Türkei: "Gemeinsamer Finger am Drücker der US-Atomwaffen"
Über die nukleare Teilhabe befinden sich auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik vermutlich weiterhin Atombomben, angesichts der eskalierenden Konflikte ist das beunruhigend
Der Streit zwischen der USA und der Türkei schwelt weiter. Die Türkei will als Nato-Staat russische S-400-Raketenabwehrsysteme kaufen und vielleicht auch noch an der Entwicklung der nächsten Generation beteiligt werden, was den USA überhaupt nicht passt. In den USA sieht man dadurch die nationale Sicherheit - und die Interessen der amerikanischen Rüstungskonzerne - bedroht und droht damit, die Kooperation über die F35-Kampfflugzeuge und deren Erwerb zu beenden. Das Thema ist heikel, es geht nicht nur um milliardenschwere Rüstungsgeschäfte, sondern um Loyalitäten und geostrategischen Interessen.
In der Türkei befinden sich wahrscheinlich aber auch noch amerikanische Atomwaffen. Wie Deutschland, Belgien, Italien und die Niederlande ist die Türkei Teil der "nuklearen Teilhabe". Das war eine trickreiche Strategie der Nato bzw. der USA, Staaten an sich zu binden und atomar aufzurüsten, die sich nach dem Atomwaffensperrvertrag verpflichtet hatten, keine Atomwaffen zu haben.
Gleichwohl stellen die Staaten der nuklearen Teilhabe nicht nur Lagerplätze zur Verfügung, sondern auch Flugzeuge, um Atomwaffen einzusetzen (Darf Deutschland legal Atomwaffen besitzen oder bauen?, Bundeswehr sucht neuen Atombombenträger). Die nukleare Teilhabe war auch ein Grund für Deutschland und die Nato, dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen nicht beizutreten, was auch heißt, nicht für die Abrüstung der Atomwaffen einzutreten ("So lange es Atomwaffen gibt, wird die Nato ein nukleares Bündnis sein").
Es ist gefährlich, wenn die USA Atomwaffen - man schätzt es seien um die 50 B-61-Bomben - weiter in der Türkei zur nuklearen Teilhabe belassen. Die Bomben sind alt und sollen wie die in Deutschland "modernisiert" werden, ebenso alt sind die für deren Einsatz vorgesehenen F-16-Flugzeuge. Die Bedenken sind gewachsen, seitdem die Türkei eng mit Russland verbündet ist, aber auch im Nahen Osten, vor allem gegenüber Syrien und dem Irak, eine Politik betreibt, die in unübersehbare militärische Konflikte führen kann. Überdies hat die Türkei beispielsweise Afrin völkerrechtswidrig besetzt und will weitere Teile Syriens besetzen. Das stört freilich Washington an sich nicht groß, weil die US-Politik derartiges immer wieder ganz selbstverständlich selbst ausführt.
Es gab schon einmal Gerüchte, dass das Pentagon nach dem Putschversuch und der vorübergehenden Sperrung des Luftwaffenstützpunkts Incirlik die Atomwaffen von dort abgezogen hätten, was aber wohl Fake-News waren. Während des eskalierenden Konflikts zwischen den USA und der Türkei machten im März 2018 Informationen die Runde, dass das Pentagon Teile der Truppen aus Incirlik verlegen (Ziehen die Amerikaner Truppen aus Incirlik ab?). 2018 warnte der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel davor, dass die Türkei es anstreben würde, sich atomar zu bewaffnen.
"Die Westbindung der Türkei durch ihre Nato-Mitgliedschaft", so Gabriel, "ist für uns Europäer und Deutsche eine Sicherheitsgarantie, die wir nicht leichtfertig aufgeben sollten." Hinweise und Vermutungen, dass die Türkei unter Erdogan möglicherweise an Atomwaffen interessiert sind, gibt es schon länger.
Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei sind wegen Syrien und der Absicht der türkischen Regierung, das russische Luftabwehrsystem S-400 zu kaufen, weiterhin angespannt. Dazu kommt der eskalierende Konflikt zwischen den USA und dem Iran, wo die Türkei, die in Syrien, wenn auch mit Konflikten, mit Russland und dem Iran verbündet ist, aus der Sicht der USA ein großer Unsicherheitsfaktor ist. Harvey Sapolsky, Direktor des MIT Security Studies Programm, plädiert für einen Abzug der Atomwaffen aus Incirlik und eine Beendigung der nuklearen Teilhabe:
Es ist eine schlechte Idee, Atomwaffen in der Nähe von Konfliktgebieten zu lagern. Der Türkei einen gemeinsamen Finger am Drücker zu geben, verliert schnell seinen Charme, besonders wenn die Türkei mit Russland flirtet und zunehmende Probleme mit den USA hat. Beenden wir das Programm der nuklearen Teilhabe der Nato und beginnen mit den Atomwaffen in Incirlik.
Harvey Sapolsky
Nach Sapolsky würden durch die nukleare Teilhabe die US-Truppen an das "Schicksal der Gastländer gebunden". Die Angst wäre also, dass die Türkei die USA mit in einen Krieg zieht. Die Angst besteht natürlich auch umgekehrt, schließlich haben die USA genügend Kriege und Interventionen begonnen, gerade auch in der Region, zumal der jetzige Präsident gerne mit der militärischen und auch nuklearen Drohung spielt.
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