Trinkwasser als Geschäftsmodell
Der Zwang zur Privatisierung der Daseinsvorsorge in Europa als Konsequenz der marktkonformen Demokratie - oder wie der Markt mit seinem Quartalsdenken die in Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur gefährdet
Der Zugang zu Wasser sollte kein öffentliches Recht sein verkündete Peter Brabeck-Letmathe, der Präsident des Verwaltungsrats der Nestlé S.A. im schweizerischen Vevey. Damit löste er in der sonst so beschaulichen Schweiz einige Unruhe aus. Dabei hat er mit seinem Statement nur eine Entwicklung zusammengefasst, die gerade wieder als Heilslehre verkündet wird.
Was die Bevölkerung in den mit der Euro-Krise geschlagenen EU-Mitgliedsstaaten schon schmerzhaft erlebt, spielt sich seit vielen Jahren mehr oder weniger im Hintergrund ab. Auch in Deutschland. Wobei man hierzulande noch mehrheitlich das Zuckerbrot wahrnimmt und nicht die Peitsche. Mit der Schaffung des Mobilfunkmarktes hatte es begonnen. Dann kamen Strom, Post und Festnetztelefon. Mehr oder weniger öffentlich verlässt die öffentliche Hand derzeit den Bereich der Kliniken und Krankenhäuser. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wird derzeit auch die Privatisierung des Fernstraßennetzes vorbereitet. Aus den Bürgern sollen kostenpflichtige Nutzer werden. Mit der Freigabe der Fernbuslinie und deren Befreiung von der Mautpflicht beginnt der Angriff auf den Personentransport der DB.
Und jetzt ist die Trinkwasserversorgung an der Reihe. Private Betreiber bevorzugen Geschäftsmodelle, die ihnen eine scheinbar sichere Verdienstmöglichkeit bieten, weil sie davon ausgehen können, dass die Kunden ihre Rechnungen problemlos bezahlen, weil sie auf die spezifische Leistung angewiesen sind. Und ohne Wasser geht wenig. Der durchschnittliche Deutsche benötigt etwa 122 Liter pro Tag, davon spült er etwa ein Drittel in die Kanalisation und nur 3 Liter werden als Lebensmittel genutzt. Dabei hat das Leitungswasser in Deutschland Lebensmittelqualität und in der Qualität manchem der Pet-Flaschen-Wässer aus dem Supermarkt überlegen. Die Trinkwasserversorgung in Deutschland liegt zum großen Teil in der Hand von kommunalen oder gemischtwirtschaftlichen Unternehmen. Das Tagesgeschäft dieser Unternehmen ist zumeist wenig spektakulär. Leitungswasser gilt in Deutschland als überall verfügbar.
Mitte der 1990er-Jahre hatten sich findige Produktentwickler aus der internationalen Finanzwirtschaft erfolgreich darum bemüht, kommunale Unternehmen als Verdienstquelle anzuzapfen, indem sie ihnen Cross-Border-Leasing-Geschäfte (CBL) anboten, die mit Teilen der kommunalen Infrastruktur (wie der Trinkwasserversorgung) Geld schöpfen sollten. Mit CBL-Modellen wollte man den amerikanischen Steuerzahler als Zahlmeister für mehr oder wenig klamme deutsche Kommunen heranziehen.
Das Ergebnis waren komplexe, tausend Seiten starke, in englischer Sprache verfasste Verträge nach dem Recht des Staates New York, welche für die Vertreter der deutschen Kommunen praktisch undurchschaubar waren. Verdient haben an diesen meist auf 99 Jahre abgeschlossenen Verträgen in erster Linie die Vermittler. 2004 wurde den US-amerikanischen Investoren der Neuabschluss von CBL-Verträgen untersagt und es wurde gefordert, dass alle entsprechenden Verträge bis zum Jahre 2008 beendet sein müssten. Die damals aufgekommene Finanzkrise half den deutschen Kommunen zumeist, aus der Falle der mit Gerichtsstand New York abgeschlossenen CBL-Verträge herauszukommen. Die Konditionen der Vertragsbeendigungen scheinen aber noch geheimer zu sein, als die ursprünglichen Verträge.
