Ukraine: Was kommt nach Krieg und Sieg?

Themen des Tages: Gebietsgewinne der Ukraine und Zweckoptimismus des Westens. Die ungleiche Bewertung der Kritik an Russland-Sanktionen. Und Klagen nach Corona-Impfungen.

Liebe Leserinnen und Leser,

man mag dieser Tage nicht in der Haut russischer Propagandisten stecken: Sie dürfen Krieg nicht Krieg nennen und fluchtartigen Rückzug nicht fluchtartigen Rückzug. Die Linke will sich angesichts der Sanktionsfolgen an die Spitze möglicher Sozialproteste stellen, reden darüber darf nicht jeder bei ihnen. Und vor deutschen Gerichten wird die medizinische Ethik der Corona-Impfkampagne geklärt.

Doch der Reihe nach.

Erfolge und Perspektiven der ukrainischen Offensive

Ist das der Wendepunkt im Ukraine-Krieg? Nach mehreren Tagen, fast Wochen des Schweigens hat die ukrainische Armee die russischen Truppen offenbar in einem erheblichen Maße zurückdrängen können. Das strategisch wichtige Charkiw ist wieder in ukrainischer Hand, ebenso weitere Orte des Landes, die von den russischen Invasoren besetzt worden waren.

Wie nachhaltig diese Erfolge sind, wird sich zeigen. Schon jetzt aber werden sie in der Berichterstattung westlicher Medien von einem gewissen Zweckoptimismus begleitet. Der Ex-Maoist Ralf "Panzer-Artillerie-und-Luftabwehr-für-die-Ukraine" Fücks, der seinen Kampf gegen den Kapitalismus aufgegeben hat und inzwischen eine von der Bundesregierung mit mindestens eine halben Million Euro finanzierte Lobbyorganisation leitet, bekam angesichts der Propagandavideos aus der Ukraine schon mal Gänsehaut, wie er auf Twitter verkündete. Dort polemisierte er gegen Waffenstillstandsaufrufe "von Precht, Gysi, Welzer, Schwarzer, Vad & Co".

Für Telepolis analysiert Bernhard Gulka heute das Kriegsgeschehen. Kurzfassung: Mit dem tiefen Vorstoß habe die Ukraine nicht nur einen symbolischen, sondern auch einen strategischen Erfolg zu verzeichnen: "Denn mit diesem Vormarsch waren 10.000 rund um Isjum eingesetzte russische Soldaten von einer Einkreisung bedroht, die dort eigentlich bei der Eroberung des noch von den Ukrainern gehaltenen Teils des Donbass rund um Slawjansk helfen sollten." Sie flohen Hals über Kopf.

Die Ukraine habe "Geschichte geschrieben", schrieb ein großes deutsches Nachrichtenmagazin, um, wie auch der Ex-K-Gruppen-Genosse Fücks in Konsequenz ihrer militärischen Erfolge deutsche Kampfpanzer für Kiew zu fordern.

Was bei aller Freude und begleitenden Häme über Warner ausgeblendet wird, ist die Frage der politischen und militärischen Perspektive. Der Grund für die Eskalation schließlich war, kurzgefasst, das Versagen, einen sicherheitspolitischen Interessenausgleich zwischen der Nato und Russland zu finden.

In jedem Fall: Selbst, wenn die Ukraine auf voller Strecke siegen sollte, und um das zu glauben, muss man sehr zweckoptimistisch sein, werden die unmittelbaren und erweiterten Konfliktparteien über eine gemeinsame Zukunft verhandeln müssen. Sie stehen dann am selben Punkt wie in den Tagen vor und während der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar. Nur eben knapp 6.000 tote Zivilisten, Zehntausende tote Soldaten und dutzend zerstörte Städte später. Und das ist die eigentliche, unabwendbare Tragödie dieses Krieges.