Tories in Trouble

Seite 2: Boris Johnson hat nur noch knappe Mehrheiten

Aus Sicht von Boris Johnson muss als weiteres Warnsignal gelten, dass seine Regierung Abstimmungen bei einer Debatte über einen Gesetzentwurf bezüglich einer geplanten Reform des Gesundheitswesens nur mit einer knappen Mehrheit meisterte.

19 seiner Parteifreunde rebellierten und stimmten gegen den Entwurf, weil die geplante Reform vorsieht, künftig auch auf mittlere Einkommen pflegebedürftiger Personen zuzugreifen und diese gegebenenfalls auch zum Verkauf von Vermögenswerten wie etwa Eigenheimen zu zwingen.

Die Obergrenze der Selbstbeteiligung soll bei 86.000 Britischen Pfund (gut 102.360 Euro) liegen. Diese Maßnahme betrifft Bevölkerungsschichten, die bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2019 mehrheitlich das Kreuz bei den Tories gemacht haben.

Um wenigstens etwas frischen Wind in die schlaffen blauen Segel zu bringen, machte das Büro von Premierminister Johnson in den vergangenen Tagen mächtig Druck auf dessen Innenministerin Priti Patel. Sie solle "etwas unternehmen", um die Flüchtlingskrise an der britischen Küste zum Ärmelkanal Richtung Frankreich in den Griff zu bekommen.

Trotz einer stetig wachsenden Militarisierung des Ärmelkanals durch die britische Marine, dem Einsatz von Aufklärungsdrohnen sowie der gewaltsamen Abdrängung von Flüchtlingsbooten hat es in den vergangenen Tagen eine Rekordzahl an Flüchtlingen geschafft, an der britischen Küste zu landen, um dort Asylanträge zu stellen.

Auch diese Situation birgt für die Konservativen ein Bedrohungspotential, denn deren nationalkonservativer Flügel, zu dem Priti Patel zählt, besteht auf einer repressiven Asyl- und Migrationspolitik. Patels Versuche, die Schuld an der Situation einem angeblich laxen Migrationsregime der EU zuzuschieben, werden da langfristig nicht fruchten.

Versammlungsrecht wurde in der Pandemie verschärft

Die britische Regierung dreht ohnehin an der Repressionsspirale, auch innenpolitisch. Stärkstes Anzeichen dafür ist das ohnehin schon drakonische geplante Sicherheitsgesetz, welches in den vergangenen Tagen von der Regierung noch einmal verschärft wurde. Bei dem Sicherheitsgesetz geht es darum, zukünftig "disruptive" Proteste zu verhindern oder auch gleich de facto zu kriminalisieren.

Unter dem Eindruck von Autobahnblockaden durch kleinere Gruppen von Klimaaktivisten in den vergangenen Wochen sind nun neue Polizeibefugnisse in den Entwurf eingefügt worden.

So können Autobahnblockaden in Großbritannien für die Beteiligten bald 51 Wochen Gefängnis bedeuten. Das gilt ebenfalls für die Blockade von Baustellen großer Verkehrsprojekte. Außerdem sieht der Entwurf vor, Personen, die sich regelmäßig an solchen Aktionen beteiligen, künftig den Zugang zum Internet sperren zu können. So sollen diese in ihrer organisatorischen Tätigkeit behindert werden. Kontaktverbote und polizeiliche Meldeauflagen für sogenannte "Wiederholungstäter" sind ebenfalls angedacht.

Bei alldem spielt auch eine Rolle, dass im Schatten der Covid-19 Krise das britische Versammlungsrecht durch Notverordnungen drastisch verschärft worden ist, und teilweise hohe Geldstrafen gegen Demonstranten ausgesprochen wurden. Mit dem Gesetzentwurf wird die Demontage des britischen Versammlungsrechts institutionalisiert.

Die Covid-Krise ist derweil alles andere als ausgestanden. Das öffentliche Gesundheitswesen steht wie in anderen europäischen Ländern auch an der Belastungsgrenze. Vor vielen Krankenhäusern stehen die Krankenwagen Stoßstange an Stoßstange, mitunter über viele Stunden hinweg, weil sie ihre Patienten nicht unterkriegen. Das Gesundheitswesen hat zu wenig Betten, und es fehlen fast 100.000 Pflegekräfte.

Das ist eine Situation, die längst nicht mehr widerspruchslos hingenommen wird. Es gibt Proteste, und auch Arbeitskämpfe stehen im Raum. Für Boris Johnson und Priti Patel könnte das bedeuten, dass sie schon bald die mit dem neuen Polizeigesetz enthemmte Polizei in Marsch setzen. Womöglich gegen Pflegekräfte, denen sie 2020 noch applaudiert haben.