Welche finanziellen Konsequenzen die CBL-Episode für die Versorgungsunternehmen hierzulande hat, ist unbekannt. Beim nächsten vergifteten Finanzprodukt waren die kommunalen Betriebe dann offensichtlich zurückhaltender. Es scheint in Deutschland keiner Bank gelungen zu sein, einem Wasserversorgungsunternehmen Geld über eine Forderungsverbriefung zu besorgen. Die finanziellen Abenteuer mit den CBL-Modellen haben wohl die Ambitionen reduziert, sich wieder den Finanzmärkten als Ziel der Begierde zu offerieren. Was man den Versorgungsbetrieben aktuell vorwerfen kann, ist vor allem, dass sie vielleicht zu lange zugesehen haben, wie sich in Brüssel die Schlinge um ihren Hals legt.
Am 19.11.2009 wurde von der EU-Kommission die kaum falsch zu verstehende Drucksache KOM(2009) 615 endgültig über die „Mobilisierung privater und öffentlicher Investitionen zur Förderung der Konjunktur und eines langfristigen Strukturwandels: Ausbau öffentlich-privater Partnerschaften“ veröffentlicht. Sicher muss man bei der nachfolgenden, dort enthaltenen Formulierung nichts Böses ahnen, aber man kann:
Gegenwärtig finden Überlegungen statt, um die Transparenz, die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsakteure und somit die Rechtssicherheit im Vergabeverfahren für Dienstleistungskonzessionen zu verbessern. Die Kommission bereitet eine Folgenabschätzung vor, um zu bewerten, welche künftigen Initiativen notwendig sind, um einen klaren und berechenbaren Rechtsrahmen in diesem Bereich zu gewährleisten.
Den deutschen Behörden war die sich in Brüssel abzeichnende Entwicklung weg von der Haushaltsfinanzierung von staatlicher Infrastruktur hin zu sogenannten ÖPP-Projekten durchaus bekannt. So hatte der Bundesrat in seiner 866. Sitzung am 12. Februar 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Der Bundesrat unterstützt deshalb ÖPP als alternative und innovative Beschaffungsvariante zur konventionellen Eigenrealisierung des öffentlichen Bereichs. [...] Der Bundesrat bekräftigt, dass die EU keine umfassende Regelungskompetenz für Fragen der ÖPP in den Mitgliedstaaten hat. Er appelliert an die Kommission, den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, Regionen und lokalen Gebietseinheiten nicht durch legislative Eingriffe einzuschränken. Dies betrifft insbesondere auf Dienstleistungskonzessionen gerichtete Regulierungsbestrebungen der Kommission, die die Gefahr begründen, die notwendige Flexibilität bei der Ausgestaltung attraktiver und effektiver ÖPP-Projekte zu behindern. [...] ÖPP erfordern keine zusätzlichen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Vergabe von Konzessionen. [...] Ein besonderer Regelungsbedarf der Dienstleistungskonzession kann demnach nicht mit ÖPP hergeleitet werden.
Die 17 in Brüssel ansässigen Vertretungen der Bundesländer und des Bundes haben sich hier jedoch in der Brüsseler Diskussion über die Vergabebedingungen bei Dienstleistungen wie der Trinkwasserversorgung nicht durchgesetzt. Dies mag auch darin begründet sein, dass die Meinungen in Deutschland gespalten sind. So bevorzugen die Bundesländer eine Direktvergabe, während die Bundesregierung in ihrem Bestreben, alles einem möglichst umfassenden Wettbewerb auszusetzen, eine europaweite Ausschreibung der bislang kommunalen Dienstleistungen anstrebt.
Begründet wird dies in der Regel damit, dass Monopole der öffentlichen Hand weniger effizient seien als private (Monopol-)Unternehmen. Bedeutung hat diese Aussage in erster Linie durch ihre gebetsmühlenhafte Wiederholung. Praktische Erfahrungen, die man beispielsweise mit der teilprivatisierten Berliner Wasserversorgung machen konnte, führten jedoch dazu, dass sich Berlin um eine Rekommunalisierung der Wasserversorgung bemüht. Für eine hochverschuldete Stadt wie Berlin kein einfaches Unterfangen.
