Türkei: Militärputsch offiziell beendet

Seite 3: Die Folgen dieser Nacht

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Insgesamt ist von bislang 245 Toten und mehr als 1.400 Verletzten die Rede. Während Yıldırım von 104 Putschisten und 164 regierungstreuen Sicherheitskräften sprach, ist andernorts von mindestens 47 getöteten Zivilpersonen die Rede. Unter den Toten ist auch der Fotograf Mustafa Cambaz, der in der Nacht während seiner Berichterstattung erschossen wurde.

Bereits in der Nacht kursierten Listen mit Namen von 600 an dem Putsch beteiligten Generälen. Bislang wurden knapp 1.600 Angehörige der Streitkräfte festgenommen. Sowie knapp 3000 Richter ihres Amtes enthoben.

Laut der Zeit wurde "der Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der südlichen Provinz Adana abgeriegelt. Wie das US-Konsulat mitteilte, ist die Energieversorgung unterbrochen, der Zugang zur Basis und das Verlassen des Stützpunktes sind aus Sicherheitsgründen untersagt.

In Incirlik haben mehrere Länder Verbände, die sich am Kampf gegen den "Islamischen Staat" in Syrien beteiligen. Deutschland hat dort 240 Soldaten stationiert". Im ZDF hieß es, der Teil, in dem die internationalen Streitkräfte stationiert seien, sei von dem Areal der türkischen Luftwaffe abgeriegelt. Von Incirlik aus sollen Helikopter und Flugzeuge, die vom putschenden Teil des Militärs eingesetzt wurden, gestartet sein.

Erdoğans Präsidentenpalast. Bild: Ex13/CC BY-SA 4.0

Gerade die schnelle Reaktion des türkischen Staates wirft viele Fragen auf - und bietet Anlass für Spekulationen. Dass sie sehr schnell sehr viele Menschen hinter Schloss und Riegel bringen können, haben sowohl vorherige als auch die gegenwärtige türkisch Regierung mehrfach unter Beweis gestellt. Ungewöhnlich indes ist, dass Erdoğans Rachefeldzug sich nicht gegen Linke oder die kurdische Bevölkerung richtet.

ZDF-Reporter Luc Walpot, der von Istanbul aus berichtet, mutmaßte in einem ZDF-Special, die Geschwindigkeit, mit der die Verhaftungen um sich greifen, weise daraufhin, dass die Regierung "mit Rückenwind dieses Putsches" die Situation nutze, um "massiv gegen politische Gegner vorzugehen". Auch Walpot fand insbesondere die Amtsenthebung von Tausenden von Richtern als Folge eines Militärputsches erklärungsbedürftig.

Unterstützung aus Europa und den USA

Die drängendste Frage aber ist, wie es jetzt weiter geht. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch EU-Ratspräsident Donald Tusk stellten sich hinter die türkische Regierung. Merkel verurteilte den Putschversuch "auf das schärfste". Das Blutvergießen in der Türkei müsse jetzt beendet werden, so die Kanzlerin. Tusk sagte, die Türkei sei ein "key-partner" der EU.

An der Rolle der Türkei als "key-partner", als wichtigster Partner in Hinblick auf die Lösung der durch die massenhafte Flucht aus dem Nahen Osten entstehenden Probleme, wird sich vermutlich nichts ändern. Wenn die EU wollte, dann könnte sie den Vorfall zum Anlass nehmen, ihre Strategie gründlich zu überdenken. Und statt weitere Milliardenbeträge in die türkische Regierung direkt in die Flüchtlinge, z.B. durch Schaffung sicherer Fluchtrouten, und in eine menschenwürdige Unterbringung, Betreuung und Verpflegung investieren. Denn eins ist auch klar: Die politische Situation im EU-Partnerland Türkei ist alles andere als stabil.

Doch da sind wir wieder beim Konjunktiv und im Reich der Spekulationen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.