Ukraine: Metal - Alternative oder Apokalypse?
- Ukraine: Metal - Alternative oder Apokalypse?
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Fasziniert vom Nation Building und beschäftigt mit der ukrainischen Selbstfindung
Um eine Metalband gründen zu können, sind neben dem Willen, selbst kreativ zu werden, und den entsprechenden Fähigkeiten an den Instrumenten auch die Technologie und das Equipment notwendig, ohne die eine Sound-Erzeugung schlicht unmöglich bliebe. Um Metalmusik nicht nur schreiben, sondern auch in entsprechender Qualität aufnehmen zu können, benötigt es die dafür notwendige Infrastruktur und vor allem auch Kapital.
Infolge der Globalisierung, auch der Metalmusik, rücken die Peripherien der internationalen Musikszene zunehmend in den Fokus der westeuropäischen und nordamerikanischen Fachpresse. Vorwiegend geht es in den Interviews um neue Veröffentlichungen der entsprechenden Bands. Liegen aktuelle Situationen oder Ereignisse von öffentlichem Interesse vor, so werden eine bis zwei Fragen auch diesen Themen gewidmet.
Metalmusik entsteht jedoch nicht in einem kulturellen Vakuum. Das Milieu nimmt durchaus Einfluss, vermengt sich aber mit internationalen Mustern: d.h. wenn eine Metalband sich einem spezfischen Subgenre, einem ausgeprägten Stil unterordnet, sind diese Features auch jenseits der Ukraine verständlich. Besonders im Black Metal sind die Interpreten jedoch um eine lokale Variante bemüht, inspiriert vom skandinavischen Vorbild der frühen 1990er, als Bands anfingen, in ihrer Muttersprache Norwegisch und Schwedisch zu singen.
Die Ukraine stellt aufgrund der aktuellen politischen Lage gewisse Herausforderungen an Musiker. Das Land ist bankrott. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine und der Anspruch der "Volksrepubliken" um Donezk und Lugansk auf Souveränität erschweren einen klaren Kopf, der für die Kontinuität von Musikgruppen unerlässlich ist.
Der britische Musiksoziologe Keith Kahn-Harris verweist auf die "mundanity", auf die alltagspraktischen Verrichtungen, die mit dem "Betrieb" einer Band zusammenhängen. Dazu gehört die wöchentliche Kommunikation mit Veranstaltern, der Plattenfirma, der Fachpresse (sogenannte Fanzines mit kleiner Auflage wie auch den Kioskzeitschriften in dem Bereich) und dem kreativen Schedule: Neue Songs müssen entwickelt und geschrieben werden, Probeaufnahmen getätigt und dann Termine für Studio und Konzerte bestimmt werden.
Ukraine als Platz für Extreme Metal
Seit Mitte der 1980er Jahre differenziert sich der Heavy Metal in unzählige Subgenres aus, wobei sich geografische Schwerpunkte herausbildeten. In Schweden und den USA profilierten sich vor allem Death-Metal-Bands, in Deutschland gab es eine bedeutende Thrash-Metal-Hochburg im Ruhrgebiet, Skandinavien sollte später für den Black Metal große Bedeutung erlangen, wohingegen das UK eine gute Grundlage für Doom-Metal-Bands bot. Jedes dieser Subgenres verfügt über ein distinktes Set aus akustischen, grafischen und lyrischen Features.
Diese Zuordnungen sind letztlich willkürlich, da sich die Schwerpunkte mit zunehmender Differenzierung und Globalisierung verlagert haben. Dennoch wird immer noch eine Death- oder Black-Metal-Band aus Norwegen, Schweden oder Finnland mehr Aufmerksamkeit erregen als eine ukrainische. Das hat historische Gründe: Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion war es möglich, in Sachen Metal freier zu agieren. Die hier behandelten Gruppen gründeten sich dann auch erst nach 1991. Andererseits ist von einem Untergrund vor der Unabhängigkeit der Ukraine auszugehen.
