Ukraine-Krieg: Russland kann Kursk-Offensive strategisch aussitzen

Seite 2: Gefährliche Wette auf emotionale Reaktion in Moskau

Die ukrainische Führung hat eine gefährliche Wette darauf abgeschlossen, dass sich die russische Führung dazu hinreißen lässt, auf die Kursk-Offensive emotional und unüberlegt zu reagieren, in dem sie etwa Truppen von anderen Frontabschnitten nach Kursk verlegt oder zu einer drastischen, unangemessenen Maßnahme greift, einer Art Vergeltungsoperation, die dazu geeignet wäre, dem Ansehen Russlands außerhalb der Sphäre der westlichen Verbündeten zu schaden.

Die dort gelegene Sphäre, die nicht von den USA dominiert wird, ist elementar wichtig für die russische Rüstungsindustrie, nachdem der direkte Austausch mit westlichen Industriepartnern schwierig geworden ist.

Rechnung mit Gesichtsverlust für den Kreml

Die zugrunde liegende Überlegung war wohl, dass es für Russland eine Art "Gesichtsverlust" bedeuten würde, wenn russisches Mutterland von der Ukraine besetzt wird. Eine entsprechende flankierende Medienkampagne in den Medien des globalen Westens und in den vom Westen unterstützten russischsprachigen Medien wurde offensichtlich als Maßnahme im Informationsraum zur Kursk-Offensive gestartet.

Doch außerhalb dieses emotionalen Faktors hat das ganze durch die Ukraine eroberte russische Gebiet keinerlei militärisch-strategischen Wert. Die Ukraine hat Wälder, Felder und Dörfchen besetzt. Und von Wäldern, Feldern und Dörfchen – davon hat Russland eine ganze Menge.

Nur das Atomkraftwerk Kursk hat strategischen Wert

Russland braucht dieses von der Ukraine jetzt besetzt gehaltene Gebiet in keiner Weise, um seine militärischen Anstrengungen gegen die Ukraine fortsetzen zu können. Es befindet sich keinerlei Installation von strategischem Wert in dem besetzten Gebiet. Die Ukraine kann theoretisch ihren Einbruchsraum glatt verdoppeln, ohne dass auch nur in Ansätzen eine strategische Relevanz eintritt.

Nur das Atomkraftwerk Kursk hat strategischen Wert. Auf die Bedrohung hat die russische Führung jetzt mit dem Blitz-Bau eines kilometerlangen Panzergrabens reagiert, der das Atomkraftwerk abschirmt und das Vorrücken auf das Atomkraftwerk deutlich erschweren dürfte.

Die russische Führung kämpft methodisch und kühl berechnend. Es hat nicht den Anschein, dass sie emotional-patriotisch reagiert und dem Zurückerobern der verlorenen Gebiete bei Kursk eine große Priorität einräumt. Die hat es militärisch auch nicht. Die Kursk-Offensive der Ukraine kann Russland aus strategischer Sicht einfach aussitzen.

Dagegen kann man die Lage für die Ukraine bei Pokrowsk nur als katastrophal bezeichnen. Fällt die Stadt, so kann Kursk ein spiegelverkehrter Ausblick auf kommende russische Manöver tief in das Gebiet der Ukraine hinein sein.