Selenskyj setzt auf Trump: Das Ende des Ukraine-Kriegs in Sicht
Der Ukraine-Krieg forderte bisher wohl eine Million Opfer. Selenskyj hofft nun auf Trump als Friedensbringer. Doch was bedeutet sein Plan für ein Kriegsende?
In seinem ersten Interview 2025 äußerte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj recht positiv über den neuen US-Präsidenten:
Trump könnte entscheidend sein. Das ist für uns das Wichtigste (…) Er und seine Fähigkeiten sind wie folgt: Er kann in diesem Krieg eine entscheidende Rolle spielen.
Trump könne Putin stoppen oder der Ukraine dabei helfen. "Er kann es schaffen" glaubt Selenskyj.
Nach Quellen des Wall Street Journal aus dem letzten Herbst sind im russisch-ukrainischen Krieg, der nun seit drei Jahren andauert, bisher mindestens eine Million Menschen getötet oder verwundet worden. Die Verluste der Ukraine werden auf 80.000 Tote und 400.000 Verwundete geschätzt.
Offiziell gibt Kiew keine Opferzahlen bekannt. Wichtig ist der ukrainischen Regierung das Bild nach außen: dass man nicht bereit ist aufzugeben. Das galt sowohl in den ersten Kriegstagen, als viele noch glaubten, Kiew könne in 72 Stunden eingenommen werden, ebenso wie zu Beginn des vierten Kriegsjahres.
Dennoch lässt sich eine steigende Kriegsmüdigkeit nicht bestreiten. Hier ist es aber weiter eine offene Frage, inwieweit die ukrainischen Gesellschaft zu einem Einfrieren des Konflikts bereit ist. "Viele Menschen in der Ukraine sind gegen ein Einfrieren des Konflikts, aber es ist für uns das kleinere Übel" meint dazu Vladimir Fesenko, Leiter des Penta-Zentrums für angewandte Politikforschung in Kiew gegenüber Telepolis.
Das schlimmste Szenario für sein Land sei eine Fortsetzung des Krieges auf unbestimmte Zeit und eine Verschlechterung der Lage an den Fronten.
Im Dezember 2024 räumte Selenskyj ein, dass es der ukrainischen Armee derzeit an der Kraft fehle, die aktuell von Russland besetzten Gebiete mit Gewalt zu befreien. Viele in der Ukraine befürchten jedoch, dass ein Einfrieren den Konflikt nicht beendet, sondern ihn über Jahrzehnte festschreibt.
"Wir kennen das Beispiel des Koreakriegs, der seit nun mehr als 70 Jahren eingefroren ist und ich bezweifle, dass die nächste russische Regierung nach Putin zustimmen wird, der Ukraine gestohlene Gebiete zurückzugeben" meint dazu Fesenkos Kollege, der ukrainische Politologe Peter Zalmayev, Direktor der Eurasia Democracy Initiative zu Telepolis.
Gleichzeitig gäbe es bei vielen Ukrainern das Bewusstsein, dass Kiew angesichts der Unfähigkeit einer Rückeroberung einen Kompromiss akzeptieren müsse, der von westlicher Seite kommt.
In jedem Fall – das ist in der Ukraine Konsens – werde das Einfrieren des Konflikts nicht bedeuten, dass Kiew seine eigenen Gebiete aufgeben wird. Ein Beispiel ist hier etwa die Krim, die schon 2014 von Russland annektiert wurde, womit sich die Ukraine jedoch bis heute nicht abgefunden hat und das wohl auch nicht tun wird.
Eine der größten technischen Schwierigkeiten an einer Waffenruhe betrifft die Schaffung einer demilitarisierten Zone zwischen den Krieg führenden Parteien.
Während der Fortsetzung der Moskauer Offensive wird es schwer – fast unmöglich – ohne eine stabile Frontlinie zubringen Waffenstillstand zu kommen.
Vladimir Fesenko
Zudem sei unklar, wie die Idee einer Entmilitarisierung einer solchen Zone umgesetzt werden sollte.
Von der Grenze nach Russland ist etwa die ukrainische Metropole Charkiw nur 40 Kilometer entfernt. Eine 50 km breite demilitarisierte Zone würde bedeuten, die Stadt ohne Schutz zu lassen. Eine Stadt, die Russland in den ersten Kriegstagen sofort einnehmen wollte.
Es ist unwahrscheinlich, dass Kiew einer solchen Lösung zustimmen wird. Ein weiteres Problem ist, wer den Frieden sichern soll. "Zur Schaffung einer solchen demilitarisierten Zone werden etwa 200.000 Soldaten benötigt.
Es ist vollkommen unklar, woher man so viel Militär bekommen soll und wer das bezahlen wird", analysiert die praktischen Probleme Peter Zalmayev. Er sieht es als logischer an, dass der Westen der Ukraine solche Gelder gibt, "damit sie ihre Gebiete zurückerobern kann".
Weiterhin ist unklar, wer das entsprechende Militär in der Zone stellen soll. Nach ersten Vorschlägen sollten solche Truppen aus Europa kommen, was für Kiew akzeptabel, für Moskau jedoch gänzlich inakzeptabel wäre. Putin müsste faktisch der Stationierung von Truppen aus Nato-Staaten in der Ukraine zustimmen.
So bleibt es weiter wenig wahrscheinlich, dass in konkreten Umsetzungsfragen rasch ein Kompromiss erzielt wird, der über den Austausch von Kriegsgefangenen oder die Verhandlung über Territorien hinausgeht.
"Zum Beispiel im Rahmen einer Waffenruhe könnte man übereinkommen, dass die ukrainische Armee die Region Kursk verlässt und die russische die Region Charkiw" ist nicht nur die Meinung von Wladimir Fesenko: "Das Einfrieren nützt auch Moskau nichts, solange es seine Offensive in der Ukraine fortsetzt."
Die Ukraine will auch keine Zugeständnisse bei für Putin sensiblen Fragen wie der Zugehörigkeit zur Nato machen. Das gilt, obwohl man sich in Kiew keine große Hoffnung auf eine Mitgliedschaft im Nordatlantikpakt macht.
In den letzten drei Jahren ist eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine noch zweifelhafter geworden. Vergessen wir dabei nicht Putins Trojanische Pferde im Bündnis: Ungarn und die Slowakei. Ohne deren Zustimmung wäre eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Allianz unmöglich. Und diese Zustimmung ist unwahrscheinlich.
Peter Zalmayev
Gleichzeitig glauben beide ukrainische Experten, dass der Vorschlag der Trump-Regierung keinen konkreten Plan zur Konfliktlösung enthalten werde. Sonst müsse man Verantwortung für dessen Scheitern übernehmen.
Das bedeutet, Moskau und Kiew müssen selbst entscheiden, inwieweit sie bereit sind, einer zumindest vorübergehenden Einstellung des Blutvergießens zuzustimmen. Sollten Verhandlungen darüber scheitern, wird dieses so lange weitergehen, bis eine Seite entscheidende militärische Erfolge erzielt.
Die ukrainischen Fachleute schließen jedoch die Entstehung eines größeren offenen Krieges in Europa aus. Zalmajew glaubt nicht, dass Putin es riskiert, Nato-Mitgliedstaaten direkt anzugreifen.
"Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Putin die westliche Welt auch weiterhin auf andere Weise bekämpfen wird, etwa durch hybride Kriegsführung: Sabotage, Terroranschläge, das Durchtrennen von Kabeln, die Unterstützung rechter und rechtsextremer Bewegungen und die Einmischung in Europawahlen" listet Zalmajew auf. "Dieser Krieg ist in Europa bereits im Gange."