Ukraine: Zweifelhafter Punktsieg für die "Gasprinzessin"

Das Gas-Abkommen mit Russland verschärft den Machtkampf zwischen Timoschenko und Juschtschenko und verärgert Polen und Ungarn

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Seit mehr als einer Woche ist der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine beendet. Für die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko bedeutet die Einigung mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin, die durch die Unterzeichnung des neuen Vertrages zwischen Gazprom und Naftogas am Montag vergangener Woche rechtskräftig wurde, einen weiteren Erfolg in dem seit Monaten andauernden Wahlkampf, der mitverantwortlich für die Eskalation des Gasstreits war. Doch der Moskauer Erfolg der "Gasprinzessin" ist sowohl in der Ukraine als auch in einigen Staaten Osteuropas umstritten.

Julia Timoschenko und Wladimir Putin am 19. Januar bei Unterzeichnung des Gas-Abkommens. Bild: Tymoshenko.com.ua

Wie sich die Zeiten und Stimmungen ändern, musste die Ukraine in den ersten drei Januarwochen erfahren. Während sich der Westen noch vor drei Jahren, als der erste Gasstreit Europa aufschreckte, klar auf die Seite der Ukraine stellte und die damalige Gasblockade und Preiserhöhung als eine russische Strafmaßnahme gegenüber der Orangenen Revolution bezeichnete ("Erster Krieg des 21. Jahrhunderts"), war es diesmal anders. "Die Ukraine spielt keine besonders ruhmreiche Rolle", erklärte beispielsweise der Moskau-Korrespondent der ARD, Stefan Stuchlik, zu Beginn des diesjährigen Gaskonflikts.

Und für diese wenig "ruhmreiche Rolle" sind ausgerechnet die Orangenen Revolutionäre Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko verantwortlich, die aus der ukrainischen Demokratie einen Orangenen Rosenkrieg gemacht haben. Und in ihren mittlerweile permanenten Wahlkampf, der durch die im Dezember beschlossene, bis heute aber nicht unterzeichnete Neuauflage der im September zerbrochenen Koalition um weitere Monate verlängert wurde, machten sie die russischen Gaslieferungen zu einem Thema, mit dem beide Kontrahenten punkten wollten.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der ehemaligen Sowjetrepublik sind durchaus gegeben, um die russischen Gasimporte zu politisieren. Die Finanzkrise hat die Ukraine schwer getroffen. Mit einem Kredit von 16.4 Milliarden Dollar hängt der 45-Millionen-Einwohnerstaat mittlerweile am Tropf des IWF, der zumindest vorläufig die Zahlungsfähigkeit des Landes garantiert.

Die Folgen der Krise konnte der Kredit der Weltbank jedoch nicht mildern. Die Landeswährung Hrywnja wurde in den letzten Monaten abgewertet und die ausländischen Investitionen gingen im 2. Halbjahr 2008 enorm zurück. Besonders macht sich die Wirtschaftkrise in der ukrainischen Stahlindustrie bemerkbar. Mit 40 Prozent Exportanteil bildete sie bisher den wichtigsten Industriezweig des Landes. Doch seit Oktober 2008 fiel die Stahlproduktion um 30 Prozent. Mittlerweile stehen in der Ostukraine, dem Zentrum der dortigen Metallurgie, ganze Betriebe still und tausende Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Eine Besserung ist 2009 nicht in Sicht. "Wenn ihr wüsstet, was noch kommen wird", prophezeite der Oligarch und reichste Mann Europas, Rinat Achmetow, wenig hoffnungsfroh noch im Dezember vergangenen Jahres.

Nicht besonders rosig sehen auch die Aussichten für Russland aus. Fast täglich werden die in den russischen Medien veröffentlichten Prognosen düsterer. In den aktuellsten Schätzungen gehen Experten davon aus, dass in diesem Jahr das russische Wirtschaftswachstum zum ersten Mal seit 1998, als der flächenmäßig größte Staat der Erde seine bis dahin schwerste Wirtschaftskrise durchlebte, rückläufig sein wird. So ist es nur verständlich, dass der staatliche Energiekonzern Gazprom kein Interesse hatte, der Ukraine große Preiszugeständnisse zu machen.

