Ukrainekrieg 2023: Stellungskampf und Blutmühle

Ukrainische Truppen im Einsatz. Bild: armyinform.com.ua

Vergleicht man den Frontverlauf von Januar und Dezember 2023, scheint sich der Kampf zu beruhigen. Warum das Gegenteil stimmt. Was das neue Jahr bringen könnte.

Die Kampfhandlungen 2023 waren geprägt von einer ganzen Reihe von Offensivaktionen beider Seiten, die stets groß angekündigt und in Angriff genommen wurden. Dann folgte aber vor Erreichen ihrer wesentlichen Ziele ein Steckenbleiben und irgendwann der Abbruch.

Offensiven folgen auf gescheiterte Offensiven

So verhielt es sich mit den russischen Offensivbemühungen zum Jahresbeginn. Diese wurden nach Analyse nicht nur des Institute for the Study of War mit dem Ziel begonnen, den Donbass militärisch einzunehmen, der im Herbst des Vorjahres ja auch komplett von Russland annektiert worden war. Herausgekommen ist unter erheblichen Verlusten lediglich die Eroberung der lange umkämpften Stadt Bachmut Ende Mai, kurz bevor die russischen Offensivbemühungen zum Erliegen kamen.

Ganz ähnlich verlief die von den Ukrainern für Frühjahr angekündigte, faktisch jedoch erst im Sommer und frühen Herbst durchgeführte Gegenoffensive. Deren Hauptstoßrichtung war die ukrainische Region Saporischschja, wo man bis zur südlichen Meeresküste vorrücken wollte und damit das russisch besetzte Gebiet in zwei Teile teilen.

Hier war das Ergebnis lediglich an einer Stelle der Durchbruch durch die erste russische Verteidigungslinie. Dieser konnte von den rückwärtigen russischen Stellungen aus eingedämmt werden und so endete auch diese Offensive im Spätherbst ergebnislos.

Nun sind seit dem beginnenden neuen Winter wieder die russischen Truppen am Zug, die dieses Mal mit massivem Einsatz und entsprechenden Verlusten versuchen, bei der ukrainischen Stadt Awdijiwka (Russisch: Awdejewka) vorzustoßen. Eine häufig geäußerte These über die Gründe ist, dass vor der geplanten Wiederwahl des russischen Präsidenten und Oberkommandierenden Putin im März 2024 ein militärischer Erfolg gebraucht wird. Die plausible Auslegung würde bedeuten, dass die russischen Offensivbemühungen wiederum bis zum Ende des Winters andauern würden.

Bisher brachten sie geringe Geländegewinne, keinen entscheidenden Durchbruch. Dass nahezu alle Offensiven 2023 nicht die gewünschten Erfolge brachten, liegt nicht am mangelnden Einsatz. Die Ukraine konzentriert die stets gelieferte westliche Militärtechnik an Angriffsschwerpunkten, Russland setzt notfalls auf einen äußerst verlustreichen Einsatz seiner Soldaten, um seine Angriffsziele zu erreichen.

Lückenlose Überwachung des Gefechtsfeldes

Ein Problem beider Seiten ist jedoch die fast lückenlose Überwachung des Gefechtsfeldes durch Satelliten und Drohnen, wodurch gegnerische Truppenkonzentrationen, die es für Bodenangriffe immer braucht, sehr frühzeitig von den Verteidigern entdeckt werden können. Das gibt nicht nur der Artillerie die Möglichkeit, sich auf solche Schwerpunkte schnell einzuschießen.

Auch die drohnengestützte Vernichtung angreifender Bodentruppen läuft dadurch sehr kurzfristig an. Sie beschert beiden Seiten die Möglichkeit, in der eigenen Propaganda stets viele Videos mit der Zerstörung von Militärfahrzeugen zu zeigen, hemmt sie aber bei ihren eigenen Offensiven.

Die dadurch entstehende taktische Situation ist in einem Punkt sehr ähnlich zu der nach der Erfindung des Maschinengewehrs und vor dem massentauglichen Einsatz von Panzern. Die angreifende Seite ist stets im Nachteil, was bereits zu den lang anhaltenden Stellungskämpfen im Ersten Weltkrieg führte.

Doch dieser Krieg zeigte ebenfalls, dass ein langer Stillstand nicht bedeutet, dass der Sieg einer der beiden Seiten für immer unmöglich ist. Und dass geringe Geländegewinne keinen Kriegsgewinn bedeuten. Die deutsche Frühjahrsoffensive 1918 erbrachte ein solches Ergebnis: Im Jahresverlauf kam die unwiderrufliche Niederlage des Kaiserreichs.