Zwei-Komponenten-Privatisierungszwang durch Ausschreibungs-Richtlinie und Schuldenbremse
Bislang gelten Kommunen (innerhalb der vergleichbarer volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen) jedoch als „bessere“ Schuldner als private Unternehmen, die daher üblicherweise höhere Finanzierungskosten haben. Kosteneinsparungen treten bei der Privatisierung bislang öffentlicher Betriebe meist durch Freisetzung von Personal ein. Die Kunden bemerken jedoch eher die verlängerten Bearbeitungszeiten, als die Kosteneinsparungen. Im Gegensatz zu den kommunalen Betrieben müssen die privaten eine Rendite erwirtschaften. Da Personaleinsparungen zur Befriedigung der Renditewünsche der Investoren selten ausreichen, müssen die Wasserpreise erhöht werden.
Wenn in nächster Zukunft die vielgepriesene Schuldenbremse der öffentlichen Hand eine weitere Kreditaufnahme unmöglich macht und - aus welchen Gründen auch immer – in einer kommunalen Wasserversorgung höhere Investitionen anstehen, muss die bisher von der Kommune angebotene Dienstleistung der öffentlichen Wasserversorgung europaweit ausgeschrieben werden. Hier stehen sich dann die Mitarbeiter einer Gebietskörperschaft und die professionellen Dienstleiter mit ihrer Verhandlungsroutine gegenüber.
Als weiterem Mosaikstein auf dem Weg zur Privatisierung öffentlicher Infrastruktur hat nun der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments am vergangenen Donnerstag (24.1.2013) dem im Dezember 2011 veröffentlichten Vorschlag für die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe grundsätzlich zugestimmt. Man will damit europaweit einheitliche Vergaberegelungen für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen schaffen.
Einzelne deutsche Abgeordnete konnten offensichtlich nur punktuelle Verbesserungen für die kommunalwirtschaftlichen Strukturen in Deutschland erreichen. Eines der grundsätzlichen Probleme der europäischen Integration scheint der Konflikt zwischen der Durchsetzung von Wettbewerbsstrukturen auch in den Kernbereichen kommunaler Daseinsvorsorge und der Berücksichtigung bewährter kommunaler und bürgernaher Organisationsstrukturen in den Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip zu sein.
Nebelkerzen-Scheinkompromiss
Wenn jetzt die bayerische CSU im Vorwahlkampf wie Kai aus der Kiste springt und gegen die Pläne der EU-Kommission wettert, die Wasserversorgung in Europa privaten Betreibern zu überlassen, dann ist dies entweder unverfrorener Populismus oder man hat in München in den letzten 5 Jahren nicht mitbekommen, was in Brüssel und Berlin in Bezug auf die Öffnung des Binnenmarktes diskutiert wird. Jetzt spielt man bürgerlichen Ungehorsam und es würde nicht wundern, wenn am Ende doch alles wieder nur Wahlkampfgetöse gemischt mit Krokodilstränen war.
Wenn der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber behauptet: „Der jetzt gefundene Kompromiss sieht eine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht für kommunale Zweckverbände und kommunale Eigenbetriebe vor“, dann ist dies eine reine Nebelkerze. Ausgeschlossen von der europaweiten Ausschreibungspflicht sollen nämlich nur die kommunalen Eigenbetriebe, bzw. Regiebetriebe sein. Damit sind aber die sogenannten gemischtwirtschaftlichen Betriebe ausgenommen. Hierzu zählen beispielsweise die Stadtwerke an welchen die Münchener Thüga beteiligt ist.
Mit dieser Ausnahmeregelung hat man jedoch das grundsätzliche Problem zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und privatwirtschaftlichem Wettbewerb keinesfalls gelöst, sondern eher verschlimmert. Das zeigt sich klar an einer weiteren Aussage des CSU-Europaabgeordneten Ferber:
Soweit Stadtwerke - etwa durch Umsätze in der Strom- oder Gassparte - Konzessionen auch in anderen Sparten ausschreiben müssen, kann durch Abspaltung der Wassersparte eine europaweite Ausschreibungspflicht verhindert werden.
