Ukraine-Konflikt: Mehr Ehrlichkeit, weniger Empörung, bitte!

Seite 2: Ist Putin wahnsinnig?

Nachvollziehbar also, dass der Konfliktforscher Christian Hacke in einer Ad-hoc-Analyse für Telepolis schrieb, mit der "faktischen Annexion von Teilen der ostukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk" habe sich Russland "vermutlich endgültig gegen den Westen und für ein strategisches Bündnis mit China entschieden".

Man kann es sich nun bequem machen und Putin, wie es der niederländische Premier Mark Rutte unlängst tat, als "wahnsinnig" bezeichnen. Die Bild würde (und wird womöglich) vom "Irren aus Moskau" schreiben. Oder man setzt sich mit dem eigenen Anteil an der Eskalation auseinander – und damit auch mit der Frage, weshalb der deutschen Diplomatie die Diplomaten ausgegangen sind.

Krieg im Donbass (12 Bilder)

Ein Infanteriepanzer in der Nähe der Ruinen des internationalen Flughafens Donezk (2015). Bild: Mstyslav Chernov / CC-BY-SA-4.0

Fakt ist, dass die Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht nur eine Schimäre ist – sie ist das brennende Streichholz am Pulverfass. Wer angesichts der absehbaren Ereignisse dieser Woche nicht zur Besinnung kommt und Wege aus der Krise zu ebnen versucht, statt sie weiter zu verminen, wird Wladimir Putin in die Hände spielen, den Hegemonialkrieg um Eurasien befeuern und mit zum Totengräber des Friedens in Europa werden.

Es waren keine Russland-Freunde, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wiederholt vor den Folgen einer so unbedachten wie unkontrollierten Osterweiterung der Nato gewarnt haben. Der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski etwa, ein ausgemachter Gegner der Sowjetunion und des postsowjetischen Russlands, sagte 2015 im Spiegel:

Es braucht ein ähnliches Arrangement wie jenes zwischen Russland und Finnland, das seit Jahrzehnten für Stabilität und Frieden sorgt. Die Ukraine sollte das Recht haben, ihre politische Identität frei zu wählen und sich enger an Europa zu binden. Gleichzeitig muss Russland versichert werden, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird. Das ist die Lösungsformel.

In der aktuellen Stimmung würde Brzezinski als "Putin-Versteher" gelten. Und das ist Teil des Problems.