Traumberuf Hofberichterstatter
Über die symbiotische Beziehung zwischen Journalisten und Politik in Berlin
Seine Majestät haben allergnädigst geruht - nein, nicht geschlafen, sondern: eine Erlaubnis zu erteilen. Auch im Spiel der demokratischen Kräfte sehnt sich die institutionalisierte Politik danach, die Regeln selbst bestimmen zu können. Solch höfische Anwandlungen ziehen bald ihre eigenen Höflinge an: Die Medien spielen bereitwillig mit, hoffend auf den Status fördernden Abglanz im Schein der Macht - und auf privilegierte Insiderinformationen. Ist diese Korrumpierung schon zu weit fortgeschritten, um sie ohne harte Schnitte zu kurieren?
Zugegeben, während einer Fußball-Europameisterschaft - einer ganz besonderen Art von schwarzem Sommerloch - erwarten auch chronische Optimisten keine journalistischen Großtaten auf dem Feld kritischer und informativer Berichterstattung. So schwer verdaulich der daumendicke Zuckerguss auch ist, mit dem Monika Lierhaus Tag für Tag das deutsche Mannschaftsquartier bedeckt, in dem sie alles und jeden toll findet: Bei einer selbsternannten Nebensache mag man vielleicht gern darüber hinwegsehen, nicht mehr als Kuschelberichterstattung geboten zu bekommen.
Schwerer wiegt eventuell, wenn selbst Deutschlands selbsternannte Hauptnachrichtensendung, die Tagesthemen, an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen zu ihrem Topthema "Irisches Nein zum Lissabon-Vertrag" nicht eine einzige Information dazu unterbringt, worum es in diesem Vertrag eigentlich geht. Das einzig wichtige Tagesthema sind die Befindlichkeiten der Europapolitiker und ihre Meinung dazu, ob nun der Untergang des europäischen Abendlandes bevorsteht. Aus welchem Grund auch immer. Unverhofft kommt allerdings, dass sich auch die Chefin der vermeintlich letzten (einzigen?) Bastion der "Gegenöffentlichkeit" in den Reigen der Höflinge einreiht: Bascha Mika, Chefredakteurin der tageszeitung.
Am vergangenen Montag kam Bascha Mika an die Freie Universität Berlin, um am dortigen Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) eine Vorlesung zu halten. Im Rahmen der Ringvorlesung "Medien/Demokratie - Politik und Journalismus in Berlin" hatte sie die Möglichkeit, die Bedeutung der vielleicht kreativsten und einer der kritischeren Tageszeitungen des deutschen Marktes zu beleuchten. Das Image der Respektlosigkeit hat sich die "taz" schließlich hart erarbeitet, und Mikas Vortragstitel "Eine muss es sagen - Die Rolle der taz für die politische Kommunikation" ließ immerhin vage erhoffen, dass hier womöglich über ein Alleinstellungsmerkmal der "taz" referiert werden würde. Wie positioniert man sich gegen den Mainstream in einer Stadt, die zum neuen Symbol der deutschen Demokratie hochstilisiert wurde?
Die Beziehung zwischen Journalisten und Politik in Berlin wird allgemein als - freundlich formuliert - symbiotisch beschrieben. Berlin hat allem Anschein nach nicht nur mehr Hinterhöfe als Bonn, sondern auch mehr Hinterzimmer. Je nachdem, welche Metapher man bevorzugt und welche Perspektive man gegenüber diesen Räumen begrenzter Staatlichkeit einnimmt, sind sie der Marktplatz des politischen Schwarzhandels oder das Audienzzimmer der dunklen Seite der Macht. Abseits demokratischer Kontrolle werden Posten und Positionen ausgekungelt, werden vermeintlich brisante Informationen gehandelt - nur unter uns, versteht sich. Aber jeder Handel hat einen Preis. Der Herr der privilegierten Information gebietet auch über ihren Gebrauch oder ihren Nichtgebrauch.
Eine der auch von Bascha Mika in ihrer Lobrede auf das eigene Blatt hochgehaltenen Ruhmesgeschichten der "taz" dreht sich exakt um die hoheitliche Erlaubnis, Informationen zu verwenden - oder eben nicht. Ein Interview mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz wurde seinem Stab zur sogenannten Autorisierung vorgelegt. Die Unterwürfigkeit in der Formulierung für diesen Vorgang ist so treffend wie entlarvend. Was ursprünglich als Gelegenheit für den Interviewten gedacht war, einen ursprünglich gesprochenen, aber für ein Printmedium umgebauten Text auf offensichtliche Fehler hin zu untersuchen, hat sich zu einem Instrument autoritärer Machtausübung entwickelt: Was der Interviewte im Nachhinein lieber nicht gesagt hätte, dem entzieht er seine Autorisierung. Scholz allerdings wollte gleich noch einen Schritt weitergehen und im Nachhinein nicht autorisieren, was er lieber nicht gefragt worden wäre. Sich die eigenen Fragen wegstreichen zu lassen, das ging der "taz" aber nun doch zu weit.