Im Nachbarland Polen haben Extreme Metal-Bands bereits 1983 Konzerte gespielt; drei Jahre später fand das für die nationale Szene bedeutende Metalmania-Festival statt. Der Sänger und Gitarrist der bekanntesten polnischen Death-Metal-Band Piotr Wiwczarek erinnert sich:
Gleichzeitig nahmen wir eine Kassette mit neuen Liedern für das erste polnische Metal-Festival überhaupt auf: Metalmania 1986. Dort wurden wir anhand des Tapes angenommen - und das war der Startschuss für VADER. Auf dieses Festival hatten tausende Fans in Polen gewartet, und es öffnete Türen: Zum ersten Mal konnte man Gleichgesinnte treffen, und es gab einen Ort, an dem zwei Tage nur Metal existierte! Die Reaktion, die wir von den 5.000 Maniacs dort erhielten, war unfassbar, und daraufhin machte unser Name die Runde, was wichtig wurde, weil wir aus Olsztyn kamen, also keinem Ballungsraum.
Andreas Schiffmann
Eine ukrainische Band, die in Szenekreisen internationale Bekanntheit erlangte, sind Drudkh aus Charkiv. Sie spielen einen von Folkmusik beeinflussten Black Metal und stehen aufgrund der Verwendung von bestimmten historischen Begrifflichkeiten in der Kritik. Zudem wirken die Coverartworks revanchistisch. Textlich bezieht sich Roman Sayenko (in englischen Quellen auch als Saenko geschrieben) stark auf die ukrainische Geschichte, dabei nicht ausschließlich auf eine vorchristliche (heidnische) Epoche. Auf dem dritten Album "The Swan Road" etwa bezieht er sich auf das epische Gedicht Die Haidamakas des ukrainischen Dichters Taras Shevchenko (1814 - 1861).
Der Kopf hinter Drudkh lehnt jedes Interview ab, unabhängig vom Thema, so die Aussage des Presseverantwortlichen beim Label. Der New York Times lehnte er neulich auch eine Interviewanfrage ab. Es ist zu vermuten, dass die Band mehr Wert darauf legt, dass die Alben und die Musik der Ukrainer für sich stehen sollen. Lyrisch nimmt die Band eine Sonderstellung in ihrem Genre durch den extensiven Bezug auf ukrainische Historie ein (was aufgrund einer gewissen Formensprache nicht unumstritten ist). Dass das 2006 auf dem britischen Label Supernal Music veröffentlichte Album "Blood In Our Wells" dem Andenken Stepan Banderas gewidmet war, erschwert bzw. verunmöglicht eine vorurteilsfreie Beschäftigung mit der Band.
Musikalisch beherrscht die frühen Platten noch eine gewisse raue Produktion, was mit der fehlenden Infrastruktur in der Ukraine zusammenhängen mag. Jedoch sollte man bedenken, dass Drudkh erst in den 2000er Jahren ihre Platten aufzunehmen und zu veröffentlichen begannen. Im Black Metal existiert zudem eine Philosophie der Low-Fidelity - Produktionen sollen nicht zu professionell und "gut" klingen. Denn die Unabhängigkeit von kommerziellen Strategien gehört zur Attitüde einer sich als Underground gebärdenden Szene. Über die Wiederveröffentlichung des Backkatalogs durch die französische Firma Season Of Mist erfährt die Band eine größere Beachtung in der internationalen Szene.
Ähnlich ergeht es Khors, ebenfalls aus Charkiv, die seit zwei Alben auf Candlelight Records aus Großbritannien veröffentlichen. Das Label hat bereits für die Entwicklung des Extreme Metals wichtige Bands unter Vertrag gehabt, so dass eine Veröffentlichung der Ukrainer auf Candlelight sicher mehr Aufmerksamkeit als auf einem kleinen osteuropäischen Label erhält. Eine Kooperation mit einer solchen Firma setzt wiederum einen gewissen Erwartungsdruck voraus.
