Ukraine-Krieg: 51.000 russische Gleitbomben seit Beginn
Russland rüstet aktuell bei Gleitbomben massiv auf: 165 Kilometer Reichweite und größere Zielpräzision. Die neue Version übertrifft einiges, was bisher möglich war.
Die russischen Streitkräfte haben ihre Luftkriegsführung in der Ukraine weiter intensiviert. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe – deren Informationen aufgrund ihrer Rolle als Kriegspartei jedoch kritisch zu betrachten sind – wurden seit Kriegsbeginn über 51.000 Gleitbomben eingesetzt.
Besonders alarmierend ist die massive Steigerung der Angriffe: Allein für das Jahr 2024 gelang es den russischen Fliegertruppen, etwa 40.000 Bomben und damit im Durchschnitt 110 Stück pro Tag einzusetzen, wie Reuters aktuell berichtet.
Höhere Reichweite, präziser und schneller
Zusätzlich berichtet das Fachportal Bulgarian Military von der Entwicklung einer weiteren Version des Rüstsatzes: des Universellen Planungs- und Korrekturmoduls (UMPK-P). Das neue System würde es russischen Bombern ermöglichen, ihre Ziele aus einer bisher unerreichten Entfernung von bis zu 165 Kilometern anzugreifen – und das mit einer Präzision, die bislang nur deutlich teureren Waffensystemen vorbehalten war.
Die modifizierten Bomben mit UMPK-P sollen dabei Geschwindigkeiten von bis zu 0,9 Mach erreichen, was sie zu besonders schwer abzufangenden Zielen machen würde.
Das soll durch eine zusätzliche Doppeldecker-Konstruktion ermöglicht werden. Diese würde als ein zusätzliches Gleitfahrzeug fungieren, in die der bisherige UMPK-Gleitrüstsatz mit seinen Faltflügeln integriert wird.
Der Doppeldecker würde die Bombe etwa 100 bis 130 Kilometer weit tragen, danach würde das Doppeldecker-Gleitfahrzeug abgesprengt werden und die Bombe würde ihren Flug mit dem bisherigen Gleitrüstsatz fortsetzen, was der Bombe weitere 25 bis 35 Kilometer Reichweite geben würde.
Ausgestattet mit einem einfachen Pulstriebwerk, einem Booster oder einem anderen Raketentriebwerk, könnte die UMPK-P möglicherweise sogar eine Reichweite von 250 bis 300 km erreichen.
Bisher sollen die aktuellen russischen Gleitbomben in den neuesten Versionen, die über eine größere Spannweite verfügen, auf 85 Kilometer Reichweite kommen.
Bulgarian Military betont, dass das neue System das Risiko für die Besatzungen erheblich reduzieren würde, da die Kampfflugzeuge damit außerhalb der Reichweite der meisten ukrainischen Luftabwehrsysteme operieren können.
Auswirkungen im Krieg
Die Auswirkungen des massenhaften Einsatzes der Gleitbomben zeigen sich in dem weiteren Vorrücken der russischen Armee, denn die russischen Streitkräfte können so auch stark befestigte Positionen der ukrainischen Verteidiger systematisch ausschalten.
Die hohe Präzision und destruktive Wirkung der gelenkten Bomben hat in den vergangenen Monaten zu einer stetigen Schwächung der ukrainischen Verteidigungslinien geführt, insbesondere im Donbass, dem Osten des Landes.
Die am stärksten betroffenen Gebiete sind dabei die unmittelbaren Frontregionen sowie die an Russland grenzenden Gebiete, denn die russischen Bomber bringen die Bomben über dem eigenen Territorium gegen ukrainische Frontstellungen zum Einsatz, außerhalb der Reichweite der ukrainischen Luftabwehr.
Gegenmaßnahmen
Dabei sehen ukrainische Militärexperten in der gezielten Bekämpfung der russischen Luftwaffenstützpunkte und Trägerflugzeuge den einzigen effektiven Weg, dieser Bedrohung zu begegnen.
Dies erweist sich jedoch als zunehmend schwierig, da die dann nochmals erweiterte Reichweite des neuen UMPK-P-Konzeptes es den russischen Streitkräften ermöglichen würde, ihre Flugzeuge noch weiter außerhalb der Reichweite ukrainischer Luftabwehrsysteme zu operieren.
