Trommeln und Spritzen

Im südafrikanischen Malawi schweißt Aids traditionelle Heiler und westlich ausgebildete Mediziner zusammen. Ein Clash of Culture

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Fast schon traditionell schlecht ist das Verhältnis von traditionellen afrikanischen Heilern und westlich ausgebildeten Schulmedizinern. Um so bemerkenswerter, dass es nun in Malawi erstmals zu einem fruchtbaren Dialog zwischen beiden Seiten gekommen ist. Es ist ein kleines Wunder, was sich in der malawischen Stadt Kasungu angesichts von Aids und hoher Müttersterblichkeitsrate zugetragen hat. Ein Projekt auf Erfolgskurs.

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Kräuter von traditionellen Heilern

"Der Tod spürte, dass ihm der Rhythmus der Trommeln gefiel. Fast hätte er vergessen, weshalb er gekommen war." Trommeln gegen Krankheiten, trommeln gegen den Tod. So beschreibt es der in Afrika geborene Hermann Schulz in seinem Kinderbuch "Die schlaue Mama Sambona"1.

Kasungu Nationalpark im südafrikanischen Malawi. Links und rechts sanfte Hügel, kleine Seen, Busch. Noch eine Kurve über die rot-sandige Buckelpiste, dann ist sie da, die “Klinik” der traditionellen Heilerin Tiyese Phiri. "Empfang, Untersuchungsraum, Kreißsaal", sagt die freundliche Mitvierzigerin und zeigt dabei stolz auf einzelne strohgedeckte Lehmhütten. Ein Sichtschutz aus Bastmatten rund um einen schwarzen Wassereimer ist das "Badezimmer". Daneben die Hütten der Patienten. Über einem der Strohdächer flattert an einem langen Ast eine kleine weiße Fahne, das Zeichen der traditionellen Heiler. Frauenstimmen, Hundegebell, jemand beginnt zu trommeln.

Die traditionelle Heilerin Tiyese Phiri

Wenn die Trommel ertönt, strömen die Leute herbei. Gleich fällt die Heilerin in Trance. Dann kann man etwas erfahren. Über die rätselhafte Kopfverletzung, die der sechsjährige Moffat eines Morgens plötzlich hatte. Oder über die andauernde Müdigkeit, die den Sohn des Dorfbürgermeisters, befallen hat. Fieber, Husten, Durchfall. Die Geister wissen Bescheid. Auch übers Fremdgehen der Männer, die ihr Dorf verlassen, um als Wanderarbeiter in Zimbabwe oder Südafrika Geld zu verdienen. Mit welchen Kräuterpasten sie sich hernach „säubern" können, bevor sie zu ihren Frauen zurückkehren.

Trommel, Tanz und Trance

Hauptkundschaft von Heilerinnen wie Tiyese Phiri sind Frauen. Sie kommen mit Schwangerschaftsbeschwerden und Stillproblemen. Sie kommen, um zu gebären, oder, weil es mit dem schwanger werden nicht klappt. Sie kommen, weil sie Streit mit der Nebenfrau haben oder weil sie von einer unliebsamen Hexerei geplagt sind. „Hexerei ist eine Tatsache in Afrika", sagt die Berliner Ethnologin Angelika Wolf.

Etwa 20 Frauen stehen im Kreis vor der Behandlungshütte und klatschen. Klatschen für die Geister. „Wo etwas los ist, da gesellen sich auch die Geister gern dazu", erklärt Tiyese Phiri. Trommelnd, tanzend und in Trance nehmen die Heiler Kontakt zu ihnen auf. Trommelnd und tanzend übermitteln sie den Patienten die Diagnose. Sinnsprüche, Rätsel und Geschichten können darin vorkommen. Und je nachdem, was gerade anliegt, werden Massagen, Tees oder Pasten aus Kräutern, Wurzeln oder Teilen von Tieren verabreicht. Je nachdem.

Die weiße Fahne, das Zeichen der traditionellen Heiler

Die Müttersterblichkeitsrate in Malawi gehört mit zu den höchsten auf der Welt. 1.800 von 100.000 Frauen sterben laut Weltgesundheitsorganisation an den Folgen einer Geburt. In Europa sind es 10 von 100.000. "Dass Mütter bei der Geburt sterben können, daran hat man sich hier zu Lande fast schon gewöhnt. Und das ist eigentlich das Schlimmste", kritisiert Tarik Maguid, Gynäkologe aus der malawischen Hauptstadt Lilongwe. Maguid ist von einer Enwicklungshilfeorganisation nach Malawi entsandt. Außer ihm arbeiten im ganzen Land mit seinen 12 Millionen Einwohnern nur noch 12 weitere Gynäkologen.