Der A&R-Verantwortliche bei Candlelight - Conor Droney - setzt großes Vertrauen in Khors. Er erzählt, dass er bereits seit Jahren Black-Metal-Musik in der Ukraine mit großem Interesse verfolge. Der Kontakt sei über Roman Sayenko von Drudkh hergestellt worden, mit dem er Musik ausgetauscht habe.
Ich verfolge die Entwicklungen des ukrainischen Black Metals seit vielen Jahren, eigentlich seit ich das Album "Purity" von Hate Forest gehört habe. Ich bin ein großer Fan von Drudkh, Blood Of Kingu (die ich auch für unser Label Candlelight Records gesignt habe), Nokturnal Mortem, Astrofaes und Raventale." Er ergänzt dann noch: "Ich tausche viel Musik mit Roman Sayenko und er empfahl mir Khors" Album "Return To Abandoned" (2010). Als die Band ihr bezauberndes Album "Wisdom Of Centuries" (veröffentlicht im Jahr 2012) Candlelight angeboten hat, ist es mir nicht schwer gefallen, sie unter Vertrag zu nehmen.
Conor Droney, aus einer E-Mail vom 24.04.2015
Drudkh wie auch Khors behandeln auf ihren Platten verschiedene Aspekte der ukrainischen Geschichte. Durch den Bezug auf Autoren des 19. Jahrhunderts schleicht sich ein deutlicher Bezug auf die Epoche der Romantik ein. Im Metal-Universum ist das nur konsequent oder wie es Sascha Pöhlmann in Bezug auf eine US-amerikanische Band sagt:
Black Metal ist die Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln.
Sascha Pöhlmann
Beide Black-Metal-Bands wirken auf ihre Weise, sind mit ihren Texten (die zudem häufig in Ukrainisch gehalten sind) am Prozess des nation-building beteiligt. Im Kontext der Black-Metal-Subkultur richten sich die Texte an eine Vergangenheit, die wenig von großstädtischem oder popkulturellem Bewusstsein spüren lässt. Ein zwölfminütiges Stück mit Titel "Solitude" spricht da Bände.
Musikalisch bieten Drudkh eine durchaus als eigenständig zu nennende Interpretation des epischen Black Metals. "Eternity" - ein weiteres Stück vom Album "Blood In Our Wells" - beginnt mit einem Dudelsack-Intro. Die Folie des Subgenres wird als Ausgangspunkt für Eigenkompositionen verwendet. Den hier vorgestellten Bands aus der Ukraine eignet eine gewisse "Rohheit", was zumindest für Hörer dieses Stils einen zusätzlichen Reiz ausübt.
Innerhalb der spezifischen Musikszene verfügen die genannten Gruppen über eine gewisse Popularität, die sich durchaus in Sammelleidenschaften von Seiten der Hörer niederschlagen kann. Den Bekanntheitsgrad der skandinavischen Gruppen in diesem Genre werden die Musiker aus Ukraine zwar nicht erreichen können, aber spricht man mit ihnen über ihre Situation, kommt es ihnen vor allem darauf an, ihre Musik über die Landesgrenzen hinweg bekanntmachen zu können.
Dies war vor dem aktuellen Konflikt nicht leicht ... doch durch die angespannte wirtschaftliche und politische Lage intensivieren sich die infrastrukturellen Schwierigkeiten. Bassist Alexander Kostko der Lemberger Death/ Doom Metal-Band Apostate führt entsprechend aus: "Es fehlt an Metal-Business. Es gibt für Konzerte von ausländischen Bands kaum Promoter oder professionelle Manager. Es fehlen auch schlicht die Lokalitäten, in denen solche Bands spielen könnten." Und doch erzählen alle drei Bands von internationalen Gruppen, die häufig in Kiew, aber auch anderen Städten Halt machen. Auch während des Konflikts. Apostate sind bei einem teils ukrainischen Label untergekommen. Ferrrum Records werden von einem Ukrainer, einem Briten und Deutschen geführt - eine international agierende Firma also.
