USA vor der Wahl: "Be ready for anything"
2020 haben die Amerikaner über 15 Millionen Schusswaffen gekauft, fast doppelt so viel wie 2019. Jeder fühlt sich gefährdet
Donald Trump hat es wie schon 2016 geschafft, die Präsidentschaftswahl spannend zu machen. Es sind nur noch wenige Tage, die nicht nur darüber entscheiden, ob ein Machtwechsel im Weißen Haus stattfindet, sondern auch, ob im Land Unruhen und Proteste aufkommen, weil die jeweilige Verliererseite von Wahlbetrug ausgehen und das Ergebnis womöglich nicht akzeptieren wird. Die Hälfte der Amerikaner erwartet Gewalt nach dem Wahltag.
Unsicherheit herrscht, ob Trump eine Niederlage akzeptieren würde, man kann davon ausgehen, dass er dann rechtlich alle Hebel in Bewegung setzen wird, um das Wahlergebnis anzufechten. Die gerade von ihm im Supreme Court kurz vor der Wahl mit einer knappen republikanischen Mehrheit im Senat durchgesetzte Amy Coney Barrett könnte dann schon Entscheidungen des Obersten Gerichts zu seinen Gunsten treffen. Der Senat war gespalten, mit Ausnahme von Susan Collins stimmten alle republikanischen Senatoren für sie, alle 47 demokratischen gegen sie. Es gab wie sonst meist keine abweichende Stimme aus dem Lager der Minderheit, das Ergebnis war so knapp wie noch nie. Mit Barrett haben die Konservativen eine Mehrheit von 6:3 im Supreme Court, das wird das Land noch lange Zeit bei entscheidenden Fragen konservativ prägen, egal wer gerade Präsident(in) ist. Möglicherweise auch die Auslegung des Zweiten Verfassungszusatzes, der verbietet, das Recht auf Waffenbesitz einzuschränken.
Die Spaltung entspricht der Stimmung im Land. Auch im Wahlkampf spielt keine andere Partei und kein anderer Präsidentschaftskandidat eine Rolle, wie dies bei Jill Stein von den Grünen 2016 der Fall war. Für sie stimmten 2016 1,2 Millionen, das sind zwar auch nur 1 Prozent aller Wähler, aber das könnte auch schon Hillary Clinton geschadet haben, nachdem die Stimmen für den grünen Ralph Nader in Florida wahrscheinlich zugunsten von George W. Bush gewirkt haben. Dazu kam, dass Gary Johnson, der Präsidentschaftskandidat der libertären Partei 4,5 Millionen Stimmen oder mehr als drei Prozent. So marginal das ist, bei dieser Wahl herrscht Alternativlosigkeit: Trump oder Biden.
Vor allem nach der Wahl von Barack Obama hatten sich die Amerikaner wieder stärker mit Schusswaffen aufgerüstet, nachdem Ende der 1980er und während der 1990er Jahre der Anteil der Schusswaffenbesitzer von 45 Prozent (1980) auf 32 Prozent (2015) gesunken war. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede. So sind 63 Prozent der Einwohner von Montana Waffenbesitzer, aber nur 9 Prozent in Illinois. Auch wenn der Anteil der Waffenbesitzer gesunken ist, so haben sich diese oft mehrere Waffen zugelegt, ein Drittel der Waffenbesitzer hat mehr als 5 Schusswaffen. Mit geschätzten 120 Schusswaffen auf 100 Personen sollen so, Stand 2017, über 393 Millionen Schusswaffen in den USA unter den Zivilisten vorhanden .sein. Waffenbesitzer sind mehrheitlich Männer, weiß, Republikaner und konservativ.
Mehr Schwarze und mehr Frauen bewaffnen sich
Nach 9/11 stieg erst einmal wieder die Zahl der Waffenbesitzer an. Unter Obamas Präsidentschaft radikalisierten sich die republikanisch Gesinnten (Tea Party Bewegung), aber auch die Rechtsnationalen, die gerne auch in Milizen tätig sind, um das Recht auf Schusswaffen und ihre persönliche Freiheit zu verteidigen. Schusswaffen wurden wegen der sich häufenden Amokläufe gekauft, vor allem aber aus Sorge, dass der demokratische Präsident den Verkauf von Schusswaffen beschränken könnte. Jedenfalls zeigen Statistiken, dass jeweils vor Präsidentschaftswahlen die Zahl der Haushalte mit Schusswaffen ansteigt. Nach einer Gallup-Umfrage sollen 30 Prozent der Erwachsenen mindestens eine Schusswaffe besitzen (Immer mehr Schusswaffen, aber weniger Besitzer).
Mit Beginn des Wahljahrs stiegen die Waffenkäufe in den USA an, verstärkt durch die Coronaviruspandemie und die durch die Black Lives Matter angestoßenen Proteste sowie Ängste, dass Trump das Kriegsrecht ausrufen könnte, aber auch vor zunehmender Polizeigewalt. Schon im März wurde deutlich, dass sich ein Boom andeutet: "Ammo"-Nation USA. Im Sommer wurde anhand der Hintergrundüberprüfungen deutlich, dass der Trend weitergeht, bis September registrierte das FBI seit Januar jeweils um die 3 Millionen Hintergrundchecks im Monat. Bis Sommer sollen es bereits 2,5 Millionen Erstkäufer gegeben haben (Guns 'n Protests).
In diesem Jahr haben die Amerikaner bis September über 15 Millionen Schusswaffen gekauft, 91 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2019. Allein im September sollen nach Trace 1,92 Millionen Schusswaffen gekauft worden sein - 1,2 Millionen Handfeuerwaffen und 700.000 Gewehre. Man nimmt an, dass sich mehr Schwarze und mehr Frauen bewaffnen und allgemein mehr Personen erstmals eine Schusswaffe kaufen. Und je mehr das Land mit Waffen gesättigt wird, desto mehr wird auch geschossen, weil man vor den anderen Menschen Angst hat, die eine Waffe ziehen könnten, desto mehr Waffen werden gekauft werden und desto größer wird die Angst oder der vermeintliche Zwang zur Selbstverteidigung. Eine absehbare Spirale des "Be ready for anything".
Ein Reporter der New York Times war auf der Nation's Gun Show in Virginia und berichtet von einer Frau, die sagte, sie habe Angst, in Richmond nach den Protesten als Schwarze unterwegs zu sein, da es viele Menschen gebe, die sich nicht freuen, wenn Konföderierten-Denkmäler gestürzt werden: "Andere Einkäufer sagten, sie hätten eine Waffe gekauft, weil sie in Sorge seien, welche Folgen die Forderungen, die Polizei nicht mehr zu finanzieren, haben werden. Manche sagten, sie hätten wegen der Polizei Angst. Manche fürchteten, dass Joseph R. Biden Präsident werden könnte. Andere fürchteten vier weitere Jahre mit Präsident Trump." Ein Land, in dem jeder Angst vor seinen Mitmenschen hat, nicht wehrlos sein will, selbst für Ordnung sorgen soll, weil das Vertrauen in den Staat, das politische System und die Sicherheitsbehörden nicht vorhanden ist.