Schere, Spritze, Pille

Auf 100.000 Menschen kommen in Deutschland durchschnittlich 160 Ärzte, in Malawi nicht einmal zwei. Da es fast überall auf der Welt bessere Arbeitsbedingungen gibt und mehr Lohn, wandern malawische Mediziner und Krankenschwestern reihenweise aus. "60 Krankenschwestern werden pro Jahr in Malawi ausgebildet, 100 verlassen das Land", hieß es jüngst in einem Bericht der BBC. Auch langjährige Mitarbeiter malawischer Krankenhäuser kehren – sobald sie können - ihrem Arbeitsplatz den Rücken und gehen in die USA, nach Europa oder Australien. Zurück bleiben ein dichtes Netz von traditionellen Heilern und eine notdürftige biomedizinische Grundversorgung.

Die Volksseuche Aids stellt dieses sieche Gesundheitssystem vor unglaubliche Herausforderungen: Rund 14 Prozent der 15- bis 49jährigen Malawier tragen der staatlichen Aidskommission (National Aids Commission) zufolge das HI-Virus in sich. Anders als in Europa oder Nordamerika wird Aids in Afrika vorwiegend bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr sowie von Mutter zu Kind weitergegeben. Die Infektionsrate unter den Frauen ist deutlich höher als bei den Männern. Die HIV-Übertragungsrate im District Kasungu gehört zu den höchsten im ganzen Land.

Angesichts des gesundheitlichen Notstands wollen in Kasungu traditionelle Heiler und moderne Mediziner fortan enger zusammen arbeiten. Wie naheliegend, mögen Unbedarfte denken. Faktisch aber stellt das Prozedere, beide Seiten zu einem Dialog zu bewegen, eine so gewaltige Kraftanstrengung dar, dass sie nur mit internationaler Entwicklungshilfe zustande kam.

Ein Pilotprojekt auf Erfolgskurs

Das Verhältnis zwischen Heilern und Medizinern ist traditionell schlecht: Die Heiler sind gekränkt, weil sie von den Schulmedizinern respektlos und herablassend behandelt werden. Die Krankheit erhalte in der Schulmedizin mehr Aufmerksamkeit als der Kranke, bemängeln die Heiler. "Krankheit kann nicht ohne das Geschehen in der Gemeinschaft gesehen werden", sagt Joseph Gangire Phiri, Vorsitzender der Herbalist Association of Malawi.

Fahrrad mit Bananensattel als Krankenwagen

Das Krankenhauspersonal hingegen sieht sich durch eine oft viel zu späte Überweisung schwerkranker Menschen degradiert. "Was der Heiler verhunzt hatte, sollen wir wieder zusammenflicken", empört sich Clinical Officer Dayton Diyalla aus dem District Hospital in Kasungu. Daytons Beruf “Clinical Officer” ist eine Folge des Ärztemangels. Zwei Jahre dauert die Ausbildung, danach führen die Clinical Officers selbständig Kaiserschnitte und andere ‘kleinere’ Operationen durch.

Ginge es nach dem Willen von Dr. Albert Mbowe, gäbe es bald keine traditionellen Heiler mehr. „Ich bin zwar mit dieser Kultur aufgewachsen. Aber in der modernen Medizin geht es um echte Heilungschancen, da sind traditionelle Methoden nicht erfolgreich genug", sagt der massige, aber durchaus sportive Mitvierziger mit dem glattrasierten Schädel.

Als Arzt und Direktor des Kasungu District Hospital ist Albert Mbowe einer der wenigen gut ausgebildeten Schulmediziner in der Region. Das District Hospital beschäftigt für rund 700 Patienten und 300 Geburten pro Monat einen Arzt, zwei Clinical Officers und 40 Krankenschwestern.

Die meisten Heiler sprächen kein Englisch, viele könnten nicht einmal lesen und etliche verstünden gar nichts von medizinischen Vorgängen, wirft Krankenhausdirektor Mbowe den Heilern vor. “Kann es angesichts dieser Defizite Gemeinsamkeiten geben?”, fragt er. Auch die britische Kolonialregierung vormals traute den Heilern nicht: Bis zur Unabhängigkeit Malawis 1964 waren traditionelle Heilmethoden verboten.

Heilerin Maria Nkhooma untersucht Edda Mwula, die im 8. Monat schwanger ist

Eines aber - und das muss auch Albert Mbowe eingestehen - haben die Heiler den Schulmedizinern voraus: Sie genießen das Vertrauen der Menschen. Anders als die Mediziner sind Heiler Teil der Dorfgemeinschaften. Hier stellen sie Autoritäten dar – mitunter sogar Stars, mit Künstlernamen, Fanclub und Allüren. Ein ums andere Mal ist der Einfluss eines Heilers auf die Menschen so groß, dass sich sogar Krankenhauspatienten aus dem Bett stehlen, um einen Heiler aufzusuchen, erzählt Dayton Diyalla.