Slawikus, der A&R von Ferrrum Records, begründet das Interesse an der Band als eine Art Anerkennung des Durchhaltewillens der Musiker:
Ich habe Apostate unter Vertrag genommen, da ich aus der Ukraine stamme und als Teenager ihr Demotape als eines der ersten Alben kaufte. Letztes Jahr besuchte ich das Carpathian Alliance-Festival in der Ukraine und hatte das Glück, Alexander von Apostate persönlich zu treffen. Wenn man bedenkt, wie groß mein Respekt gegenüber der Band ist, war es kein großer Akt, in einer der vielen Kneipen in der Altstadt Lvivs einen Vertrag aufzusetzen.
Slawikus, aus einer E-Mail vom 17.06.2015
Lemberg ist zwar keinem direkt militärischen Konflikt ausgesetzt, doch wirken sich die kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten des Landes auf das ganze Land aus. Quintessence Mystica, eine Band aus Charkiv, war zunächst nicht zu erreichen. Ihre deutsche Plattenfirma Schwarzdorn Production erhielt erst über ein in Deutschland weilendes Bandmitglied (Dromos) direkt Kontakt zum Kopf der Musikgruppe, Master Alafern. Dromos entschuldigt sich, führt die Verspätung jedoch auf persönliche Angelegenheiten zurück. Die Band fiel dem A&R (Patrick Kuntz) des auf Extreme Metal spezialisierten Labels schon länger auf:
Ich habe sie in erster Linie aus musikalischen Gründen unter Vertrag genommen. Auf "The 5th Harmonic Of Death" vereint sich Mystic (!) mit einem bombastischen, atmosphärischen Soundgewand. Das hat mich so sehr in den Bann gezogen und überzeugt, mit der Band zu arbeiten. Der Songaufbau ist teilweise auch komplex, dennoch sehr durchdacht. Fand ich genial. Das war der Start für eine Zusammenarbeit. Auf "Duality" [dem aktuellen Album] hat sich dann deren Kreativität fortgesetzt.
Aus einer E-Mail vom 26.04.2015
Der Wohnort einer Musikgruppe entscheidet sicher auch über den Zugang zum internationalen Markt. Keith Kahn-Harris geht in seiner Monographie zum Extreme Metal auf die verschiedenen Gebiete ein. In Bezug auf Osteuropa nennt er vor allem Tschechien und Polen, die über gut entwickelte Metalszenen verfügen. Besonders polnische Bands wie die bereits erwähnten Vader oder auch Behemoth touren weltweit mit ihrem Extreme Metal. Die Ukraine taucht in der Aufzählung der Metal-Landkarte nicht auf.
Für 2015 stehen jedoch zumindest für Khors einige wichtige Termine in ihrem Heimatland an. Sie spielen in Lemberg, Kiew, auf dem Black Sea Metal Festival in Ilyichyovsk wie auch auf dem Carpathian Alliance-Festival. Diese beiden Festivals nennen auch Quintessence Mystica im Interview als die bekanntesten des Landes.
Die drei interviewten Bands gehen mit der aktuellen Lage in der Ukraine ruhig um, wie sie im Interview einräumen. Ihre Positionen zur ukrainischen Geschichte, zum andauernden nation-building-Prozess unterscheiden sich. Der gemeinsame Nenner ist jedoch stets, die eigene Musik komponieren, spielen, aufnehmen und präsentieren zu können.
Für Apostate sind die schwierigen Verhältnisse Antrieb weiterzumachen. Im März 2015 erschien das aktuelle Album "Time Of Terror", das sich musikalisch von den zwei anderen Bands unterscheidet. Auch konzeptionell unterscheiden sich Apostate von den zwei anderen Gruppen: ihre Texte beschäftigen sich mit Zerwürfnissen des menschlichen Zusammenlebens. Daher auch der Titel:
Ja, der Titel bezieht sich auf die aktuelle Situation in unserem Land. Wir sind dazu verurteilt, in dieser misslichen Lage aus Krieg, Terror und Täuschung zu leben, was alles durch Politiker und reiche Leute verursacht wurde, die ihre finanziellen Interessen auf Kosten der gewöhnlichen Leute durchsetzen wollen.
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