Rosenkrieg der Orangenen Revolutionäre

Die Ukraine steht nach dem Bruch der orangenen Koalition erneut vor Neuwahlen

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Am vergangenen Mittwoch gab der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko die Auflösung des Parlaments bekannt. Diese Entscheidung bedeutet nicht nur das endgültige Ende der bisherigen Regierungskoalition, sondern ist auch den endgültigen Bruch der Orangenen Koalition. Grund dafür sind die 2010 anstehenden Präsidentschaftswahlen, bei denen sowohl Julia Timoschenko als auch Viktor Juschtschenko antreten wollen. Nicht ohne Grund ähnelten deshalb die letzten Monate eher einem vorgezogenen Wahlkampf als einer konstruktiven Regierungsarbeit. Julia Timoschenko dürfte dabei aller Voraussicht nach als die große Siegerin aus dem internen Machtkampf der einstigen Verbündeten hervorgehen.

Im Dezember 2004 waren die beiden noch das politische Traumpaar

Welch ein harmonisches Bild Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko noch vor knapp vier Jahren abgaben, daran kann sich jeder erinnern. Wie frisch Verliebte, die nichts auseinanderbringen kann, wirkten die zwei Politiker in den Tagen der Orangenen Revolution, wenn sie vor ihren Anhängern auf der Bühne standen und sich von ihnen frenetisch feiern ließen. Es waren Bilder, die auch im Westen Eindruck machten, weshalb die beiden hierzulande nicht nur zu Hoffnungsträgern, sondern gleich zum Traumpaar der ukrainischen Demokratie hochstilisiert wurden.

Dass aus einem Traumpaar aber nicht unbedingt ein Traumehepaar werden muss, bewiesen der von einem Giftanschlag entstellte Viktor Juschtschenko und die schöne Julia Timoschenko auch bald. Im September 2005, nach nur wenigen Monaten gemeinsamer Regierungsarbeit, zerbrach die Koalition der Orangenen Revolutionäre wegen zu unterschiedlicher Auffassungen in der Wirtschaftpolitik.

Während die frühere Geschäftsfrau Timoschenko sich lieber mit umstrittenen Privatisierungen aus der Kutschma-Ära befassen wollte, hatte Juschtschenko kein Interesse an einer Aufarbeitung des ukrainischen Kapitalismus. Und dies sicherlich auch aus Furcht vor einigen einflussreichen Oligarchen, wie dem Donezker Stahl- und Kohlemagnaten Rinat Achmetow, der die Partei der Regionen von Viktor Janukowitsch nicht nur unterstützt, sondern auch deren Mitglied ist – wie übrigens viele andere Oligarchen auch. Lediglich eine Verfassungsänderung, welche den Präsidenten schwächte und stattdessen die Befugnisse des Premierministers sowie des Parlaments stärkte, war der bedeutendste Erfolg der 9 Monate andauernden Regierungskoalition.

Doch ausgerechnet diese Verfassungsänderung war das Grundübel der darauf folgenden Koalitionen, die alle nicht von langer Lebensdauer waren. Die erste Neuauflage der Orangenen Koalition zerbrach im Sommer 2006 bereits nach nur wenigen Tagen, da Alexander Moros mit seiner Sozialistischen Partei über Nacht in das Lager des politischen Gegners überlief. Nur mit den Stimmen der Partei der Regionen und der Kommunisten konnte Moros in sein Wunschamt des Parlamentspräsidenten gewählt werden, dem drittwichtigsten politischen Amt in der Ukraine.

Notgedrungen ernannte Juschtschenko darauf seinen einstigen politischen Widersacher Viktor Janukowitsch zum Ministerpräsidenten. Eine Entscheidung, die der Präsident als einen notwendigen Kompromiss bezeichnete, seine ehemalige Gefährtin Timoschenko dagegen als einen Verrat an der Orangenen Revolution.