Machtkampf der einstigen Verbündeten in der Ukraine

Unbeheizte Wohnungen, wie es sie während des Gasstreits in Südosteuropa gab (Bulgarien: Land ohne Gas), wären dennoch vermeidbar gewesen. Denn schon im vergangenen Jahr war die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko bereit, die von Gazprom verlangten 250 Dollar pro 1000 Kubikmeter zu akzeptieren. Doch der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko verhinderte dieses Abkommen und brachte somit die seit Oktober andauernden Verhandlungen zum Scheitern.

Der Streit zwischen den beiden innenpolitischen Widersachern erschwerte die Verhandlungen auch in den ersten Januarwochen. Während in Moskau Wladimir Putin das Kommando übernahm und für die Europäische Union dadurch zum Ansprechpartner wurde, lieferten sich in Kiew die einstigen Verbündeten einen erbitterten Machtkampf. Unter der Führung von Julia Timoschenko erarbeitete die Werchowna Rada beispielsweise ein neues Gesetz, welches die Amtsenthebung des Präsidenten zukünftig erleichtern soll. Das Präsidialamt warf Timoschenko dagegen vor, aus der Gaskrise einen eigenen politischen Vorteil ziehen zu wollen. Ein Vorwurf, der wiederum nichts anderes als eine Retourkutsche auf die Beschuldigungen Timoschenkos war, der Präsident sei an dem dubiosen Gaszwischenhändler RosUkrEnergo beteiligt.

So ist es nicht besonders verwunderlich, dass sowohl Julia Timoschenko als auch Viktor Juschtschenko eigene Lösungswege aus dem Konflikt verfolgten. Am 12. Januar kündigte Julia Timoschenko an, die Verhandlungen mit Russland persönlich in Angriff nehmen zu wollen. Bereits zwei Tage später vereinbarte sie bei einem Telefongespräch (mit Wladimir Putin das erfolgreiche Moskauer Zusammentreffen.

Einige Stunden bevor Timoschenko das Treffen mit Putin vereinbarte, offerierte Viktor Juschtschenko einen anderen Lösungsvorschlag. Einen Gipfel zwischen Russland, der Ukraine und der Europäischen Union schlug Juschtschenko während eines Arbeitstreffens mit seinem polnischen Amtskollegen Lech Kaczynski am 14. Januar vor. Ein Vorschlag, an dem der ukrainische Präsident fast bis kurz vor dem Abflug Timoschenkos nach Moskau festhielt.

Doch der außenpolitische Druck, ausgeübt durch Regierungschefs mehrerer von der Gaskrise betroffener Staaten, die quasi noch wenige Stunden vor Timoschenkos Abflug nach Moskau in der ukrainischen Hauptstadt weilten, dürfte Juschtschenko veranlasst haben, in letzter Minute seiner innenpolitischen Kontrahentin für die Verhandlungen alle Vollmachten zu geben, und auch später keinen Widerspruch gegen die beschlossene Vereinbarung einzulegen.

Dabei ist das Ergebnis ihrer Verhandlungen für Viktor Juschtschenko eine schwere innenpolitische Niederlage. Julia Timoschenko kann sich seit einer Woche als die große Konfliktlöserin feiern lassen, was sie natürlich auch tut, während seine Sympathiewerte und dadurch die Chancen auf eine Wiederwahl bei den im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen noch mehr sinken. Schmerzhaft dürfte für Juschtschenko auch die Rolle Russlands bei der Konfliktlösung sein. Während Juschtschenko seit dem Georgien-Konflikt noch stärker in die NATO strebt und dabei auch keine Konfrontationen mit Moskau scheut, plädiert Timoschenko für eine gemäßigte Politik gegenüber Russland (Ukraine: Flucht in die NATO). So ist es nicht besonders verwunderlich, dass der Kreml bereit war, Timoschenko bei den Verhandlungen entgegenzukommen.