Dass gut 40 der etwa 1000 Heiler der Region Kasungu seit kurzem eng mit dem District Hospital zusammen arbeiten, ist „ein kleines Wunder", sagt Venencia Kabwila. Die malawische Soziologin ist eigens aus der 130 Kilometer entfernten Hauptstadt Lilongwe angereist, um den Dialog zwischen traditionellen Heilern und Schulmedizinern zu moderieren. Unterstützt wurde sie bei der Organisation der Dabatte von der deutschen Entwicklungshilfeorganisation GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit).

Venencia Kabwila ist eine ältere gesetzte Dame, die Ruhe und Verbindlichkeit ausstrahlt. Ihr ist es zu verdanken, dass Heiler und Schulmediziner ihre Methoden und Meinungen darstellen konnten, ohne sich gegenseitig zu unterbrechen oder zu diffamieren. Ein schwieriges Unterfangen, denn viele Heiler teilen sich auch mit Gesang, Tanz oder in Rollenspielen mit, während Schulmedizinern solche Ausdrucksweisen in der Regel fern sind.

Die erste Phase des Dialogs war von gegenseitigen Anwürfen geprägt, erzählt Venencia Kabwila. Unzuverlässig und raffgierig seien die Heiler und viele von ihnen verbreiteten und beförderten Aids durch fehlende Hygiene oder mit Initiationsriten, bei denen ungeschützter Sex obligatorisch sei, so der Vorwurf des Krankenhauspersonals. Die Heiler gaben zurück, dass Aids ihrer Ansicht nach besonders häufig da auftrete, wo sich die Menschen allzu sehr aus dem traditionellen Zusammenhang entfernt hätten. Aids entstehe, weil Menschen zu mobil seien, weil sie sich zu wenig um die Einhaltung traditioneller Regeln kümmerten.

"Was denken Sie gegen Aids unternehmen zu können?", lautete eine Frage, die beiden Parteilen gestellt wurde. Hier mussten Schulmediziner und Heiler einräumen, Aids nicht heilen, sondern nur behandeln zu können. Eine erste Gemeinsamkeit war gefunden. "Seitdem lief die Diskussion runder", hat Kabwila beobachtet.

Man spricht nicht über Sex, man hat ihn

Vielfach haben die Probleme, sich über Aids auszutauschen, mit sexuellen Tabus zu tun, weiß die Ethnologin Angelika Wolf, die als GTZ-Beraterin beteiligt ist am Projekt. Schon Aids beim Namen zu nennen, ist gar nicht so einfach. Die Heiler nannten Aids und die damit verbundenen Krankheitserscheinungen “Mdulo”. Damit sind aber Symptome von Krankheiten benannt, Husten, Durchfall, Gewichtsverlust, nicht die Infektion mit dem Virus.

Auch in Bezug auf die richtige Aids-Vorbeugung schieden sich die Geister: Während Schulmediziner und Gesundheitsberater raten, Kondome zu benutzen, wirkt dieser Ratschlag für Heiler mitunter absurd. Denn für viele Heiler hat das Sperma des Mannes heilende Kräfte. Babys werden damit eingerieben. Mädchen vor der Ehe “ausgespült”. Fisi oder Cleansing nennt man diesen Brauch, bei dem ein Erwachsener – nicht der Bräutigam - mit der Braut intim wird, um sie vor der Hochzeit zu "reinigen". Auch werdende Mütter sollten, so eine verbreitete Meinung, möglichst oft mit Sperma gestärkt werden. Und wird eine Frau Witwe, so muss sie in manchen Regionen nach einem Jahr erneut "gesäubert" werden.

“Die positive Kraft von Sperma hat mit der Vorstellung von Heiß-Kalt-Zuständen zu tun“, weiß die Ethnologin Angelika Wolf. Jeder Mensch ist erst einmal „kalt“. Mit dem Sperma des Vaters wird das Baby dann mit der Hitze der erwachsenen Menschen vertraut gemacht. Genau so sollen junge Frauen vor der Hochzeit an die Hitze des Ehelebens gewöhnt werden.

Leicht vorstellbar, dass diese Gebräuche nicht immer leicht in Einklang zu bringen sind mit einem aufgeklärten Verhalten im Zeitalter von Aids, wie es sich die Schulmediziner wünschen. Hinzu kommen noch andere Sexmythen, die sich gegen den Einsatz von Kondomen richten. Etwa der vom „Spermarückstau", der den Mann krank mache. Oder die Mär von der Unfruchtbarkeit, die sich mit dem Gebrauch von Kondomen einstelle.