Doch auch diese Koalition war nur ein kurzlebiges Produkt. Da die Verfassung der Orangenen Revolutionäre einige Schlüsselministerien dem Präsidenten zuschreibt, wie das Außen- und Verteidigungsministerium, stritten sich Juschtschenko und Janukowitsch ständig um die Besetzung dieser Ministerposten. Gleichzeitig tat Janukowitsch alles, um seine Regierungsmehrheit in der Werchowna Rada zu vergrößern, teilweise mit finanziellen Anreizen für die Überläufer. Das Ergebnis des ganzen politischen Hickhacks war eine Parlamentsauflösung (Revolution Reloaded), die erst durch den Einsatz militärischer Spezialeinheiten vom Präsidenten durchgesetzt werden konnte (Spiel mit dem Feuer).

So kam es, dass im September letzten Jahres die Ukrainer erneut zur Parlamentswahl aufgerufen wurden. Als Sieger dieses Urnengangs gingen Viktor Janukowitsch und seine Partei der Regionen hervor. Da die Sozialisten von Alexander Moros jedoch nicht den Sprung ins Parlament schafften, waren es die Orangenen, die eine Regierungskoalition bilden konnten. Doch unter einem guten Stern stand diese von Beginn an nicht. Schon die knappe Parlamentsmehrheit (228 von 450 Sitzen) konnte in der ukrainischen Tagespolitik, wie es die Fraktionsübertritte der letzten Jahre bewiesen, kein Garant für eine erfolgreiche Regierungsarbeit sein. Und der Austritt zweier Parlamentsabgeordneter im Juli machte diese Erkenntnis zu einer Tatsache.

Diese Tatsache ist aber nicht der einzige Grund dafür, dass die Neuauflage der Orangenen Koalition kein Ausweg aus der Krise war. Mit Julia Timoschenko und Viktor Juschtschenko taten sich im Herbst letzten Jahres zwei Politiker zusammen, die aus Partnern zu Konkurrenten wurden. Sowohl Julia Timoschenko als auch Viktor Juschtschenko gaben schon vor einem Jahr deutlich zu erkennen, sich 2010 um das höchste Amt des Landes bewerben zu wollen.

Julia Timoschenko in offizieller Pose als Ministerpräsidentin. Bild: tymoshenko.com.ua/

Julia Timoschenko hat die besseren Karten

„Juschtschenko und Timoschenko beginnen das Halbfinale im Präsidentschaftswahlkampf“, titelte die Internetzeitung Ukrainskaja Pravda nach dem Bruch der Koalition zwischen dem Block Julia Timoschenko und der Juschtschenko-nahen Unsere Ukraine Anfang September. Eine treffendere Schlagzeile hätte man für das erneute Ende der Orangenen Koalition nicht finden können, denn nun entscheiden die zwei untereinander, wer der aussichtsreichste Gegenkandidat von Viktor Janukowitsch sein wird.

Dass dieser vorentscheidende Wahlkampf innerhalb des Orangenen Lagers schon längst eröffnet war, zeigten besonders die letzten Monate. Während Viktor Juschtschenko den russisch-georgischen Konflikt dazu nutzte, um sich immer lauter für den NATO-Beitritt der ehemaligen Sowjetrepublik auszusprechen und gleichzeitig mit Russland einen Streit um die auf der Krim stationierte Schwarzmeerflotte zu beginnen, vermied die Ministerpräsidentin jegliche Kritik am russischen Vorgehen gegen Georgien und sprach sich auch bei dem Streit um die Schwarzmeerflotte für eine Deeskalation zwischen Kiew und Moskaus aus. Landesverrat und Korruption warf man ihr darauf aus dem Lager des Präsidenten vor (Ukraine: Flucht in die NATO).

Doch weder der Streit um die außenpolitische Ausrichtung der Ukraine, noch der Vorwurf des Landesverrats führte zum endgültigen Bruch der Koalition. Ausgerechnet eine weitere Verfassungsänderung, die Juschtschenko und Timoschenko kurioserweise im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, jedoch zu Gunsten des Präsidenten, stürzte das Land in eine erneute Regierungskrise. Am 2. September beschloss die Werchowna Rada mit 331 Stimmen eine Verfassungsänderung, die das Parlament stärken und den Präsidenten schwächen soll. Eine klare Mehrheit, die nur durch eine Einigung zwischen dem Block Julia Timoschenko, der Partei der Regionen sowie dem Kommunisten zustande kommen konnte.

