Ukraine-Konflikt: Mehr Ehrlichkeit, weniger Empörung, bitte!

Maschinengewehr prorussischer Rebellen in der Nähe der Frontlinie in der Nähe von Dokuchaevsk, Ostukraine, Juni 2015. Bild: Mstyslav Chernov, CC BY-SA 4.0

Auch nach der Offensive Moskaus folgen westliche Regierungen weiter ihren Fehleinschätzungen und Illusionen. Dabei sollten sie den Rat eines US-Außenpolitikers beherzigen

Wer hat nun den schwarzen Peter, wer trägt die Verantwortung für die Eskalation an der Ostflanke der Nato? Putins Aufmarsch hebt die militärische Eskalation – die seit dem gewaltsamen Regierungssturz 2014, dem Wiederanschluss der Krim an Russland und dem späteren Separatistenkrieg im Osten der Ukraine immer neue Höhepunkte erreicht – auf eine neue Stufe. Im Westen herrscht über den aggressiven Akt Moskaus helle Empörung.

Konflikt mit Russland: US-Armee in der Ukraine (18 Bilder)

Ukrainische Soldaten führen Luftangriffstraining durch. Bild: U.S. Army Europe, 2016

Je schriller die Töne, je moralischer die Aburteilung des Putin’schen Machiavellismus, desto offensichtlicher aber scheint die Hilflosigkeit und Hybris des Westens durch. Sicher, nun werden Sanktionen folgen, mit denen der russischen Wirtschaft Schaden zugefügt werden soll, um die Stimmung in Russland gegen den amtierenden Langzeitpräsidenten zu schüren.

Und tatsächlich ist das militärische Vorgehen Russlands auf ukrainischem Staatsgebiet im eigenen Land nicht wohlgelitten. Zu eng sind die kulturellen und familiären Bande zwischen beiden Staaten, zu groß die alltäglichen Sorgen der Menschen in der Russischen Föderation.

Um die Eskalation zu verstehen, muss man aber das oft medial und politisch zurechtgestutzte Ganze sehen. Wenn dem Kremlchef jetzt etwa unterstellt wird, er habe die Minsker Abkommen zu Grabe getragen, dann grenzt das an eine geradezu antiintellektuell anmutende Ignoranz der politischen Geschehnisse der vergangenen Wochen.

Kiew-Hardliner gegen Minsk-Abkommen

Tatsächlich stand Kiew in diesem Zeitraum unter massivem und zunehmendem Druck von Hardlinern wie dem Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksiy Danilow. Dieser, so berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press noch vor drei Wochen, "warnte den Westen davor, das Land zu zwingen, ein von Frankreich und Deutschland vermitteltes Friedensabkommen für die Ostukraine zu erfüllen".

Ähnlich, wenn auch diplomatischer, formulierte es der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba inmitten der "Suche nach einer diplomatischen Lösung" im Beisein seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen). Es werde "keinen direkten Dialog seiner Regierung mit den prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine geben".

Die Pointe – wenn auch keine gute – ist, dass es das Zusammentreffen mit dem Separatisten nun wohl doch geben wird. Nur eben nicht am Verhandlungstisch, wie im Minsk-Prozess vorgesehen, sondern an der Front. Ein Erfolg für die deutsche und unionseuropäische Außenpolitik ist das nicht.

Dass das nicht gesehen wird, ist Ausdruck des kollektiven westlichen Selbstbetrugs, der sich gleichwohl im Blick auf die Weltlage widerspiegelt. Die Allianz zwischen Moskau und Beijing sei "nicht ganz so fest, wie es den Anschein hatte", frohlockte der außenpolitische Redakteur der Faz, Nikolas Busse, nach der Münchener Sicherheitskonferenz, um über "Chinas Stoppschild für Putin" zu titeln.

Nun ist das mit dem Schildern so eine Sache: Man muss sie auch verstehen können. Im Fall der chinesisch-russischen Beziehungen und angesichts des russischen-westlichen Zerwürfnisses sind die Verständnisprobleme offensichtlich.

Wenige Tage nach betreffender Sicherheitskonferenz und Faz-Analyse war das chinesische Stoppschild offenbar abgebaut. Zur Dringlichkeitssitzung im UNO-Sicherheitsrat jedenfalls hieß es lediglich, China habe "alle Beteiligten an der Ukraine-Krise zur Zurückhaltung" aufgerufen.