Kritik kommt aus Polen und Ungarn

Wie glücklich Julia Timoschenko über den Abschluss der Verhandlungen war, zeigte sie noch in Moskau. "Ich bin Wladimir Putin dankbar", sagte die Premierministerin nach dem Gespräch mit dem ehemaligen russischen Präsidenten und bezeichnete das russische Entgegenkommen als eine große Chance für die Ukraine. Ob die mit dem Kreml beschlossene Vereinbarung – dieses Jahr bezieht die Ukraine noch um 20 Prozent günstigeres Gas, ab 2010 dann zum Weltmarktpreis –, tatsächlich ein Erfolg für die ehemalige Sowjetrepublik ist, ist in der Ukraine jedoch höchst umstritten.

Besonders laut äußerte Bohdan Sokolowski seine Bedenken. Der Energieberater des ukrainischen Präsidenten bemängelt vor allem, dass die Ukraine einen höheren Gaspreis zahlen wird, Gazprom dagegen aber weiterhin die gleichen niedrigen Transitgebühren wie bisher. Ein Umstand, der seiner Meinung nach das russische Gas zu einem besonders teueren Exportgut für die Ukraine macht.

Und mit dieser Meinung steht Sokolowski nicht alleine da. In der letzten Woche gab es viele Stimmen in der Ukraine, die sich kritisch zu den Moskauer Vereinbarungen geäußert haben. Die ukrainische Internetzeitung Ukrainska Pravda mutmaßte gar, Timoschenko habe sich mit dem bis 2019 geltenden Gasvertrag die russischen Energielieferungen für ihre Amtszeit gesichert, falls sie die in einem Jahr und 2015 anstehenden Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte, und veröffentlichte gleich dazu den von Gazprom und Naftogas unterzeichneten Moskauer Vertrag.

Julia Timoschenko lässt diese Kritik jedoch nicht gelten. In einem Interview für die Wochenzeitschrift Dzerkalo Tiznja erwidert sie auf die Kritik ihres Widersachers Juschtschenko, er solle endlich das Präsidentenamt räumen, und findet dagegen erneut nur lobende Worte für den neuen Liefervertrag, da mit ihm auch der dubiose Zwischenhändler RosUkrEnergo, der sowohl von Russland als auch der Ukraine für die Eskalation des Gasstreits verantwortlich gemacht wird, ausgeschaltet wurde.

Doch ausgerechnet die Verdrängung von RosUkrEnergo bereitet einigen westlichen Nachbarn der Ukraine Sorgen. RosUkrEnergo war nämlich nicht nur auf dem ukrainischen Markt tätig, sondern belieferte auch Polen und Ungarn, zu günstigeren Konditionen als der russische Gasmonopolist. Der zwischen Julia Timoschenko und Wladimir Putin vereinbarte Vertrag sieht jedoch vor, dass Gazprom und Naftogaz zukünftig beim Gasexport zusammenarbeiten werden, was mit der Übernahme der Lieferverträge von RosUkrEnergo verbunden ist.

In Polen, das 25 Prozent seines importierten Gases von dem in der Schweiz ansässigen Unternehmen bezieht, wurde schon ziemlich schnell vermutet, dass sich Timoschenko auf Kosten Polens mit Russland geeinigt hat. Und die polnischen Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten. Der Gasstreit ist zwar beendet, doch das Land erhält jetzt ein Viertel seines importierten Gases nicht mehr. Julia Timoschenko hat aber sowohl für Polen und als auch für Ungarn eine Lösung parat. In dem schon erwähnten Interview für die Wochenzeitung Dzerkalo Tiznja empfiehlt sie den beiden betroffenen Ländern, ihr Gas zukünftig direkt bei Gazprom zu kaufen.