Für diese Abspaltung will man den betroffenen Kommunen Zeit bis zum Jahre 2020 einräumen. In dieser Zeit müssen die sogenannten Querverbundunternehmen entflochten werden. Eine Quersubvention zwischen den einzelnen Sparten wird damit verhindert. Bislang können Bereiche, die Gewinne abwerfen (wie etwa das Stromnetz), die Wasserversorgung oder den Öffentlichen Personennahverkehr stützen und so die Preise - beispielsweise für eine Straßenbahnfahrt - in bezahlbarem Rahmen halten. Werden die kommunalen Dienstleistungen europaweit ausgeschrieben, wandert auch die Arbeit vom Handwerksbetrieb vor Ort, der dort seine Steuern bezahlt, zum international aufgestellten spezialisierten Fachbetrieb, der seine Steuern dort bezahlt, wo sie für ihn am Günstigsten sind. Die Vermeidung von Steuern und Abgaben bezeichnet man dann als "innovatives Geschäftsmodell".
Wer steht jetzt in den Startlöchern?
Die deutschen Energieversorger E.on und RWE wirken mit der Energiewende gut beschäftigt. Zudem scheinen sie noch unter dem Eindruck ihrer früheren Wasserabenteuer wie den (um das Jahr 2000 versuchten) erfolglosen Übernahmeversuchen bei E.on, dem folgenden Verkauf der Gelsenwasser oder der letztlich von wenig Erfolg gekrönten Übernahme der britischen Thames Water durch RWE zu stehen und haben offensichtlich die Trinkwasserversorgung aus ihrem Fokus genommen. Einzig der Baden-Württembergische Versorger EnBW, der mit der Übernahme der Technischen Werke der Stadt Stuttgart auch deren Wasserversorgung übernommen hatte, scheint an dem Wassergeschäft Gefallen gefunden zu haben und will es gerne behalten.
Über eine Ausweitung des Wassergeschäfts dürfte sich die heute den kommunalen Energieversorgern in Dortmund und Bochum gehörende Gelsenwasser AG freuen, die neben ihrem Stammgebiet in Westfalen zwischen Ruhr und Ems auch zahlreiche weitere Wasserversorgungen in Deutschland, Polen und dem Kosovo betreibt.
Interesse an einer Geschäftsausweitung dürfte auch der französische Wasserkonzern Veolia Water haben, der in Deutschland als Veoliawasser auftritt und vorwiegend in Braunschweig und den östlich von davon liegenden Bundesländern einschließlich Berlin tätig ist. Dass die kleinste der französischen Trinkwasseranbieter, die Firma SAUR (ursprünglich: Société d’Aménagement Urbain et Rural) nach den gescheiterten Verhandlungen mit E.on noch Interessen in Deutschland verfolgt, ist eher unwahrscheinlich. Auch die französische GDF Suez S.A. ist in Deutschland im Wasserbereich nur noch in einem Joint-Venrure mit der Stadt Wuppertal (WSW Energie & Wasser AG) aktiv. Die Suez Environment S.A. (35%-Beteiligung der GDF Suez S.A.) hat ihre deutsche Tochter Eurawasser vor einem Jahr für 95 Millionen Euro an die zum Remondis-Abfallbeseitigungs-Konzern zählende Remondis Aqua GmbH & Co. KG verkauft.
Französische Konterrevolution
In Frankreich, dem Land, in dem die private Bewirtschaftung kommunaler Wasserleitungsnetze auf eine lange Tradition zurückblicken kann, sieht man die Folgen hinsichtlich der Qualität des Leitungswassers am umfangreichen Wasserangebot der lokalen Supermärkte. Inzwischen wollen sich jedoch viele Kommunen in Frankreich nicht mehr damit abfinden, den privaten Wassergesellschaften das Geschäft zu überlassen. So verliert Veolia Environnement die Versorgungsverträge in Aubagne (2013) und Rennes (2014). Beide Städte wollen ihre eigene Wasserversorgung aufbauen. Schon 2011 hatte Veolia den Vertrag mit der Stadt Brest verloren.
Und vielleicht ist es ja für die deutschen Kommunen nach 50 Jahren deutsch-französischer Freundschaft jetzt sinnvoller, sich mit ihren französischen Kollegen an einen Tisch zu setzen. Eine Auswahl an Gesprächspartnen findet sich im Water Remunicipalisation Tracker. Dem europäischen Bürger bleibt derzeit zumindest ein Engagement bei der Europäischen Bürgerinitiative right2water.
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