Ukraine-Krieg: Wie die Fake-News-Rakete in Polen die Gefahr eines Globalkonfliktes aufzeigt
Seite 2: Irrsinnsfall nach Art. 5 des Nato-Vertrags
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Es ist beachtlich, in welchem Maße eine einzige fehlgeleitete Rakete – nach vorliegenden Informationen aus dem Arsenal der ukrainischen Luftabwehr – die Kopflosigkeit des kollektiven Westens und der Nato offenbart. Das Projektil des Typs S-300 war vor gut einer Woche auf dem Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebs im ostpolnischen Przewodów eingeschlagen.
Als sich der Rauch verzog, waren zwei Menschen tot, vor Ort blieb ein Krater. Die politischen Schockwellen aber reichten bis nach Washington – und hallen bis heute nach. Grund dafür sind massive Überreaktionen in Teilen des europäischen politischen Apparats und dem der Medien, die offenbar kein Halten mehr kennen.
Da war zunächst die Nachrichtenagentur Associated Press. Sie berichtete am vergangenen Dienstag kurz vor 20 Uhr unserer Zeit, es habe sich um ein russisches Geschoss gehandelt, das die Ukraine überquert habe und in Polen eingeschlagen sei. Die Quelle: ein "senior U.S. intelligence official", also ein ranghoher US-Geheimdienstbeamter.
Das alles wurde schnell auf Basis anonymer Angaben rausgehauen, ohne den journalistisch gebotenen Gegencheck, ohne Beleg. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Die US-Agentur meldete bar jeder gebotenen Prüfung den Angriff der Atommacht Russland auf das atomar gerüstete Militärbündnis Nato.
Erneut setzte sich eine potenziell verheerende Eskalationsspirale in Gang, in deren Verlauf sich Medien und Politik seit dem 24. Februar gegenseitig bestätigen. Dass die AP ihre Fake News später korrigierte, interessierte niemanden mehr.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki berief eine Dringlichkeitssitzung der Nato ein, europäische Medien meldeten, mit der inzwischen um sich greifenden perversen Lust an der Eskalation, Polen habe Militäreinheiten in Alarmstufe versetzt. Konsultationen nach Artikel 4 des Nordatlantikpaktes wurden auf Drängend Warschaus anberaumt; das ist die Vorstufe zum kollektiven Verteidigungsfall.
Doch schon als die Nato-Vertreter wenig später zusammenkamen, war klar, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte. Die Bestätigung kam aus den USA, dann auch von der Nato, die ja in der Regel Washington folgt.
Der seither folgende Irrsinn ist, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unbeirrt an der offensichtlichen Falschmeldung festhält, es habe sich um ein Projektil der russischen Armee gehandelt:
Nato-Territorium mit Raketen geschossen. ... Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit! Dies ist eine wirklich bedeutende Eskalation. Es gibt Handlungsbedarf.
Selenskyj in einer Videobotschaft in der Nacht vom 15. zum 16. November
Der ukrainische Präsident macht damit deutlich, dass den Darstellungen aus Kiew nicht zu trauen ist. Womöglich sogar, dass ein Interesse daran besteht, durch einen solchen Zwischenfall die Nato zu involvieren. In jedem Fall zeigt der Raketeneinschlag im polnischen Dorf Przewodów, dass in Europa und dem Westen Besonnenheit das höchste Gebot der Stunde sein sollte.
Artikel zum Thema:
Peter Nowak: Deutschland und die Ukraine: Wie sie lernten, die irregeleitete Rakete zu lieben
Claudia Wangerin: Raketeneinschlag in Polen: Wohl doch kein Nato-Bündnisfall
Thomas Pany: Nach Raketeneinschlag: Die Gefahr der Fehleinschätzungen
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