Wirtschaftlichkeit und Destruktivität
Der entscheidende Vorteil der Gleitbomben liegt in ihrer Kosteneffizienz: Sie sind deutlich günstiger als ballistische Raketen oder Marschflugkörper und können in großer Stückzahl produziert werden.
Das UMPK-System ermöglicht es der russischen Luftwaffe nämlich, ältere Bombenbestände, Freifallbomben aus der Sowjetära, durch relativ einfache Modifikationen in moderne Präzisionswaffen umzuwandeln.
Eine dieser älteren Freifallbomben ist die OFZAB-500. Wie die ukrainische Defence Express berichtet, werden diese Bomben seit April des vorigen Jahres zusätzlich mit UMPK-Kits zu Präzisionswaffen aufgerüstet.
Diese 500-Kilogramm-Bombe enthält die thermobare Mischung OM-100MI-3L und kann damit extreme Temperaturen von 1.500 bis 2.000 Grad Celsius und eine verheerende Druckwelle erzeugen. Ihre "Feuerwolke" kann in Schutzräume eindringen und selbst befestigte Stellungen zerstören.
Der erste dokumentierte Einsatz dieser Waffe erfolgte bereits am 9. März 2022 in Tschernihiv, damals noch ohne Gleitrüstsatz.
Chinesische Komponenten?
Russland scheint für die Produktion der UMPK-Module dabei auf einen hohen Anteil nichtrussischer Komponenten zurückgreifen zu können. Das berichtet der ukrainische Blog dev.ua. Zudem würde ein zentrales Element der Steuerungsmechanik von einem chinesischen Hersteller zugeliefert.
Der ukrainische Aktivist Vadim Labas deckte nach Angaben von dev.ua auf, dass die chinesische Firma KST Digital Technology Limited unter falscher Verwendung des Namens des taiwanesischen Unternehmens TRC Servomotoren für den russischen Gleitrüstsatz herstellt.
Anfänglich verwendete Russland anscheinend unmodifizierte Servos aus der Automobilindustrie, die über verschiedene Zwischenfirmen beschafft wurden. Diese erwiesen sich jedoch als ungeeignet für den militärischen Einsatz – die Wellen brachen aufgrund der hohen Belastung durch die Flügel, und die Motoren waren der Beanspruchung nicht gewachsen.
Im Laufe des Jahres 2024 wurden die Komponenten optimiert, wobei einzelne Teile durch hochfeste Legierungen ersetzt und leistungsstärkere Motoren eingebaut wurden.
Übergang zur Massenproduktion: Verwendung von Komponenten
Eine Analyse vom Rumpf des UMPK-Gleitrüstsatzes im Frühjahr 2024 zeigte bereits den Übergang zur Massenproduktion: Während der Rumpf anfangs noch gefräst wurde, erfolgt die Herstellung nun im günstigeren Gussverfahren.
Bemerkenswert ist dabei, dass etwa 71 Prozent der verbauten Komponenten aus den USA und China stammen sollen. Das würde einmal mehr zeigen, dass die Sanktionen gegen Russland in ihrer Wirkung als begrenzt eingestuft werden müssen.
Zudem zeigt die Verwendung von Standard-Industrie-Komponenten, wie russische Ingenieure auf teure Spezialkonstruktionen zunächst verzichten und neue Waffensysteme, die sich als effektiv erweisen, aus improvisierten Technologie-Bausteinen zusammensetzen.
Das senkt sowohl die Entwicklungs- als auch die Produktionskosten erheblich und kann in einem Abnutzungskrieg als ein Schlüssel zum militärischen Erfolg angesehen werden, der nicht unterschätzt werden darf.
Weiterentwicklung der modernen Luftkriegsführung
Die Integration der UMPK-Technologie in die russische Kriegsführung markiert eine bedeutende Weiterentwicklung der modernen Luftkriegsführung. Die signifikante Steigerung der Einsatzzahlen im Jahr 2024 deutet darauf hin, dass Russland die Produktion dieser Waffensysteme sehr deutlich hochgefahren hat.
Diese Ausweitung der Produktion steht augenscheinlich mit dem beschleunigten Vorrücken der russischen Streitkräfte trotz der gut ausgebauten ukrainischen Verteidigungsstellungen im Donbass in Zusammenhang.