Türkei holt Botschafter aus Österreich nach Ankara

Streit um PKK-Slogans auf Kurdendemonstration - Strache fordert Volksabstimmung vor Aufnahme in die EU

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Das Verhältnis zwischen der Türkei und Österreich ist zwar noch nicht wieder so schlecht wie 1683, als osmanische Truppen Wien belagerten, aber deutlich abgekühlt. Diese Abkühlung begann, nachdem der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und dessen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die Reaktionen der türkischen Staatsführung auf den Putschversuch vom Juli und teils gewalttätige Ausschreitungen ihrer Anhänger in Europa sehr viel deutlicher kritisierten als deutsche und andere Regierungspolitiker aus EU-Mitgliedsländern.

Standard-Videobericht über den Stein des Anstoßes

Kern meinte unter anderem, er halte es unter den gegebenen Umständen nicht mehr für sinnvoll, die Gespräche über einen Beitritt der Türkei zur EU fortzuführen und Kurz regte an, dass sich Europa nicht auf eine Eindämmung der Zuwanderung durch die Türkei verlassen, sondern seine Grenzen besser selbst schützen solle. Darauf hin warf der türkische Europaminister Ömer Çelik der österreichischen Regierung eine "Ähnlichkeit mit dem Ansatz der Rechtsextremisten in Europa" vor, Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bezeichnete das Land als "Zentrum des radikalen Rassismus" und Staatspräsident Erdoğans Chefberater Burhan Kuzu twitterte an Kurz gerichtet "Verpiss Dich, Ungläubiger!", wurde allerdings vom österreichischen Bundeskanzler nicht als satisfaktionsfähig angesehen.

Als der Flughafen Schwechat in Wien am 13. August auf einem Laufband eine Schlagzeile der Boulevardzeitung Krone verbreitete, die den (falschen) Eindruck erweckte, die Türkei wolle Geschlechtsverkehr mit Kindern legalisieren, bestellte das türkische Außenministerium Georg Oberreiter, den österreichischen Botschafter in Ankara ein, der sich auf die Pressefreiheit in seinem Land berief.

Çavuşoğlu wirft der österreichischen Regierung Terroristenunterstützung vor

Gestern wurde Oberreiter erneut einbestellt - diesmal ging es um eine Kurdendemonstration in Wien, die unter dem Motto "Gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und die Isolation von Abdullah Öcalan" stand und auf der PKK-Slogans skandiert und Öcalan-Fahnen geschwenkt wurden. Aufgrund dieser Demonstration hat der türkische Außenminister Çavuşoğlu Hasan Göğüş, den türkischen Botschafter in Wien, zu "Konsultationen und zur Neubewertung der Beziehungen" nach Ankara geholt, wie er gestern auf einer Pressekonferenz mitteilte. Çavuşoğlu wirft der österreichischen Regierung vor, die PKK und mit ihr auch den Terrorismus zu unterstützen. Dass "deren Unterstützer die Erlaubnis bekamen, eine Demonstration in Wien abzuhalten" laufe "Ehrlichkeit und Redlichkeit zuwider", weshalb " die Grundlage für eine normale Fortsetzung unserer bilateralen Beziehungen und Kooperation verschwunden" sei.

Strache fordert Volksabstimmung vor Beitritt der Türkei zur EU

Dass sich österreichische Regierungspolitiker in Türkeifragen derzeit deutlicher äußern als ihre europäischen Kollegen, könnte auch damit zusammenhängen, dass in der Alpenrepublik am 2. Oktober die Stichwahl des Bundespräsidenten wiederholt wird - und dass SPÖ und ÖVP sich vom FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer nicht öffentlich "Appeasementpolitik" gegenüber Erdoğan vorwerfen lassen wollen.

Hofers Freiheitliche fordern vor einem Beitritt der Türkei zur EU eine Volksabstimmung in Österreich, wie ihr Vorsitzender Heinz-Christian im ORF-Sommergespräch betonte. Diese Forderung ist ihm zufolge eine Bedingung für eine Koalition seiner Partei mit ÖVP oder SPÖ, weil sich das Land am Bosporus weg von einer Demokratie und hin zu einer "islamistischen Präsidialdiktatur" entwickle. "Eine Präsidialdiktatur á la Erdoğan" droht Strache zufolge auch den Österreichern, wenn sie sich am 2. Oktober nicht mehrheitlich für Norbert Hofer, sondern für den ehemaligen Grünenchef Alexander van der Bellen entscheiden. Dessen Vorhaben, den Freiheitlichen im Falle eines Wahlsieges die Regierungsbildung zu verwehren, sei "ungeheuerlich".

Auf Fragen dazu, ob er die ÖVP oder die SPÖ als Koalitionspartner vorzöge, meinte Strache, er pflege zu beiden Lagern eine "realpolitische Äquidistanz" und dass sich sowohl mit der ÖVP als auch mit der SPÖ Schnittmengen finden ließen, das zeigten die Koalitionen in Oberösterreich und im Burgenland. Auf das Koalitionsangebot von Turgay Taşkiran, der Präsident der AKP-nahen Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) war und bei der nächsten Nationalratswahl an der Spitze einer türkisch dominierten Liste antreten möchte, ging der FPÖ-Chef nicht ein.

Lande die FPÖ bei der nächsten Parlamentswahl auf dem ersten Platz, werde er "selbstverständlich" das Kanzleramt für sich beanspruchen, so Strache. Als Anwärter für Ministerposten nannte er neben den FPÖ-Politikern Hofer, Haimbuchner und Gudenus (die der Standard im Juni in einem inoffiziellen FPÖ-Schattenkabinett präsentierte) auch den burgenländischen Vize-Landeshauptmann Johann Tschürtz.

Zu politischen Inhalten verlautbarte Strache unter anderem, er halte die von der rot-schwarzen Koalition eingeführte Zuwanderungsobergrenze für "unsinnig" und den "größten Schmäh", weil man sich an die Genfer Konvention halten müsse. Der FPÖ-Vorsitzende möchte stattdessen die Regeln für sichere Drittstaaten konsequent anzuwenden. Auch von einem Austritt aus der EU hält er nichts - man müsse aber aus Fehlentwicklungen lernen und die Brüsseler Institutionen reformieren.

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