Total kaputter Junge
Der kanadische "Kindersoldat" Omar Khadr in Guantanamo auf Video
Fast sechs Jahre als Häftling in Guantanamo – wie überlebt man das als Heranwachsender? Was wird da aus einem?
In einem Bericht aus dem Jahre 2004, der seit einigen Tagen öffentlich zugänglich ist, wird Omar Khadr als "völlig kaputter junger Mann" beschrieben. Mit 17 Jahren. Nun kann das andere Ursachen haben als die Haft in Guantanamo, Omar war zu diesem Zeitpunkt seit etwa zwei Jahren dort inhaftiert, und das streng vertrauliche Geheimdienst-Papier listet auch mehrere mögliche Kaputtmacher auf:
All jene Personen, die sich ihm gegenüber in Positionen befanden, die mit Autorität ausgestattet waren, und die ihn und sein Vertrauen für ihre Zwecke missbraucht haben. Zu dieser Gruppe gehören: seine Eltern und seine Großeltern, seine Bekannten und Verbündeten in Afghanistan, seine Mitgefangenen in Camp Delta und das US-Militär.
Der Berichterstatter R.Scott Heatherington, seinerzeit Director der Foreign Intelligence Division, weist kurz vor Ende seiner Ausführungen darauf hin, dass Omar Khadr – sollte er wieder nach Kanada zurückkehren, eine Unterstützung brauche, dass Sozialdienste eine Hauptrolle spielen sollten.
Der Bericht endet mit der Beschreibung von Omar, der wiederholt auf das Bild seiner Familie uriniert, nachdem der Verhörspezialist des Pentagon den Verhörraum verlassen hatte. Zuvor hatte er zu Protokoll gegeben, dass er niemanden auf dem Foto kenne. Als der Junge zweieinhalb Stunden allein im Raum geblieben war – und laut Heatherington offensichtlich annahm, dass er nicht mehr beobachtet wurde, legte er seinen Kopf neben das Bild, eine Geste, die im Bericht als liebevoll notiert wird.
Seit heute ist ein Video im Internet zu sehen, das angeblich Ausschnitte eines Verhörs von Omar Khadr in Guantanamo zeigt. Die kanadischen Medien berichten seit Tagen ausführlich über den Fall Khadr (Schauprozess gegen "Guantánamo Five"). Am 9.Juli war ein kleines Dossier, Verhörprotokolle und Berichte, wie der oben zitierte, an die Öffentlichkeit gelangt. Sie sorgten für größere Aufregung, weil daraus hervorging, dass man den Jungen für ein Gespräch durch einen kanadischen Foreign-Affairs-Vertreter mit Schlafentzug vorbereitete. Drei Wochen vor dem Besuch des kanadischen Abgesandten wurde Khadr dem "Frequent Flyer Program" unterstellt: Der 17-Jährige wurde alle drei Stunden in eine andere Zelle verlegt und schließlich in eine Isolierzelle gebracht, bevor er erneut befragt wurde.
Dem Video, das die Anwälte bisher an die weltweite Öffentlichkeit gebracht haben, sollen am heutigen Tag noch weitere folgen: 7,5 Stunden langes Material auf 5 DVDs haben die Anwälte des mittlerweile 21jährigen Khadr noch in petto. Man will Druck machen auf den kanadischen Premierminister Harper, damit die USA Khadr nach Kanada zurückkehren lassen. Bislang lehnt der Premier solche Wünsche ab.
Ich hoffe, die Öffentlichkeit wird sich wieder zugunsten Omars einsetzen und ihn zurückbringen; die Forderung der Öffentlichkeit wird Omar zurückbringen, nicht die Regierung.
Omar Khadrs Mutter gegenüber kanadischen Medien
Neue Einblicke zur Frage, wie die Verhörspezialisten den Jungen behandelt haben, liefern die Videobilder nicht. Der Ton ist kaum bis überhaupt nicht zu verstehen, die Bilder zeigen einen jungen Mann, der sein Hemd auszieht (um seine Wunden aus einem Gefecht zu zeigen), und der später weint.
Antworten zur größeren Frage, warum ein 15-Jähriger fast sechs Jahre seines Lebens in Guantanamo verbringen muss, kann das Video nicht beisteuern. Der Fall ist kompliziert, das deuten die Protokolle aus dem Dossier und die vielen Berichte an - es gibt längst ein Buch über die "noch nicht erzählte Geschichte" von Omar Khadr. Khadr wird vorgeworfen, dass er einen amerikanischen Soldaten getötet hat, seine Familie hatte angeblich gute Kontakte zu Bin Laden, der Vater, der von Canada aus eine Hilfsorganisation für Afghanistan betrieb, wurde in Pakistan getötet, der Bruder wurde ebenfalls als "enemy combatant" festgenommen.
Wie aus den Verhörprotokollen hervorgeht, wechseln die Stimmungen des verhörten Kindersoldaten ständig und mit ihnen die Antworten, die er den Verhörspezialisten gibt. Wer hier nach Spuren von Folter und Misshandlungen bei Verhören von Guantanomo-Gefangenen sucht, findet keine, wer Aufklärung im Fall Omar Khadr sucht, findet ebenfalls zu keinen neuen Durchblick. Wer Gerechtigkeit sucht, verzweifelt. Eine Verhandlung, wie es in Rechtsstaaten üblich ist, hätte zumindest den letzten Punkt geklärt.