menschliches Spielzeug, das auf seiner Payroll steht, und in dessen Wünsche er sich einschreibt, sie sich zu eigen macht. Van Buren will Anerkennung als Kapitalist und Mäzen, Laszlo als Künstler und Könner. Beide sind zwei Willensmenschen, die letztlich den Willen ihres Gegenübers bezwingen wollen. Beide sind Außenseiter unter ihresgleichen und zumindest hierin Seelenverwandte.
Die Künstler und die Geldheinis
In beiden Figuren manifestiert sich aber auch Grundsätzliches: das Verhältnis der Kunst zur Welt. Künstler leiden, Künstler sind sensibel, Künstler geben sich preis. Sie müssen es jedes Mal wieder aushalten, dass der Plebs mitredet, dass Banausen bestimmen, dass willkürlich und demokratisch entschieden werden soll, wo es um Schönheit und Wahrheit gehen müsste.
Diese tiefen Leiden der Künstler vollzieht der Film nach. Warum lasse ich mich ausbeuten? Warum lasse ich mich quälen, negieren von Geldgebern, die ganz andere Dinge wollen? Von Menschen, die keine Ahnung haben, die nicht auf meinem Niveau sind? Warum stelle ich mich aus und zur Schau und gebe mich preis vor einer Öffentlichkeit, die größtenteils am Kunstwerk und meiner Arbeit nicht sehen kann, was zu sehen wäre?
Künstler, auch Filmkünstler, fragen sich jeden Tag ein Leben lang: Mache ich noch weiter? Lasse ich mir das noch gefallen? Warum habe ich es hier mit lauter kleinen Geistern zu tun? Warum regieren immer die Bedenkenträger? Die Controller? Die Rechenschieber und Pfennigfuchser? Warum, warum, warum?
Zwei Außenseiter
Endlich einmal zeigt ein Film das alles, empathisch, in Laszlos Figur, ohne es billig aufzulösen, oder gar lächerlich zu machen.
Der Kapitalist Van Buren, ein Manager, der groß denkt und alles will, der aber innerlich leer ist, doch sensibel genug, um unter dieser Leere zu leiden, um zu wissen, zu spüren, dass da mehr ist, er steht zu Laszlo, gibt ihm alle Möglichkeiten, jedenfalls lange Zeit.
Und dann doch nicht. Denn er kämpft letztlich nur für den persönlichen Ruhm. Für den Ruhm zu Lebzeiten, jetzt und hier; er baut ein Mausoleum für das Private, wo Laszlo an einem Mausoleum für die Menschheit oder jedenfalls für all die Ermordeten der Shoah arbeitet. Auch ohne es zu sagen.
So haben diese beiden Außenseiter auch ihre eigene Agenda. Sie benutzen den jeweils anderen.
Großzügig oder Trottel
Adrien Brody und Guy Pearce haben in diesen Rollen herausragende Auftritte.
Während Pearce seine Figur an die größten Kapitalistenfiguren Hollywoods, an den Titelhelden in "Citizen Kane" und an verschiedene Darstellungen von Howard Hughes anlehnt, und eine Person zeigt, die brutale Härte mit echter Freundlichkeit verbindet und eine dritte Seite sorgfältig zu verstecken trachtet, trägt Brody seine Figur aus Roman Polańskis "The Pianist" in diese Rolle hinein. Ein Verfolgter und ein Künstler. Ein an Körper und Seele Versehrter, in dessen Gesicht sich Lachen und Weinen zu paaren scheinen.
Aber die etwas zu einseitige Aufmerksamkeit auf Brodys Leistung und Figur ist doppelt ungerecht. Fast alles an "The Brutalist" hängt von Guy Pearces Leistung ab. Schwer vorstellbar, wie Brady Corbet die Figur anders hätte besetzen können: Ein schillernder Reicher, ein großzügiger Mäzen, ein kaputter Machtmensch, ein Muttersöhnchen, ein soldatisch-gepanzerter Zivilist. Ist er ein Trottel oder zutraulich und offen?