In einer konzertierten Aktion zusammen mit einer handvoll anderer einflussreicher Blätter wiesen die Kollegen erstmals publikumswirksam auf den Missstand hin - die "taz" einfallsreicher als die Mitprotestierer, indem sie das Scholz-Interview in ganzer Länge auf der Titelseite abdruckte. Bloß die nicht autorisierten Passagen waren geschwärzt - knapp zwei Drittel des gesamten Textes. Für die "taz" war dies Ausdruck einer "um sich greifenden Unsitte" auf Seiten der Politiker. Weiter im Dunkeln blieb für Nichteingeweihte (sprich: Leser) aber der Grund, warum sich Medien überhaupt einer solchen autoritären Praxis unterwerfen. Er liegt tatsächlich im Dunkeln: im das Tageslicht scheuenden politischen Hinterzimmer der Berliner Medienrepublik.
Und wenigstens an dieser Stelle konnte Bascha Mika in ihrem Vortrag am Berliner OSI, wenn auch nur auf Nachfrage, etwas Erhellendes sagen: Politiker drohen nicht willfährigen Medien damit, sie bei Missachtung des Ehrenkodex' von den privilegierten "Hintergrundgesprächen" auszuschließen. Und die - wer wollte hier schon der Spielverderber sein - halten sich an die Regeln. Selbst in ihrem Protest hat die "taz" noch die ungeschriebenen Regeln eingehalten und nicht Autorisiertes unkenntlich gemacht, um nicht aus der ehrenwerten Gesellschaft im Hinterzimmer verbannt zu werden. Oder wie Bascha Mika es ausdrückt: "Die Kollegen aus dem Parlamentsressort haben mir gesagt, dass sie auf diese Informationen angewiesen sind." Anders ausgedrückt: Wenn uns die Politiker nicht sagen, was wir schreiben sollen, können wir den Laden zumachen. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, hätte die Peinlichkeit dieses Geständnisses ein so großes Loch sich in der Erde auftun lassen, dass der ganze Vorlesungssaal darin hätte versinken können.
Um zur Abwechslung kurz in die Realität einzutauchen: Die Medienwelt der letzten Jahre ist davon gekennzeichnet - und keinem ernsthaften Beobachter ist das entgangen -, dass Journalisten Informationen aus direkten, aber parteilichen Quellen beziehen und sie als Nachrichten verkaufen. Das Weiße Haus kann (hinter verschlossenen Türen) versichern, dass der Irak (versprochen!) Massenvernichtungswaffen besitzt. Der Krieg ums Öl im Irak - ja, BP, Chevron, Exxon Mobil, Shell, und die französische Total haben ihre langen Finger wieder am Ölhahn - ist sauber, heldenhaft, humanitär und (so unsere eingebetteten Reporter an der Front) voll vom Geist der Demokratie. Unter dem Vorbehalt der Anonymität konnte ein hochrangiger Mitarbeiter des BND die brisante Information zuspielen, dass der Dienst wirklich nichts (Gaunerehrenwort!) von der Verschleppung von Menschen wusste, die im wahnwitzigen Propaganda-Krieg "gegen den Terror" im Schleppnetz hängengeblieben sind.
Haben sich denn noch nicht genug Journalisten bis auf die Knochen blamiert, die die Propaganda derselben Politiker als privilegierte Information betrachten und verkaufen, über die sie (in aller Freiheit!) informieren sollten? Unabhängige Recherche galt einmal als Ehrensache für Journalisten, die etwas auf sich gehalten haben. Wer hält diese Fahne hoch, wenn nicht einmal ein respektloses, gegen den Mainstream gerichtetes Blatt wie die "taz" den nötigen Mut zusammennimmt, die lächerlichen Drohungen aufgeblasener Politiker zu ignorieren? Wenn nicht mal sie sehen, dass sie dort echte Informationen weder zu erwarten noch zu suchen haben?
In den USA, wo wie immer vieles besser und vieles schlechter ist, hat es der Satiriker Stephen Colbert in seiner Rede auf dem Korrespondenten-Dinner des Weißen Hauses im Jahr 2006 auf den Punkt gebracht, als er die versammelten Journalisten an ihre eigentliche Aufgabe erinnerte:
Hier sind die Regeln: Der Präsident trifft die Entscheidungen, sein Sprecher verkündet sie und ihr schreibt sie auf. Entscheidung treffen, verkünden, aufschreiben.
Stephen Colbert
Eine echte Journalistin, Amy Goodman von "Democracy Now!", sah sich nach einem Interview mit dem damals amtierenden Präsidenten Bill Clinton ebenfalls mit hanebüchenen Autorisierungsforderungen konfrontiert, inklusive der Drohung, Zugang zu privilegierten Informationen zu verlieren. Ihre Reaktion: "Ich kenne nur eine Grundregel des Journalismus: Man verschachert seine Prinzipien nicht gegen privilegierte Informationen."
Es wird Zeit, dass sich ein auch hierzulande gefährlich schlafwandelnder Berufsstand wiedererweckt. Sonst droht für die demokratische Gesellschaft vielleicht ein böses Erwachen.