Viktor Juschtschenko gibt die Auflösung des Parlaments bekannt. Bild: president.gov.ua

Präsident Juschtschenko tobte aufgrund dieser Parlamentsentscheidung und sprach gar von einem Putsch Timoschenkos. Die ihm nahe stehende Partei Unsere Ukraine stimmte ihm zu und beendete sofort die Koalition mit der einst geschäftstüchtigen Frau und ihrer Partei. Doch eine Neuwahl und eine damit verbundene Parlamentsauflösung waren Anfang September noch nicht möglich. Laut Verfassung muss innerhalb der nächsten 30 Tage eine neue Koalition gebildet werden. Erst wenn dies nicht möglich ist, kann der Präsident das Parlament per Dekret auflösen.

Und wie zu erwarten war, konnte eine neue Regierungskoalition nicht gebildet werden. Während sich die bisherigen Koalitionspartner seit dem 2. September gegenseitig nur Vorwürfe machen, will außer den Kommunisten niemand mit der Partei der Regionen koalieren. Deshalb kündigte Viktor Juschtschenko am vergangenen Mittwoch in einer Fernsehansprache die Auflösung des Parlaments an und beauftragte die Premierministerin mit der Vorbereitung der Neuwahlen für den 7. Dezember an.

Ob die Ukrainer am 7. Dezember aber tatsächlich zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren ein neues Parlament wählen werden, ist jedoch fraglich. Premierministerin Timoschenko weigert sich, die Parlamentswahlen vorzubereiten, da ihrer Aussage nach im Haushalt die notwendigen 70 Millionen Euro fehlen. Gleichzeitig sieht sie selber die Neuwahlen als verfassungswidrig an und reichte deshalb eine Klage gegen den präsidialen Erlass beim Kiewer Kreisverwaltungsgericht ein, der ihr Recht gab und den Erlass der Präsidenten wieder aufhob.

Gegen das Urteil legte das Präsidialamt Widerspruch beim Verwaltungsgericht in Kiew ein, bisher ohne Ergebnis. Einen Erfolg erzielte Juschtschenko aber beim Streit über die Finanzierung der Neuwahlen. Der ukrainische Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung hat am Montag die Regierung dazu verpflichtet, die notwendigen Geldmittel für die vorgezogene Parlamentswahl aus dem Reservefond des Staatshaushalts bereitzustellen.

Diese Entscheidung könnte für den Präsidenten Viktor Juschtschenko aber der letzte Erfolg in diesem vorgezogenen Wahlkampf sein. Sowohl die Umfragewerte von Unsere Ukraine als auch seine eigenen, sind viel schlechter als die seiner Konkurrenten Julia Timoschenko und Viktor Janukowitsch. Eine wichtige Ursache für diese zukünftige Wahlniederlage Juschtschenkos dürfte sicherlich auch seine an den Westen orientierte Außenpolitik sein. Die Ukrainer befürworten zwar einen Beitritt ihres Landes in die Europäische Union, doch die vom Präsidenten forcierte Mitgliedschaft in der NATO lehnt eine große Mehrheit der Ukrainer ab.

Julia Timoschenko hat dies jedenfalls erkannt und, wie die letzten Monate gezeigt haben, auch die ersten Schlüsse daraus gezogen. Mit ihrer Weigerung, Russland wegen des Krieges mit Georgien zu verurteilen, ging sie auch mit Hinblick auf die in zwei Jahren stattfindenden Präsidentschaftswahlen auf Stimmenfang in der Ostukraine, welches sich Russland eng verbunden fühlt und das Stammland ihres Konkurrenten Viktor Janukowitsch ist.

Und dass diese zwei den Präsidentschaftswahlkampf in zwei Jahren unter sich ausmachen werden, davon scheint die ukrainische Öffentlichkeit überzeugt zu sein. Einen kleinen Vorgeschmack auf diesen anstehenden Präsidentschaftswahlkampf gaben die beiden Kontrahenten bereits am vergangenen Wochenende. In der TV-Talkshow "Schuster Live" lieferten sich Timoschenko und Janukowitsch ein heißes Rededuell, in dem der aktuelle Präsident nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Kurz gesagt: Julia Timoschenko dürfte zukünftig die einzig übrig gebliebene politische Akteurin sein, welche die Orangene Revolution hervorgebracht hat.