Ukraine: Der Globale Süden und der ohnmächtige US-Hegemon

Seite 2: Schwächung der USA im globalen Kräfteverhältnis

Als sich eine Delegation aus sechs afrikanischen Staaten, darunter Südafrika, darauf vorbereitete, am 16. Juni Moskau und Kiew zu besuchen, um Möglichkeiten für einen Frieden auszuloten, forderten führende Außenpolitiker des US-Kongresses in einer überparteilichen Erklärung, Südafrika für seine angebliche Unterstützung Russlands zu bestrafen. Um ihre Forderungen zu erfüllen, müsste Südafrika die US-Sanktionen gegen Moskau vollständig erfüllen.

Hill ist nicht die Einzige, die den im Fall der Ukraine sich andeutenden Rückgang des globalen US-Einflusses konstatiert, auch wenn andere ihre politischen Empfehlungen auf andere Art formulieren. Cliff Kupchan, Analyst für globale Risiken, vertritt die Ansicht, dass sechs Länder des Globalen Südens über die Zukunft der Geopolitik entscheiden werden, und forderte die US-Politiker auf, sich auf Indien, Brasilien, die Türkei, Indonesien, Saudi-Arabien und Südafrika zu konzentrieren, "um eine erhebliche Schwächung der Position der USA im globalen Kräfteverhältnis zu verhindern".

Im Gegensatz dazu stellen zwei Wissenschaftler aus der Schweiz und Österreich fest, dass "der derzeitige Krieg um die Ukraine in etwa zwei Dritteln der Welt zu einer neutralen Politik geführt hat", und fordern, dass Neutralität nicht verurteilt, sondern als unvermeidlicher Teil eines jeden Konflikts zwischen Staaten anerkannt werden sollte.

Sie weisen das Argument zurück, dass "der guten Seite in einem epischen Kampf zwischen Gut und Böse nicht zu helfen, gleichbedeutend damit ist, selbst Böses zu tun". Stattdessen kann und sollte ein proaktives Engagement von neutralen oder bündnisfreien Parteien so gestaltet sein, dass die tatsächlichen Interessen der jeweiligen Konfliktparteien sowie Menschenrechtsverletzungen angegangen werden.

Die Weigerung, zwischen konkurrierenden Großmächten Partei zu ergreifen, zeigt sich auch in Südostasien, wo man davon ausgehen kann, dass die Konkurrenz zwischen den USA und China am stärksten spürbar ist. Doch wie der ehemalige leitende Diplomat Singapurs, Kishore Mahbubani, in einem kürzlich erschienenen Artikel in Foreign Affairs feststellte, hat sich der Verband Südostasiatischer Nationen (Asean) für eine Zusammenarbeit sowohl mit China als auch mit den Vereinigten Staaten entschieden.

Alle zehn Asean-Mitgliedsstaaten beteiligen sich an Chinas "Belt and Road"-Initiative [Neue Seidenstraße] zum Aufbau von Infrastrukturen, obwohl die USA eine energische Kampagne dagegen führen. Andererseits gehören der Asean zwei militärische Verbündete der Vereinigten Staaten an, die Philippinen und Thailand. Und die meisten anderen Asean-Mitglieder, darunter Vietnam, "begrüßen im Stillen die militärische Präsenz der USA als Gegengewicht zu China".

In den USA wird Madeleine Albrights Behauptung vor 25 Jahren, die Vereinigten Staaten seien die "unverzichtbare Nation", immer noch weitgehend geteilt. Eine breite Anerkennung des Niedergangs der US-amerikanischen Hegemonie wird sich dort in nächster Zeit wohl nicht durchsetzen.

In der Praxis werden die politisch Verantwortlichen in den USA jedoch wahrscheinlich die Realität akzeptieren müssen. Die meisten Entwicklungsländer, einschließlich der aufstrebenden Staaten im Globalen Süden, sind nicht mehr bereit, eine schädliche Entweder-oder-Entscheidung zwischen den Vereinigten Staaten und ihren geopolitischen Rivalen zu treffen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.