Ukraine-Krieg: Wie die Fake-News-Rakete in Polen die Gefahr eines Globalkonfliktes aufzeigt

Übung mit der US-Interkontinentalrakete LGM-30 Minuteman in den 1980er-Jahren. Bild: nara.getarchive.net

Themen des Tages: Bangen vor Entscheidung der Opec+. Karge Ergebnisse von COP27. Und der kollektive Irrsinn angesichts eines ukrainischen Raketeneinschlags in Ostpolen.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Die Energiekrise zeigt die Abhängigkeit von saudischen Produzenten. Da hilft auch keine Regenbogen-Armbinde.

2. In Deutschland werden Medikamente knapper. Der Markt regelt das so.

3. Eine Rakete kann politisch und medial mehr Schaden anrichten als militärisch.

Doch der Reihe nach.

Nach COP27: Zum Fonds für Verluste durch Klimawandel

Heute berichten wir noch einmal über eines der wenigen greifbaren Ergebnisse des UN-Klimagipfels im ägyptischen Scharm-El-Scheich. Die Sitzungen waren, wie Telepolis-Autorin Jutta Blume schreibt, mit knapp zwei Tagen Verlängerung zu Ende gegangen. "Das Resultat ist, wie berichtet, mager und in keiner Weise dazu geeignet, die Welt auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen", so Blume.

Als Durchbruch gilt die Einigung, dass ein Fonds für Schäden und Verluste durch den Klimawandel eingerichtet werden soll. In einer Presseerklärung der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) heißt es dazu:

Die Regierungen trafen die bahnbrechende Entscheidung, neue Finanzierungsvereinbarungen sowie einen speziellen Fonds einzurichten, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung von Verlusten und Schäden zu unterstützen.

Auf und Ab auf den Ölmärkten

Telepolis-Autor Bernd Müller widmet sich heute noch einmal der Politik des Erdöl-Kartells Opec. Die Allianz habe am Montag für Verwirrung an den Ölmärkten gesorgt: Ein Bericht des Wallstreet Journals (WSJ) ließ die Preise sinken, Äußerungen aus Saudi-Arabien ließen sie kurz darauf wieder steigen. Kurz vor der nächsten Tagung des Ölkartells OPEC+ nehme die Nervosität deutlich zu, so Müller:

Mit Spannung wird die nächste Tagung am 4. Dezember erwartet. Die Ungewissheit ist groß, ob das Kartell die Ölförderung ankurbeln oder weiter drosseln wird. Ersteres wird in Washington erwartet, sieht man doch in niedrigen Ölpreisen auf dem Weltmarkt einen Hebel, um Russland in die Knie zu zwingen.

Bernd Müller

Der Absturz von Deutschland als Pharma-Produzent

Das deutsche Gesundheitssystem, so Telepolis-Autor Christoph Jehle, ist bei Medikamenten und technischem Gerät stark vom Weltmarkt abhängig. Den Bedarf könne es nur zum Teil aus eigener Produktion decken – zu großen Teilen müssen sie zu Weltmarktpreisen eingekauft werden. Eine Folge davon sei, dass zahlreiche Medikamente in der Bundesrepublik nicht mehr erhältlich sind.

Die Zeiten sind lange vergangen, als der deutsche Markt noch einen besonderen Stellenwert für pharmazeutische Unternehmen hatte. Die Qualitätsanforderungen waren damals so hoch, dass galt: Was in Deutschland erfolgreich vermarktet werden kann, hat auch in anderen Ländern gute Chancen auf Erfolg.

Christoph Jehle

Irrsinnsfall nach Art. 5 des Nato-Vertrags

Es ist beachtlich, in welchem Maße eine einzige fehlgeleitete Rakete – nach vorliegenden Informationen aus dem Arsenal der ukrainischen Luftabwehr – die Kopflosigkeit des kollektiven Westens und der Nato offenbart. Das Projektil des Typs S-300 war vor gut einer Woche auf dem Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebs im ostpolnischen Przewodów eingeschlagen.

Als sich der Rauch verzog, waren zwei Menschen tot, vor Ort blieb ein Krater. Die politischen Schockwellen aber reichten bis nach Washington – und hallen bis heute nach. Grund dafür sind massive Überreaktionen in Teilen des europäischen politischen Apparats und dem der Medien, die offenbar kein Halten mehr kennen.

Da war zunächst die Nachrichtenagentur Associated Press. Sie berichtete am vergangenen Dienstag kurz vor 20 Uhr unserer Zeit, es habe sich um ein russisches Geschoss gehandelt, das die Ukraine überquert habe und in Polen eingeschlagen sei. Die Quelle: ein "senior U.S. intelligence official", also ein ranghoher US-Geheimdienstbeamter.

Das alles wurde schnell auf Basis anonymer Angaben rausgehauen, ohne den journalistisch gebotenen Gegencheck, ohne Beleg. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Die US-Agentur meldete bar jeder gebotenen Prüfung den Angriff der Atommacht Russland auf das atomar gerüstete Militärbündnis Nato.

Erneut setzte sich eine potenziell verheerende Eskalationsspirale in Gang, in deren Verlauf sich Medien und Politik seit dem 24. Februar gegenseitig bestätigen. Dass die AP ihre Fake News später korrigierte, interessierte niemanden mehr.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki berief eine Dringlichkeitssitzung der Nato ein, europäische Medien meldeten, mit der inzwischen um sich greifenden perversen Lust an der Eskalation, Polen habe Militäreinheiten in Alarmstufe versetzt. Konsultationen nach Artikel 4 des Nordatlantikpaktes wurden auf Drängend Warschaus anberaumt; das ist die Vorstufe zum kollektiven Verteidigungsfall.

Doch schon als die Nato-Vertreter wenig später zusammenkamen, war klar, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte. Die Bestätigung kam aus den USA, dann auch von der Nato, die ja in der Regel Washington folgt.

Der seither folgende Irrsinn ist, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unbeirrt an der offensichtlichen Falschmeldung festhält, es habe sich um ein Projektil der russischen Armee gehandelt:

Nato-Territorium mit Raketen geschossen. ... Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit! Dies ist eine wirklich bedeutende Eskalation. Es gibt Handlungsbedarf.

Selenskyj in einer Videobotschaft in der Nacht vom 15. zum 16. November

Der ukrainische Präsident macht damit deutlich, dass den Darstellungen aus Kiew nicht zu trauen ist. Womöglich sogar, dass ein Interesse daran besteht, durch einen solchen Zwischenfall die Nato zu involvieren. In jedem Fall zeigt der Raketeneinschlag im polnischen Dorf Przewodów, dass in Europa und dem Westen Besonnenheit das höchste Gebot der Stunde sein sollte.

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