USA: Probleme mit der Wirklichkeit in Syrien

Das Rukban-Flüchtlingslager. Screenshot Video/YouTube

In der US-"Einflusszone" im Südwesten droht 50.000 Personen im Flüchtlingslager Rukban eine humanitäre Katastrophe. Jordanien will nicht helfen. Wie es aussieht, ist man auf Damaskus angewiesen

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Der US-Journalist Sam Heller ist kein Freund von Baschar al-Assad oder Wladimir Putin. In einfache Lagerschablonen ist seine Kritik etwa am magischen Denken der Unterstützer der syrischen Opposition, welche die Dominanz der Dschihadisten völlig falsch einschätzten, nicht unterzubringen und damit abzutun.

Heller spricht stets vom "syrischen Regime" und nur selten, wenn überhaupt von der syrischen Regierung, seine Sympathien liegen woanders. Seine Kritik am US-amerikanischen Vorgehen in Syrien ist auch nicht mit dem Etikett "Anti-Amerikanismus" zu erledigen. Wo er präzise argumentiert, trifft er wunde Punkte.

Die große Strategie

In seinem aktuellen Bericht demonstriert er an einem Ausschnitt exemplarisch das große Problem, das die USA in Syrien haben: Es ist ein Problem mit der Wirklichkeit am Boden, die nicht kongruent ist mit den großen Schachbrett-Vorstellungen. Laut Heller kursieren in Washington Pläne, wonach die USA und ihre Verbündeten "das Assad-Regime" wie auch Russland mit wirtschaftlichen Hebeln zu einem politischen Übergangsprozess in Syrien zwingen könnten, der letztlich Assad aus seinem Amt entfernt.

Dieser Grand Strategy, in der die USA die Führungsrolle spielen wollen und Institutionen wie die Weltbank für eine Blockade- und Isolationspolitik vereinnahmt werden sollen, stellt Heller ein desillusionierendes Scheitern schon in einem begrenzten Gelände gegenüber. Es geht um den Südosten Syriens, wo die USA in al-Tanf (auch al-Tanaf geschrieben) einen Posten haben.

Die "55-Kilometer Pufferzone" mit Kontrollhoheit

Der syrische Ort liegt in der Nähe der Grenze zum Irak und zu Jordanien. Interessierten ist er vielleicht noch in Erinnerung, weil es im Umkreis von al-Tanf im Frühsommer dieses Jahres zu Vorfällen kam, die international Aufsehen erregten: Die US-Luftwaffe griff dort, also auf syrischem Boden, zwei Mal schiitische Milizen an, die mit der Regierung in Damaskus verbündet waren. In der Folge kam es auch zu einem verbalen Konflikt mit Russland, der erneut vor Augen führte, dass eine Eskalation möglich ist (siehe: US-Luftangriffe auf syrische Truppen und USA greifen erneut schiitische Milizen an).

Im Zentrum des Streits stand eine Schutzzone auf syrischem Boden, welche die USA für sich geltend machten. Wie die russisch-amerikanischen Vereinbarungen dazu genau aussehen, ob es sie überhaupt gibt, wissen verlässlich wohl nur Insider, die mit den Verhandlungen zwischen Moskau und Washington vertraut sind. In Berichten kursieren unterschiedliche Angaben. So schreibt Heller etwa von einer "55-Kilometer-Zone", in die nach Vorstellung der Amerikaner keine mit der syrischen Regierung verbündeten Milizen eindringen sollten.

Einem Bericht von Ha'aretz zufolge, wo es um das gleiche Problem geht - eine Pufferzone, die schiitischen Milizen auf Abstand zur Grenze halten soll -, sind bei den Golanhöhen, also weiter westlich, 5 bis 10 Kilometer "vereinbart". Auch hier ist die Verlässlichkeit der Informationen nicht unbedingt gewährleistet.

Es ist daher wenig erstaunlich, wenn Russland, wie schon geschehen, solche Abmachungen mit dem Hinweis dementiert, dass es sich um syrisches Terrain handele und Russland darüber gar nicht entscheiden könne. Die Crux bei diesen geheimen Abmachungen ist, dass deren Wirklichkeitsgehalt für Außenstehende nicht zu ermitteln ist.

Das Scheitern der militärischen Strategie ...

Fakt ist aber, dass die USA mit einem wichtigen Vorhaben gescheitert sind. Sie wollten mit Hilfe von verbündeten Milizen im Südosten Syriens eine Verbindung zwischen schiitischen Milizen auf syrischem und irakischem Gebiet verhindern. Doch wurde dieser Plan schon vor Wochen durchkreuzt, als schiitische Milizen in Syrien den Weg zum wichtigen Übergang Albu Kamal abschnitten. Durch die Eroberung von Albu Kamal am vergangenen Wochenende ist diese Absicht nun vollkommen vereitelt.

