Ukraine: "National-sozialistische Selbstorganisation" für alle Fälle

Seite 4: Polizei schaut zu, wie die Nationalni Druschini einen Stadtrat besetzt

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Seit dem Marsch der 600 in Kiew wird im ukrainischen Internet intensiv über die Bedeutung der Nationalni Druschini diskutiert. Eine Schlüsselfrage ist, ob die neue Organisation mit der Polizei zusammenarbeiten wird oder nicht.

Für die These, dass die ND mit der Polizei nicht zusammenarbeitet, schien ein Vorfall im Dezember 2017 zu sprechen. Damals kam es zu einem Konflikt zwischen ND-Mitgliedern und der Polizei, als ND-Mitglieder das Restaurant "Metropol" in der südukrainischen Stadt Krementschuk blockierten, weil es angeblich ohne Genehmigung gebaut wurde. Als die Polizei versuchte, einige Blockierer festzunehmen und dabei auch Tränengas einsetzte, kam es zu einem heftigen Gerangel.

Für die Gegenthese, dass die Nationalni Druschini mit der Polizei zusammenarbeitet, spricht ein Vorfall vom 29. Januar 2018, als im südukrainischen Tscherkassk ND-Mitglieder in eine Sitzung des örtlichen Stadtrates eindrangen, sich zwischen die Tischreihen drängten und die Abgeordneten zwangen (Video), unverzüglich den Haushalt der Stadt zu verabschieden. Der Verabschiedung des Haushaltes hatte sich durch einen Streit zwischen zwei Flügeln in der örtlichen Elite über Wochen verzögert, so dass es schon zu Störungen bei den kommunalen Versorgungseinrichtungen kam.

Die Besetzer von der Nationalni Druschini erreichten mit ihrer Aktion - bei der vier Personen verletzt worden sein sollen - , dass die Abgeordneten den Haushalt verabschiedeten und anschließend den Stadtrat auflösten.

Abgeordnete, die versuchten, die Stadtratssitzung zu verlassen, wurden von den Besetzern mit Gewalt daran gehindert. Die Polizei schritt nicht ein. Das ND brüstete sich später mit einer erfolgreichen Aktion. Doch im ukrainischen Internet äußerten sich viele Bürger besorgt darüber, dass der Staat immer mehr seine Autorität verliere.

Journalist Kotsaba: "Der Staat hat seine Macht mit den paramilitärischen Gruppen geteilt"

Das plötzlich massive Auftreten der Nationalni Druschini hat zweifellos etwas mit der zunehmenden Zerrüttung der sozialen und politischen Verhältnisse in der Ukraine zu tun. Für den Westen, der die Ukraine seit 2014 massiv unterstützt hat, gibt es das Problem, dass der amtierende Präsident Petro Poroschenko nur noch eine sehr geringe Popularität hat und ein möglicher neuer Kandidat mit guten Chancen für die Präsidentschaftswahlen 2019 nicht in Sicht ist.

Das Image von Präsident Poroschenko ist stark beschädigt durch seine Offshore-Geschäfte, die durch die Panama-Papers aufgedeckt wurden, sowie seinen geheim gehaltenen Luxus-Urlaub auf den Malediven in der ersten Januar-Woche. Die Pacht einer kompletten Insel für die Familie Poroschenko kostete schlappe 400.000 Euro. Da die Menschen in der Ukraine immer ärmer werden, lassen sich solche Eskapaden nicht mehr vermitteln. Auch die Popularitätsrate von Julia Timoschenko kommt nicht über 20 Prozent hinaus. Michail Saakaschwili kann nicht bei der Präsidentschaftswahl kandidieren, da Poroschenko ihm die Staatsbürgerschaft entzogen hat. Um zu verhindern, dass nicht-nationalistische Oppositionelle von der Machtkrise profitieren, könnte nun die Nationalni Druschini als Schlägertruppe gegen Andersdenkende zum Einsatz kommen, so die Vermutung des Autors.

Das Ziel einer "Machtteilung" zwischen dem Staat und den "paramilitärischen Nazi-Verbänden" sei es, mit noch mehr Repression "gegen Andersdenkende und Journalisten vorzugehen, die kritisch zur Macht stehen," meint in einem Kommentar für den Politnavigator der regierungskritische ukrainische Fernsehjournalist Ruslan Kotsaba, gegen den ein Strafverfahren wegen Landesverrat läuft.

Für die Demokraten und die Oppositionellen in der Ukraine ist die kritische Aufmerksamkeit des Auslands jetzt besonders wichtig.