US-Gefängnisse: Hölle für psychisch erkrankte Häftlinge

Human Rights Watch berichtet, dass Insassen mit psychischen Störungen häufig Opfer von Gewalt des überforderten Gefängnispersonals werden

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Die Kassen vieler US-Bundesstaaten sind klamm, also wird gespart, zum Beispiel bei den staatlichen psychiatrischen Kliniken. Viele wurden in den letzten Jahren geschlossen. Die Folge ist, dass Gefängnisse deren Aufgaben bei straffällig gewordenen Personen mit psychischen Störungen übernommen haben. Sie sind ihnen aber nicht gewachsen. Das hat Auswüchse, die Höllenkreisen gleichkommen, wie ein Bericht der Organisation Human Rights Watch darlegt: Gegen die psychisch erkrankten Häftlinge wird deutlich mehr Gewalt angewendet als gegen die anderen Insassen der Strafvollzugsanstalten.

Es sind viele: Etwa 360.000 Häftlinge in US-Strafvollugsanstalten sollen laut einer Schätzung an ernsthaften psychischen Störungen leiden, an Schizophrenie, bipolarer Störung oder schweren Depressionen. 15 Prozent der Häftlinge in Staatsgefängnissen ("Prisons") und 24 Prozent der Insassen lokaler Haftanstalten ("Jails") leiden an psychotischen Symptomen, verbunden mit Wahnvorstellungen, ist im HRW-Bericht zu erfahren.

Bei dem Bild auf dem Cover des HRW-Berichts handelt es sich um einen Screenshot aus diesem Video. Es zeigt Polizeibeamte, die einen Mann, der unter einer bipolaren Störung und Despression leidet, festhalten und mit Pfefferspray "behandeln".

Um genau diese Personengruppe, Frauen und Männer mit den genannten Störungen, die unter mental disabilities zusammengefasst werden, geht es in dem Bericht, der sich rühmt, der erste seiner Art in den USA zu sein. Der Anteil der psychisch Erkrankten ist in den Gefängnissen höher als draußen und das Risiko, harten Strafen und Brutalitäten, die außerhalb des Gesetzes stehen, ausgesetzt zu werden, ist für die Häftlinge mit psychischen Störungen deutlich höher als für die anderen Insassen, so HRW.

"Gefängnisregeln bedeuten nicht viel für jemanden, der Stimmen hört"

Der Grundkonflikt ist klar erkenntlich, aber schwierig zu lösen. Es stehen sich sehr unterschiedliche Wahrnehmungswelten gegenüber. Der Bericht macht dies so anschaulich: "Gefängnisregeln bedeuten nicht viel für jemanden, der Stimmen hört." Und auf der anderen Seite unterstellt das Gefängnispersonal denen, die Ordnungsregeln nicht befolgen, einen willentlichen Ungehorsam, bzw. eine willentliche Verhaltensweise gegen die Ordnung. Das führt bei den psychisch Erkrankten häufiger als bei den anderen Häflingen zu drastischen Maßnahmen: oft zu Einzelhaft und viel zu oft zu Gewalttätigkeit.

Die ungehorsamen Häflinge werden mit chemischen Sprays oder mit Elektroschockern traktiert, an Stühle gefesselt oder tagelang ans Bett; Nasenbrüche, Kieferbrüche, Rippenbrüche werden genannt, Verbrennungen, tiefe Schnitte, Organverletzungen, körperliche Verletzungen können Traumatisierungen nach sich ziehen, die von psychisch erkrankten Häftlingen noch schlechter verarbeitet werden können, so ist schon am Anfang der Berichtszusammenfassung zu lesen.

Im Bericht selbst werden gleich zu Anfang zwei Fälle geschildert, bei denen die psychisch erkrankten Häftlinge an den Folgen der Behandlung, die sie erfuhren, starben. Es ist eine Hölle, die hier sichtbar wird. Dass der Tod der beiden hätte vermieden werden können, ist eine Erkenntnis, die sich aufdrängt. Wegschauen und Vernachlässigung ist bei Insassen, bei denen seit längerem eklatante körperliche Schwäche auffiel - "wie ein KZ-Häftling", so ein Zeuge - nicht zu leugnen.

Aber es ist auch nicht zu leugnen, wie schwer es ist, Menschen, die sich weigern Nahrung zu sich zu nehmen, die sich und ihre Zelle mit Faeces beschmieren, die aggressiv auf die Gefängniswärter reagieren können, die ihre Weigerung mit Verformung des Essens und mit Urinieren in die Zellen dokumentieren, dazu zu bringen, dass sie essen. Ein Gericht hat nun zu klären, wie die Verantwortung in diesen Fällen genau aussieht.

Unbestritten ist in all den Fällen, die HRW dokumentiert, aber auch, dass letztlich Gewalt zum Tod der Häftlinge geführt hat oder eine wesentliche Rolle dabei gespielt hat. Auch in der größeren Schau liefern die HRW-Zahlen Indizien für harte Verhältnisse:

Landesweit wurden in den staatlichen Gefängnissen 58 Prozent der Personen mit psychischen Störungen Regelverletzungen vorgeworfen. Unter denen, die diese Probleme nicht haben, waren es nur 43 Prozent. In New York City stellen psychisch erkrankte Insassen 40 Prozent aller Häfltinge, sind aber in 60 Prozent aller Vorkommnisse von Fehlverhalten verwickelt.

Es seien mehrere Gerichtsverfahren am Laufen, angestrengt teilweise auch vom Justiziministerium, die Menschenrechtsverletzungen und strafrechtlichen Vergehen - Gewalt gegen Häftlinge ist laut US-Verfassung und internationale Menschenrechte nur in Notfällen und niemals als Strafe zugelassen - auf der Spur sind, heißt es im Bericht.

Kein geschultes Personal, keine eigenen Abteilungen, überfüllte Gefängnisse

Eine entscheidende Veränderung wäre aber erst dann in Gang gesetzt, wenn Gegenmaßnahmen zur Überforderung des Gefängnispersonals getroffen würden. Die hat mehrere Ursachen, nicht nur das Fehlen einer psychologisch geeigneten Ausbildung, um in schwierigen Situationen den richtigen Zugang zu finden, um zu deeskalieren.

Eine davon ist die Überfüllung der Gefängnisse, eine weitere, dass Gefängnisse in den allermeisten Fällen keine Abteilung haben, um psychisch Erkrankte zu behandeln oder ihnen eine einfach nur eine andere Unterbringung zur Verfügung zu stellen. Auch fehlen Ärzte und Fachkräfte.

Die Gefängnisse übernehmen nach der Schließung psychiatrischer Krankenhäuser Aufgaben, denen sie bei weitem nicht gewachsen sind, so das Fazit des HRW.

Während der Anteil von Menschen, die an den oben genannten schwereren psychischen Erkrankungen leiden, in der Welt draußen laut der Menschenrechtsorganisation in den USA auf 4,1 Prozent beziffert wird, liegt er in US-Haftanstalten bei mindestens zwischen 8 und 19 Prozent, bei einzelnen Gefängnissen sogar zwischen 20 und 40 Prozent.