Transhumanismus und KI: Bedrohung des Menschen

Seite 2: Was ist der Mensch?

Der Transhumanismus, den man aufgrund seines Erlösungsanspruch vom Tod und andere biologischer Grenzen des Menschseins auch als "Nerd-Religion" (Douglas Rushkoff) bezeichnen kann, stützt sich auf eine bestürzend simple Vorstellung des Menschen.

Larry Page, Mitbegründer von Google, drückte zum Beispiel seine Einschätzung der menschlichen DNA in diesem Sinne aus: Diese sei einzig "komprimiert 600 Megabyte, also kleiner als jedes moderne Betriebssystem (...) also sind Ihre Programmalgorithmen wahrscheinlich nicht so kompliziert."

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins brachte seine Einschätzung noch prägnanter – aber ein wenig unterkomplex – auf den Punkt:

Das Leben besteht nur aus Bytes und Bytes und Bytes von digitalen Informationen.

Es mag in einer Welt, die von Big Data beherrscht wird und deren Geschäftsmodell Big Data ist, naheliegen, den Menschen auf ein Produkt seiner Bytes und Megabytes zu reduzieren, es ist aber mehr als befremdlich, wie viele Aspekte der menschlichen Natur bei dieser Reduktion übersehen werden, vielleicht auch übersehen werden müssen, um mit Verve für den Transhumanismus zu werben. Der Publizist Philipp von Becker bemerkt:

Die Vorstellung des Mind-Uploads beruht auf der Fiktion, dass das Wesen des Menschen unabhängig von der spezifischen Materie seines Körpers sei und lediglich aus Daten bestehe, die auf eine beliebige Materie transferiert werden könnten.

Auch die Vorstellung zur gentechnischen Umgestaltung des Menschen beruht auf der Fiktion des Menschen als einer formalisierbaren, berechenbaren, von der Umwelt abgeschnittenen Entität.

Der (un)berechenbare Mensch

Alle Überlegungen der Transhumanisten zu einer gentechnischen Optimierung gehen von einem berechenbaren Wesen Mensch aus und übersehen dabei ein paar Kleinigkeiten.

Denn tatsächlich gibt es schon rein mathematisch ein gravierendes Problem, wie niemand anderes als Craig Venter betont, dessen Firma es als Erstes gelungen ist, ein menschliches Genom zu sequenzieren:

Wir haben einfach nicht genug Gene, als dass diese Idee des biologischen Determinismus richtig sein könnte. Die wunderbare Vielfalt der menschlichen Spezies ist nicht in unserem genetischen Code fest verdrahtet. Unsere Umwelt ist entscheidend.

Venter spricht dabei einen weiteren zentralen Punkt an, den Transhumanisten übersehen: Gene legen unser Leben und Verhalten bei Weitem nicht so stark fest, wie landläufig geglaubt wird.

Unsere Umwelt und unser soziales Miteinander beeinflussen, welche Gene wie stark (oder gar nicht) zur Wirkung kommen. Matthieu Ricard, promovierter Zellgenetiker und weltbekannter buddhistischer Mönch, erklärt:

Um aktiv zu sein, muss ein Gen "exprimiert werden", d. h., es muss eine "Transkription" in Form eines spezifizierten Proteins, das auf den Trägerorganismus dieses Gens wirkt, erfolgen.

Findet keine Transkription statt und wird ein Gen nicht exprimiert, so ist dies gleichsam, als würde dieses Gen gar nicht existieren.

Die Wirklichkeit ist nachweislich deutlich komplexer als eine Formel, die unser Verhalten aufgrund unserer Gene berechnet. Tatsächlich werden die meisten Gene des Körpers reguliert, nur sehr wenige Gene sind andauernd und unverändert aktiv.

Mit anderen Worten, Gene bestimmen durchaus unser Leben. Inwiefern sie aber aktiviert werden oder nicht, ist von unseren äußeren Lebensumständen abhängig.

Auch seelische Erlebnisse können Genexpressionen aktivieren oder deaktivieren. Der Neurowissenschaftler Robert Sapolsky erklärt:

Transkriptionsfaktoren regulieren also Gene. Und was reguliert Transkriptionsfaktoren? Die Antwort ist vernichtend für das Konzept des genetischen Determinismus: die Umwelt.

Einen genetischen Determinismus und damit eine theoretisch denkbare Berechenbarkeit des Menschen gibt es nicht. Willkommen in der Welt der Epigenetik!

Der (a)soziale Mensch

Beim Transhumanismus steht nicht das soziale Wesen Mensch im Mittelpunkt, stattdessen ist der Mensch ganz offensichtlich ein zu optimierendes Einzelwesen. Gedanken zum sozialen Wesen Mensch sucht man bei Transhumanisten daher vergeblich.

Dass ungewollte Einsamkeit so gesundheitsschädigend wie Alkoholismus ist, Menschen also am dringendsten den Menschen und soziale Verbundenheit brauchen, passt offensichtlich im Hochgesang auf technische Möglichkeiten nicht ins Bild.

Auch damit offenbart sich der Transhumanismus als eine philosophische Denkrichtung, die zwar massiv auf einem Menschenbild aufbaut, aber leider vom Wesen des Menschen mehr Annahmen als Wissen hat. Das ultra-kooperative Wesen mit einem Social Brain, großzügigem Spenderherz und Wunsch nach Gemeinschaft, das in Katastrophen zur mitmenschlichen Höchstform aufläuft.

Der Mensch ist für Transhumanisten letztlich ein Fremder und all das, was Menschsein ausmacht, wird ignoriert, um im neoliberalen Credo das Selbst immer und immer weiter zu optimieren.