... und das humanitäre Versagen im Rukban Camp

Sam Heller macht in seinem Artikel nicht hauptsächlich auf dieses Scheitern aufmerksam, sondern auf ein ganz anderes Versagen. In der von den USA beanspruchten Pufferzone befindet sich ein Flüchtlingslager, das Rukban Camp. Dort halten sich laut Heller etwa 50.000 Personen auf, denen eine humanitäre Katastrophe droht, wie die UN-Behörde für die Koordinierung von Nothilfe Ende Oktober warnte.

Das Lager, das sich im Niemandsland an der jordanischen Grenze befindet, wird laut Heller von einem eigenartigen Mix an Personen bewohnt. Einmal ist die Rede von syrischen Binnenflüchtlingen, die vor dem IS geflohen sind, dann aber auch von IS-Familien und an anderer Stelle wird man hellhörig, weil auch von IS-Kämpfern die Rede ist, die dort untergebracht sind.

Das deutet schon an, dass diese dort einiges zu melden haben, um es gelinde auszudrücken. Jedenfalls dürften sie bei Verteilungskämpfen, wenn es um Hilfslieferungen geht, nicht die Schwächsten sein. Aber vor allem drängt sich die Möglichkeit auf, dass hier IS-Schläferzellen Unterschlupf finden, dass das Lager eine Rückzugsbasis von IS-Kämpfern ist.

Jordanien weigert sich aus diesen Gründen, über notdürftige Hilfe hinaus mehr für das Camp zu tun, man hat Wasserleitungen in der Nähe verlegt, so Heller. Da sei mehr oder weniger schon alles. Er akzentuiert das Thema "IS-Kämpfer" nicht weiter, für ihn steht die Versorgung der großen Menge an Menschen, vor allem Frauen und Kinder, die dort leben, im Vordergrund. Zumal viele nach Aussagen, die er zitiert, vor den Schlächtern des IS aus ihren Dörfern geflohen sind.

Hilfe aus Damaskus

Wie es derzeit aussieht, so betont Heller mehrmals im Bericht, ist das Lager bei der Versorgung auf Hilfe aus Damaskus angewiesen. Dies wurde von den USA allerdings bislang verweigert, wie bei der russischen Nachrichtenagentur Tass zu erfahren ist. Laut der Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa hätten die USA den Zugang zum Lager für Hilfskonvois, welche die syrische Regierung und Hilfsorganisationen schicken wollten, abgelehnt. Die Meldung stammt vom 12. Oktober.

Hellers Schluss, den er aus der gegenwärtigen Situation zieht: Die USA, die das Gebiet - aufgrund eigener Ansprüche gegen den Willen der syrischen Regierung - kontrollieren, schaffen es nicht, ihren engsten Verbündeten an Ort und Stelle, nämlich Jordanien, dazu zu bewegen, notwendige humanitäre Hilfe zu leisten. Stattdessen sind sie nach Stand der Dinge darauf angewiesen, die syrische Regierung um Hilfe zu bitten.

Das lasse daran zweifeln, ob die USA tatsächlich einen Sinn für die Wirklichkeit in Syrien haben. Fakt sei, dass sie die Versorgung der Zehntausenden von Hilfsbedürftigen nicht schaffen.

In Ruknam gibt es Fakten, die nicht konform gehen mit den ambitionierten politischen Projekten. Sie sind für die Vereinigten Staaten offen gesagt peinlich. Niemand ist von einer unverletzlichen 55-Kilometer-Zone beeindruckt, die von der stärksten Armee der Welt verteidigt wird, die in der Wirklichkeit am Boden voll ist mit Tausenden von verarmten, abgemagerten Frauen und Kindern.

Sam Heller

Ähnliches Muster beim Partner Saudi-Arabien

Das ist zugespitzt - auch angesichts dessen, was Heller sonst über die Lagerinsassen schreibt -, trifft aber einen Kern. Ähnliches und noch sehr viel Drastischeres kann man auch zu den großen politischen Machtprojekten Saudi-Arabiens sagen. Im Jemen, wo das Land einen Krieg über Herrschaftsansprüche gegen den "Feind Iran" führt, droht 50.000 Kindern der Hungertod, wie der Independent kürzlich berichtete.

Über die Zahlen zur Katastrophe, für die Saudi-Arabien maßgeblich Verantwortung trägt - man hält an der Blockade fest trotz der Versuche der UN, Hilfslieferungen zu ermöglichen - kann man möglicherweise streiten, nicht aber über die Katastrophe selbst. Es zeigt sich ein Muster der Gnadenlosigkeit einerseits und des Scheiterns politischer Absichten andrerseits.

Beim Krieg im Jemen kann man nicht von einem militärischen Erfolg der Saudis sprechen. Auch an der anderen Front zur Ausweitung des eigenen Einflusses gegen Iran ist kein Erfolg zu vermelden: Die Hizbollah im Libanon zu entwaffnen oder zumindest ihren Einfluss und damit Irans einzudämmen, gelingt nicht.

Das "große Machtspiel" zeigt vor allem bittere Härten beim Umgang mit der Wirklichkeit, die sich nicht den eigenen Wünschen beugt.