Will er einfach aufsteigen, oder mag er Laszlos Entwürfe tatsächlich? Mag er Laszlo? Oder fasziniert ihn die Tatsache, dass er ihn nicht versteht?
Europa ist das Verborgene und Unbewusste Amerikas
Nachdem der erste Teil des Films vom Aufstieg Laszlo Toths gehandelt hat, erzählt der zweite Teil, "The Hard Core of Beauty 1953-1960" ("Der harte Kern der Schönheit"), von einer Art Abstieg: Zu Beginn kommen Erzsebet und Zsofia, seine Ehefrau und seine Nichte, die in Ungarn zurückblieben, in die USA nach – schwerbehindert und durch Hunger-Osteoporose an den Rollstuhl gefesselt.
Zuvor war immer nur von ihnen als Abwesende die Rede gewesen, nun aber treten sie und mit ihnen die Schatten der europäischen Vergangenheit ans Licht des Films.
Die Frau und die Nichte des Architekten existierten bislang nur in der Erinnerung des Protagonisten und in den Gesprächen, die er mit anderen führte, nur in Worten und Beschwörungen, fast geisterhaft. Nun wird klar, dass Europa bei Corbet auch als das Verborgene und Unbewusste Amerikas existiert, als das, was dieses Amerika nicht wahrhaben will und immer wieder verdrängt.
Das Auftauchen von Erzsebet und Zsofia bringt die Handlung aber nicht wirklich voran, sondern behindert sie. Zsofia hat für eine Weile die Fähigkeit zu sprechen verloren, ohne dass die Ursache klar würde, ebenso wie der Film ihre Erlebnisse im Haus der Van Burens nur andeutet.
Zunehmend reflektiert Laszlos Familie über die gebrochenen Utopien aus Fortschritt und Frieden, die im Amerikanischen Traum ebenso verkörpert werden, wie im Staat Israel, wohin Zsofia schließlich auswandert.
Folgen des "Zivilisationsbruchs"
Die Bauarbeiten am Mausoleum geraten ins Stocken. Wie der Erzählfluss des Films, der allerdings mit Absicht, denn dass die Linearität des Aufstiegsversprechens, des American Dream, nicht (mehr?) funktioniert, schon in den 1950er-Jahren nicht mehr bruchlos funktionierte, ist ja gerade eine zentrale These des Films.
Warum die Moderne entgleiste, warum plötzlich alles nicht mehr so glattläuft, wäre genau zu analysieren. Der fehlende Geldfluss ist nicht das Entscheidende, genauso wenig wie die Einwände der Philister. Es ist der Wille, der plötzlich schwach wird oder ganz schwindet.
Analog ins Stocken gerät aber auch die Moderne. Schon spätestens in den 1960er-Jahren, schon in Stilrichtungen wie dem Brutalismus deutet sich an, was man später die "Postmoderne" nennen wird, was von manchen ein wenig verzweifelt als "Zweite Moderne" (Ulrich Beck) euphemisiert wurde, von anderen als reaktionärer Revisionismus gebrandmarkt. So oder so aber geschah da ein unmerklicher Bruch.
All das ist Folge des Zentralereignisses des 20.Jahrhunderts, des "Zivilisationsbruchs" (Hannah Arendt).
Zum Höhepunkt des zweiten Teils wird ein Zugunglück und die Weise, wie der Regisseur dieses Geschehen lange vorher andeutete.
Das eigentlich Unfassbare in diesem Moment ist aber, dass der Film hier gleichzeitig auch die Züge mitdenkt und unzweideutig evoziert, die zehn Jahre zuvor nach Auschwitz fuhren, wo die meisten ungarischen Juden vergast wurden. Oder nach Buchenwald, wo Laszlo irgendwie überlebte.
Die Montage zwischen der Fahrt des Zuges, dem Verschwinden hinter den Wolken, dem Aufblitzen einer Explosion und der Verknüpfung dieser Aufnahmen mit dem Schmerzensschrei von Erzsbet, ist einer der Augenblicke, in denen Corbet neue meisterliche Filmmomente kreiert, und die deutlich machen, dass "The Brutalist" auch ein Film über die Shoah ist.