Tödliche Straßenkämpfer "Made in Iraq"

Angst vor Straßengang-Mitgliedern in der US-Armee

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Vor einem Jahr porträtierte die Washington Post ein ehemaliges Straßengang-Mitglied als loyalen, toughen und tapferen Soldaten der US-Armee im Irak, der sich im Kampf gegen Aufständische in Mossul einen Ruf als Symbol für „Optimismus“ im zermürbenden Krieg gegen die Guerillas erworben hatte. Die Regeln, die er im Straßenkampf in Brooklyn gelernt hatte, ließen sich beinahe eins zu eins auf die Verhältnisse in Mosul übertragen, gab der 1.Klasse Sergeant Domingo Ruiz dem beeindruckten Reporter zu verstehen.

„Was ich hier sehe, hab ich schon vor langer Zeit gesehen. Es sind dieselben Muster”, so Ruiz, das ehemalige Mitglied der „Coney Island Cobras“, im April letzten Jahres. Das Ansehen von Domingo Ruiz, der sehr effektiv und entschieden mit seinen irakischen Gegnern umging, soll so groß gewesen sein, dass er als informeller Anführer seines Platoons galt, obwohl er nicht dessen ranghöchster Soldat war.

Ein aktueller Bericht vom Hauptschlachtfeld gegen den Terrorismus betont dagegen eher die Ängste der amerikanischen Homefront gegenüber dem Einsatz von Straßengang-Mitgliedern im Irak. Die Befürchtungen ähneln sehr den Ängsten, die Saudi-Arabien und andere arabische Länder in der Nachbarschaft Iraks haben: Dass aus dem Krieg im Zweistromland hervorragend ausgebildete Straßenkämpfer in ihre Heimat zurückkehren, um als gefechtserprobte Rebellen/Mudschahedins/Terroristen den Sicherheitskräften des Landes das Leben schwer zu machen.

Eine Variante dieser Furcht findet sich in der Sorge amerikanischer Medien und Ermittler wieder, wonach amerikanische Gangs Mitglieder dazu anhalten, sich als Soldaten in der US-Armee zu bewerben, um im Irakkrieg Erfahrungen im Urban Warfare zu sammeln und Zugänge für bestimmte Waffen zu verschaffen.

Von allergrößter Bedeutung ist, ob die Ausbildung die Soldaten, die mit Gangs in Verbindung stehen, zu tödlichen „Urban warriors” machen wird, wenn sie ins zivile Leben zurückkehren und ob manche ihren Zugang zu militärischer Ausrüstung dazu nutzen, die Gangs zuhause auszustatten.

Scott Barfield

Hintergrund des Alarmrufes von Scott Barfield, dem „Gang Detective“ des Verteidigungsministeriums in Fort Lewis: Fotos von Graffities amerikanischer Straßengangs, die ein US-Reservist im Irak gemacht und der Chicago-Sun-Times zugespielt hat, die machte gestern daraus eine Geschichte mit zugkräftigem Titel: Gangs claim their turf in Iraq und einer beängstigenden These für die Bürger zuhause: „Die Aktivität von Gang-Mitgliedern in der US-Armee ist gestiegen“.

Zwar fällt die Faktenlage gegenüber der behaupteten These etwas dünn aus – Experte Barfield hat seit 2002 320 Soldaten in der US-Armee als Gang-Mitglieder identifiziert, glaubt aber dass dies nur die „Spitze eines Eisbergs“ sei - und die Army-Führung wiegelt ab: Man habe in einer kürzlich durchgeführten Studie „keine signifikanten Trend in dieser Art der Aktivität“ erkennen können, so Christopher Grey, der Sprecher des „Army's Criminal Investigation Command“.

Aber schon im März dieses Jahres erwähnte ein Bericht FBI- Ermittlungen in Fort Bliss in El Paso, die eine Zunahme von Soldaten mit Gangaktivitäten feststellten. Chefermittler Jeremy Francis vermutet, dass die Führung von Gangs wie die Folk Nation Gang junge Mitglieder ohne Vorstrafenregister dazu ermuntern würde, sich vom Militär rekrutieren zu lassen:

They will hand pick them, ask them to keep their record clear so that they can enlist in the military and then once they're in the military, they want them to try and gain access to weapons and explosives and basically try to filter that back to the street level.

Subversive Infiltration der US-Armee durch Straßengangs – ähnlich wie die Infiltration der irakischen Streitkräfte durch Aufständische? Die Ängste davor sitzen vor allem wohl im konservativen ultrarechten Lager, wie die Quellen der oben zitierten Berichte und ein Kommentar zur Meldung auf einer US-Nazi-Seite zeigen mag.

Da solche Graffities, wie sie Reserve-Sergeant und Gang-Experte Jeffrey Stoleson im Irak fotografiert hat, auch von Möchtegerngangstern gemacht werden können und die Experten in den Berichten etwas alarmistisch erscheinen, wundert es nicht weiter, dass die Angelegenheit von anderer Seite auch satirisch aufgegriffen worden ist. Doch gibt es seit geraumer Zeit auch US-Army-Studien, die Parallelen zwischen modernen Street-Gangs und aufständischen Bewegungen erkennen und ihnen ein ernstzunehmendes „gefährliches Potential für die nationale Sicherheit“ zuschreiben.