Türkische Satire: Das Ende des Humors

Seite 2: Hier vor Ort herrscht Willkür

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es fällt auf, dass keineswegs nur die aktuelle Politik und Erdogan im Fokus stehen, sondern viele andere Themen, die Satiriker üben oft subtile Gesellschaftskritik, die man so kaum anderswo in der Türkei findet. In Deutschland werden solche Zwischentöne kaum noch wahrgenommen. Woran liegt das deiner Ansicht nach?

Sabine Küper-Büsch: Weil die Heterogenität der türkischen Gesellschaft zu unbekannt ist. Auch die ständige Verklärung der osmanischen Zeit, etwa in Fernsehserien, kennen in Deutschland nicht viele. Auch für viele deutschtürkische Kollegen, die in letzter Zeit Interviews mit mir geführt haben, ist das total fremd. Oft wird das als Folklore wahrgenommen und nicht mit aktueller Politik verknüpft. Dabei läuft das innerhalb der islamisch-konservativen Szene in der Türkei schon seit den Neunzigern und nimmt an Bedeutung zu. Deren Anhänger werden darauf eingeschworen, dass sie einen Krieg gegen eine andere, nichtmuslimische Zivilisation führen.

Die öffentliche Forderung nach der Todesstrafe hat viel mit diesen medialen Vorbildern zu tun. Dabei hat all das mit der tatsächlichen Geschichte nur wenig zu tun. Mir kommt das oft vor wie eine Art osmanisches Disneyland. Das wird in fast allen satirischen Publikationen aufgegriffen. In LeMan gibt es zum Beispiel eine Serie, in der der kleine impotente Sultan mit den Stinkefüßen andauernd von seinen Haremsdamen veralbert wird.

Buch und Ausstellung finden in Deutschland statt - ist es nicht trotzdem riskant, so etwas zu machen, während du in der Türkei lebst?

Sabine Küper-Büsch: Mir war das ein Anliegen. Es ist wichtig, dass diese Arbeiten im Ausland wahrgenommen werden. Deshalb war uns allen, auch den beteiligten Zeichnern, kein Risiko zu groß. Wir zeigen aber in der Ausstellung ausschließlich Bilder, die in der Türkei offiziell publiziert sind.

Einige der Zeichnungen aus dem Buch werden im Rahmen der Ausstellung nicht gezeigt. Weshalb?

Sabine Küper-Büsch: Es gibt im Buch zwei Zeichnungen, wegen denen in der Türkei Ermittlungsverfahren laufen. Das haben wir mit der Redaktion von Uykusuz abgesprochen. Die eine zeigt einen im TV predigenden Erdogan und davor zwei Schafe, die sagen: "Wir machen dich nicht zu unserem Hirten." Das bezieht sich auf eine Rede, in der Erdogan sich selbst mit einem Hirten verglichen hat. Auf dem anderen Bild sieht man Studenten im liberalen Istanbuler Stadtteil Kadiköy, die vor dem Referendum für die Nein-Stimme werben und dafür von der Polizei verprügelt werden.

Humor zeichnet seit jeher türkische Protestbewegungen aus, das zeigte sich auch bei den Gezi-Protesten sehr stark. Inwiefern kann das in der jetzigen Situation gesellschaftlich noch etwas bewirken?

Sabine Küper-Büsch: Satire hat in der Türkei eine hundertjährige Geschichte und hatte schon immer größere Freiheiten als andere mediale Ausdrucksformen. Aber ich habe das Gefühl, dass das gerade kippt.

Die Satire war immer der Hofnarr, der strikte Geschlechterrollen und Herrschaftsstrukturen aufs Korn nahm. Auch Tabuthemen wie Sexualität wurden oft sehr zotig und überraschend verarbeitet. Aber seit den Gezi-Protesten ist in der islamisch-konservativen Ecke ein immenser Hass auf diese Form von Gesellschaftskritik entstanden. Inzwischen sind in den sozialen Medien Propagandazeichner sehr präsent, die keine Satire, sondern Schmähungen produzieren. Das ist nicht lustig, sondern teils gewalttätig. Auf faschistoid wirkenden Zeichnungen wird die Todesstrafe propagiert. Das ist beängstigend. 2008 haben wir als Reaktion auf die Mohammad-Karikaturen schon einmal eine Satireausstellung gemacht unter dem Titel "Die Nase des Sultans". Damals war das türkische Kulturministerium als Partner mit dabei. Das wäre heute undenkbar.

Wie ist denn die Lage vor Ort, kannst Du noch journalistisch arbeiten?

Sabine Küper-Büsch: Ich habe mir, gerade im Gespräch mit Leuten aus Regierungskreisen, völlig abgewöhnt, konfrontative Fragen zu stellen. Das bringt auch nichts mehr, weil man nur noch aggressiv niederargumentiert wird. Stattdessen gebe ich Vorlagen und lasse die Leute reden, um möglichst viel über ihre Denkweise zu erfahren. Das zieht sich teils schon bis in die deutschen Redaktionen. Immer mehr wird bis in die Chefredaktionen hinein diskutiert, was man sagen kann und was nicht, um die Türkei nicht zu vergrätzen.

Es ist eine ganz seltsame Atmosphäre entstanden. Hier vor Ort herrscht Willkür, klar hat man Angst, dass die Polizei vor der Tür stehen könnte. Es ist teils gar nicht nachvollziehbar, warum bestimmte Leute festgenommen werden. Warum zum Beispiel ist Asli Erdogan verhaftet worden, eine völlig harmlose Schriftstellerin, die hin und wieder Kolumnen für Özgür Gündem geschrieben hat? Der Cumhuriyet-Prozess hingegen ist eine gezielte Kampagne gegen eine der CHP nahestehende Zeitung.