“Die Heiler stehen vor einem Dilemma”, erklärt Venencia Kabwila. Sie sollen einerseits als traditionelle Fruchtbarkeitsberater die Fortpflanzung des Dorfes sichern helfen, andererseits aber Safer-Sex-Praktiken propagieren. Im Grunde verweist dieser Zielkonflikt auf das Wesen von Aids, wie es die amerikanische Essayistin Susan Sontag formulierte: „Blut, Sexualflüssigkeit – das Leben selbst ist Träger der Verseuchung". Was soll man tun, wenn das Leben den Tod verbreitet?

Wissenschaft contra Witchcraft

Am Ende des Dialogs stand ein Rollenspiel. Darin verständigten sich beide Seiten auf künftiges Verhalten: Die Heiler optimieren ihre hygienischen Bedingungen, sie entsorgen medizinischen Müll sachgemäß, so dass sich Infektionen nicht weiter verbreiten. Außerdem sichern die traditionellen Heiler dem Krankenhaus zu, mehr Schwangere und ihre Familien dazu zu bringen, sich auf HIV testen zu lassen. Im Gegenzug erlaubt die Klinik den Heilern freien Zutritt und übermittelt bereitwillig Informationen und medizinisches Material.

Seit Beginn des Projektes vor zwei Jahren sind keine Frauen mehr an den Folgen einer Geburt gestorben. Ein sensationeller Erfolg. Geplant ist, das Dialogmodell auch in anderen Regionen Malawis anzuwenden.

Die meisten Geburten in der Region Kasungu hat die Heilerin Liveness Nkhata aufzubieten. 50, manchmal sogar 100 Geburten macht sie pro Monat. Drei bis vier davon gehen in die Klinik, sagt sie. Vor einiger Zeit ist ihr Kreißsaal zusammengebrochen. Während der Regenzeit hatte sich der Lehm so vollgesogen, dass er instabil wurde. Jetzt hat sie die Hütte der Stabilität wegen kleiner gebaut. So klein, dass die Schwangeren nur mehr diagonal hineinpassen.

Wie alle Heiler hat Liveness Nkhata einen umfangreichen Stab an Mitarbeitern. Ihre Mutter ist da. Von ihr hat Liveness Hebammenkunst und Heilen gelernt. Ihr Mann ist dabei, Enkelkinder und verschiedene andere Frauen. Liveness zeigt uns ihren neu gebauten “Placenta-Pit”, eine sarggroße Ausschachtung im Boden. „Hier kommt nach der Geburt die Nachgeburt hinein”, erklärt sie. ”Sehr hygienisch” sei dieses neue Verfahren. Früher hätten mitunter Kinder oder Hyänen mit Hausmüll gespielt, der Geburtsreste enthielt.

„Es ist schon viel erreicht, wenn die Heiler schwierige Fälle rechtzeitig überweisen", forderte Klinikdirektor Albert Mbowe in Kasungu. Draußen in der Buschklinik nun deutet Liveness Nkhata auf einen Ochsenkarren und sagt: „Mein Krankenwagen". 18 Kilometer sind es zum District Hospital. „Wie sollen wir die Patienten rechtzeitig überweisen, wenn wir keine Möglichkeit dazu haben?", fragt die Heilerin.

Die nationale Aidskommission mit Sitz in der malawischen Hauptstadt Lilongwe hat weitere Fahrräder mit Bananensattel zum Krankentransport in Aussicht gestellt. Angesichts der Tatsache, dass das Gebäude der Aidskommission aussieht wie eine modernistische Neuauflage vom Palast der Republik, verspiegelt nach außen und innen hypertrophiert mit Arbeitskräften, mutet das wenig an. Sehr wenig.

"Und weil der Tod auch Humor hatte und für sein Leben gern tanzte, ließ er sich mitreißen. Das Tanzen gefiel ihm so gut, dass er alles andere darüber vergaß. So kommt es, dass Mama Sambona heute immer noch nicht bei den Ahnen ist." Die schlaue Mama Sambona überlistet den Tod – mit Trommeln, Tanzen und Teetrinken. Vielleicht hilfts ja.

Bei näherem Hinsehen jedenfalls wird an der kleinen weißen Fahne, dem Zeichen der traditionellen Heiler, über der Buschklinik von Liveness Nkhata ein kleines Kreuz sichtbar. Es ist aus Pflasterstreifen aufgeklebt, Leukoplast, wie es bei uns in jedem Sanitätskasten zu finden ist. Witchcraft und Wissenschaft - vielleicht sind sie ja vereinbar? Wer weiß?